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Magazin Mitbestimmung

: Mehrheit für Keynes

Ausgabe 04/2009

IMK Die Rufe nach dem Staat sind so laut wie lange nicht mehr. Aber was davon ist nur Oberfläche, was geht tiefer? Ein Bericht vom IMK-Konjunkturforum in Berlin

Von RAINER JUNG, Pressesprecher der Hans-Böckler-Stiftung/Foto: Peter Himsel

Am klarsten ist die Sache für Manfred Neumann. Konjunkturpakete? Sinnlos! Der Staat erziele mit dem ausgegebenen Geld zu wenig Wirkung. Und außerdem: "Wir können den Ausfall bei den Exporten nicht durch Stärkung der Binnennachfrage kompensieren", sagt der Wirtschaftsprofessor an der Universität Bonn. Ist die deutsche Exportabhängigkeit also ein Problem? I wo! Es gibt doch keine Alternative! Aber ist es wirklich vernünftig, über geringe Lohnsteigerungen die Exportwirtschaft immer konkurrenzstärker zu machen - auch wenn in Deutschland der private Konsum chronisch lahmt und die wichtigsten Partner und Kunden, die anderen Euro-Länder, längst unter wachsenden Ungleichgewichten in der Handelsbilanz ächzen?

Bei solchen Fragen guckt Neumann, seit den 70er Jahren einer der wichtigsten Vordenker der liberalen Angebotsökonomie in Deutschland, mal streng, mal mitleidig: "Wir wollten doch wettbewerbsfähig sein, okay?", fragt er zurück. Und überhaupt: Wer sollte an solchen Ungleichgewichten etwas ändern? Das könne schließlich keine Regierung beschließen. Gegen die mutmaßlich schwerste Weltwirtschaftskrise seit 80 Jahren lässt sich nach dieser Lesart aktiv nicht viel machen. Klar, man muss das Bankensystem stabilisieren, sagt auch Neumann. Und einige Investitionen, die ohnehin schon geplant waren, kann der Staat gerne vorziehen. Ansonsten: "Eine Einkommensteuerreform ist sinnvoll - denn die brauchen wir sowieso." Aber bloß keine weiteren Konjunktur-Rettungseinsätze, warnt Neumann: "Wir müssen die Krise durchleben. So hart das ist."

Kein Zweifel: Der kantige Mann aus Bonn spitzt auf dem Konjunkturforum des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) kräftig zu. Der Auftritt bei den Makroökonomen der Hans-Böckler-Stiftung, die unter dem Titel "Renaissance der Stabilisierungspolitik?" zu Vortrag und Debatte eingeladen haben, ist für den Ökonomen schließlich definitiv ein Auswärtstermin. Auch wenn sich bei den rund 100 Zuhörern, die Anfang März nach Berlin gekommen sind, Wissenschaftler, Gewerkschafter, Journalisten, Politiker und Ministeriale recht bunt mischen. Aber klar ist auch: So oder so ähnlich wie Neumann klang der wirtschaftswissenschaftliche Common Sense in Deutschland - bis vor kurzem.

Es ist viel in Bewegung gekommen, seitdem die Finanzmärkte straucheln, Banken am Staatstropf hängen und große wie kleine Unternehmen wackeln: "Als wir uns vor neun Monaten den Titel für unser Forum ausgedacht haben, fanden wir den noch ziemlich provokativ", sagt Gustav Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. Mittlerweile erscheinen in vielen Zeitungen Artikel, die mit Blick auf die internationale Wirtschaftspolitik Richard Nixons Spruch: "Wir sind jetzt alle Keynesianer" hohen Aktualitätsbezug attestieren.

Doch was davon ist Oberfläche, was geht tiefer? Kann die Krisenerfahrung auch die wissenschaftlichen Debatten in Deutschland wirklich nachhaltig prägen? Schließlich haben wichtige Zweige der deutschen Ökonomenzunft lange Zeit eine "teilweise militante" und international beispiellose Ablehnung gegenüber Ansätzen entwickelt, die auf eine Stabilisierung der Nachfrage auch mit staatlichen Mitteln abzielen. Sagt einer, der es wissen muss: Bert Rürup. Ein knappes Jahrzehnt lang ist der Professor aus Darmstadt so etwas wie der oberste Brückenbauer in Wissenschaft, Wirtschaftspolitik und Sachverständigenrat gewesen. Ein zahlenseliger Pragmatiker, der mit vielen kann und an dem wenige vorbeikonnten. Auf dem Konjunkturforum macht Rürup noch einmal deutlich, woher dieser Ruf kommt.

Übers Konjunkturpaket II hat er eine außerordentlich differenzierte Meinung: Die Größenordnung sei in Ordnung. Das Timing nicht: Wenn große Teile erst zum 1. Juli in Kraft treten, sei das zu spät. Die Zusammensetzung, nun ja, "Politik ist ja auch die Kunst des Möglichen" - da lächelt der Polit-Profi. Will heißen: "Ich hätte es anders gepackt, aber es ist akzeptabel." Und reicht es? "Ich würde derzeit keinem dritten Paket das Wort reden", sagt Rürup. "Aber man soll auch niemals nie sagen" - und lieber abwarten, wie sich die Wirtschaft bis zum Herbst entwickelt.

Vielschichtig ist auch Rürups Sicht auf die internationalen Verhältnisse. Einerseits: In der Eurozone hätten jetzt vor allem Länder Probleme, die "ihre Reform-Hausaufgaben nicht gemacht haben". Andererseits: Den Export als dominierende volkswirtschaftliche Größe zu betrachten, "dieses Geschäftsmodell wird nun infrage gestellt." Übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch in China, wo der langjährige Vorsitzende der Wirtschaftsweisen demnächst auf einem Entwicklungsgipfel referieren wird. Thema: Wie stärkt man die Binnennachfrage?

Ronald Schettkat, Wirtschaftsprofessor an der Universität Wuppertal, warnt schon seit Langem davor, dass die deutsche Volkswirtschaft zunehmende Unwuchten entwickle. Die Bundesrepublik habe viel zu einseitig auf ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit geschaut, "und da vor allem auf den Preis und viel zu wenig auf Faktoren wie Bildung oder Innovation", kritisiert Schettkat. Und dass deutschen Wirtschaftsexperten beim Stichwort "Reform" fast nur die Deregulierung des Arbeitsmarktes in den Sinn kam, das hätten ausländische Ökonomen wie der US-Nobelpreisträger Robert Solow ohnehin nie verstanden. "Wenn der ökonomische Mainstream recht gehabt hätte, dann hätte diese Krise nie entstehen können. Das muss die Theoriebildung fundamental verändern", sagt IMK-Direktor Horn. Grundsätzlich ist er optimistisch: "Die Lernerfolge des letzten halben Jahres sind unübersehbar." Aber gleichzeitig irritieren ihn, ebenso wie den Wuppertaler Schettkat, manche Debatten. Etwa, dass urplötzlich erbittert über Inflationsrisiken und Staatsschulden gestritten wird: "Wenn wir die Krise überwunden haben, müssen wir natürlich über Konsolidierung reden", sagt Horn. "Aber erst dann. Das ist jetzt einfach nicht das Problem."

Damit sich der Wirtschaftsglobus künftig ruhiger drehen kann, schwebt dem IMK-Chef etwas vor, das er "globaler Keynesianismus" nennt: eine internationale Stabilisierungspolitik, bei der Europäer, Amerikaner, Japaner und Chinesen an einem Strang ziehen. Klingt utopisch? Steht aber an, sagt Horn. Ebenso wie es nötig sei, sich über zwei weitere Punkte Gedanken zu machen: Erstens könnte es sich im Verlauf der Krise noch als fatal erweisen, dass das Arbeitslosengeld I nur für ein Jahr ausgezahlt wird, warnt der Ökonom. Wenn nämlich in der zweiten Jahreshälfte 2009 mehrere hunderttausend Menschen ihren Job verlieren sollten und zwölf Monate später mehr oder weniger gleichzeitig auf Hartz-IV-Niveau rutschen, würde das den privaten Konsum hart treffen. Eine Verlängerung der Bezugsdauer könnte stabilisierend wirken, ebenso wie ein allgemeiner Mindestlohn. In den USA, erinnert Horn, wurde der in den 30er Jahren eingeführt - auf dem Höhepunkt der Großen Depression.

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