zurück
Magazin Mitbestimmung

: Krisenerprobter Spin-off

Ausgabe 03/2010

CHEMIEINDUSTRIE Als die Bayer-Ausgründung Lanxess wider Erwarten erfolgreich durchstartete, kam die große Krise. Betriebsräte und die IG-BCE wussten, was zu tun war. Von Klaus Eichhorst

KLAUS EICHHORST ist Journalist in Köln, bis 2005 Chefredakteur der DGB-Jugendzeitung "ran"

Den Preis gab es für schnelles und effektives Krisenmanagement. Herausragende Instrumente habe das Leverkusener Unternehmen gegen die Krise entwickelt, meinten die amerikanischen Branchenkenner. Lanxess, das viertgrößte deutsche Chemieunternehmen, wurde im September 2009 vom US-amerikanischen "ICIS Chemical Business Magazine" als "Unternehmen des Jahres" ausgezeichnet.

Einen nicht geringen Teil dieser Anerkennung hätten die Betriebsräte, die IG BCE und die Beschäftigten verdient - wegen ihrer Beiträge zum Krisenmanagement. "Das waren dreistellige Millionen-Investitionen, mit denen die Lanxess-Beschäftigten ihre Arbeitsplätze sicherten", rechnet die stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende Gisela Seidel vor. "Keine betriebsbedingten Kündigungen! Das haben wir durchgehalten", ergänzt ihr GBR-Kollege Werner Czaplik. Als Teil der Antikrisenprogramme Challenge 09 und Challenge 12 wurde zwischen Betriebsräten und Unternehmensleitung vereinbart, die Arbeitszeit weiter unter Tarifniveau zu halten - es gilt die 35-Stunden-Woche für die Tagschicht und die 33,6-Stunden-Woche für Wechselschichtler. Auch der Vorstand verzichtete auf zehn Prozent seiner variablen Vergütung wie auch die leitenden Angestellten ihrerseits auf einen variablen Teilbetrag.

Ende 2008 war Lanxess von massiven Auftragseinbrüchen überrascht worden, die Aufträge gingen bis 40 Prozent zurück, bei manchen Produkten sogar noch weiter. "Das war für uns wie ein Treffer in den Unterbauch", erinnert sich Gesamtbetriebsratsvorsitzender Werner Czaplik. "Die Kollegen in den Anlagen haben die Flaute natürlich gemerkt. Die wissen genau, wie viel rausgeht." Und doch waren die Arbeitnehmervertreter von Lanxess auf ein Krisenmanagement besser vorbereitet als manch andere. "Wir haben seit dem Start von Lanxess immer mit Entwicklungen zu tun gehabt, für die es keine Vorbilder gab", sagt Czaplik. "Auf Unvorhersehbares zu reagieren, das ist war von Anbeginn dieses Unternehmens an unser Thema."

SPIN-OFF BEHAUPTET SICH_ Lanxess startete 2004. Damals fand Werner Czaplik in der Wirtschaftspresse häufiger den Begriff "scrap". Dieses englische Wort musste er nachschlagen. Scrap bedeutet Abfall, Schrott. Das war keine schöne Entdeckung für den Arbeitnehmervertreter. "Schrott" - so bewerteten einige Wirtschaftsjournalisten die neue Firma, in die Werner Czaplik im Jahr 2005 mit rund 20 000 anderen Bayer-Beschäftigten wechseln musste.

Die Beobachter meinten, die Bayer AG wolle ihren Schrott loswerden wie Basis-Chemikalien - Säuren, Laugen, Lösemittel -, die schließlich jeder herstellen könne. Oder die Produktion von synthetischem Kautschuk, der in Autoreifen, Dichtungen, Schläuchen steckt. Das sind doch alte Patente, das wurde doch bereits vor 100 Jahren erfunden, schrieb die Presse. Und in Asien entstehen gerade gigantische Kapazitäten, also weg damit. "Die überleben keine drei Tage!", prophezeiten Finanzexperten. Die Deutsche Bank urteilte: "Mission impossible", und setzte freundlich ein Fragezeichen dahinter.

Was macht ein Konzern, der sich von ungeliebten Produkten trennen will? Er gründet ein neues Unternehmen, macht ein "Spin-off" (rausdrehen). Danach heißt die Liste der Produkte natürlich nicht "scrap", sondern Portfolio. Seht zu, wie ihr mit eurem Portfolio wirtschaftet! Das war die Botschaft des Bayer-Konzerns an das neue Unternehmen, das sich im Januar 2005 an der Börse mit dem Namen "Lanxess" meldete. Ein Kunstwort, das sich zusammensetzt aus dem französischen Verb "lancer" (in Gang bringen) und dem englischen "success" (Erfolg).

Beim "Erfolg-in-Gang-Bringer" startete die Mitbestimmung turbulent. Es gab noch keinen gewählten Betriebsrat, da wurde die Belegschaft schon mit der Ansage von Kostensenkungen und Personalabbau konfrontiert. Also setzten sich IG-BCE-Vertreter und die Noch-Bayer-Betriebsräte der Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen mit der Lanxess-Unternehmensleitung zusammen, um über sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen zu verhandeln. "Unser ‚Solidarpakt‘ hatte seinen Name verdient", sagt Hans-Jürgen Schicker, Betriebsratsvorsitzender von Lanxess im Werk Uerdingen. Dort gab es Anfang 2005 eine solide Auslastung, und trotzdem haben die Uerdinger mitgemacht bei der Absenkung der Arbeitszeit auf 35 Stunden.

Der "Solidarpakt" war rasch geschnürt. Ergebnis: Es werden Arbeitsplätze mit Altersteilzeit und Abfindungen abgebaut. Und die Arbeitszeit wird reduziert. "Weniger Arbeitsstunden bedeuten weniger Einkommen - natürlich stellte sich für uns die Frage, ob wir diese Belastungen noch vor der Betriebsratswahl im Juni 2005 öffentlich machen sollten", schildert Werner Czaplik die Lage. Sie taten es. "Und wir haben die Wahlen in allen Werken solide gewonnen", erzählt Alfred Wagner, Betriebsratsvorsitzender in Leverkusen. Die Ausgliederung war ein echter Spin-off. Lanxess musste völlig selbstständig agieren. Bayer war weder beteiligt, noch gab es Zusagen, dass der Mutterkonzern bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten einspringt. Den Gewerkschaftern vor Ort und den Betriebsräten war klar, dass das abgespaltene Chemie-Unternehmen wettbewerbsfähig werden und an der Börse bestehen musste. "Die Angst um die Arbeitsplätze war da", sagt Werner Czaplik, auch Mitglied im Aufsichtsrat. "Natürlich wusste jeder, dass Bayer die starken Produkte behalten hatte und dass wir mit einem Portfolio der Marke ‚scrap‘ und 1,7 Milliarden Euro Schulden jetzt das hässliche Entlein sein sollten."

SANIERUNG MITGEGANGEN_ Und doch hatten die Betriebsräte noch die alte Welt im Kopf: eine Welt, in der die Bayer-Reserven groß waren und sich irgendwo immer ein Geldsäckchen zum Problembeseitigen fand. Das wurde schlagartig anders. Für Lanxess-Chef Heitmann war Grundsanierung das Thema der ersten harten Jahre. "Seine Ansage war: Kosten runter! Und Kosten runter!", erinnert sich Werner Czaplik. "Es gab viele harte Einschnitte", ergänzt die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Gisela Seidel, "und natürlich Proteste, Demonstrationen und Veranstaltungen zur Sicherung des Besitzstandes. Wir sind schließlich den Weg der Sanierung mitgegangen, weil wir keine wirklichen Alternativen gesehen haben."

Das Portfolio wurde bereinigt, Unternehmensteile verkauft, die tariflichen Öffnungsklauseln wurden genutzt - gemeinsam haben Betriebsräte und IG BCE gestaltet, was zu gestalten ging. "Ich bin sicher, dass wir einen nicht unerheblichen Beitrag zum Überleben dieses Unternehmens geleistet haben", sagt Ulrich Freese, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Lanxess und Vize-Vorsitzender der IG BCE. Die Arbeitszeit wurde von 37,5 auf 35 Stunden gesenkt, was rund 6,7 Prozent Einkommensminderung für die Beschäftigten bedeutete. Solche Kostenentlastungen hätten enorm zur Stabilisierung beigetragen, sagt der Lanxess-Vorstand.
A und O bei einer Sanierung ist die Kommunikation mit der Belegschaft. "Die tariflichen Öffnungsklauseln haben natürlich richtig wehgetan", räumt Wolfgang Blossey, Konzernbetreuer der IG BCE für Lanxess und Bezirksleiter seiner Gewerkschaft in Köln-Bonn ein: "Wir haben jede Maßnahme sehr frühzeitig und vor allem sehr offen mit der Belegschaft kommuniziert. Trotz aller Schwierigkeiten hat sich in dieser Phase kaum jemand von der IG BCE abgewandt."

Die Frage, die für die IG-BCE-Mitglieder immer im Mittelpunkt stand, lautete: Tragen diese Maßnahmen zur Sicherung meines Arbeitsplatzes bei? Blossey weiß: Wer hier Antworten gibt, darf das Vertrauen der Belegschaft nicht verspielen. Dazu gehörte für die IG BCE auch, dass die 18 Lanxess-Betriebsräte Ende 2007 ihre Jahreseinkommen offen auf den Tisch legten mit einer Spanne von 35.000 bis 75.000 Euro.

960 Arbeitsplätze waren in den ersten beiden Jahren nach dem Spin-off sozialverträglich abgebaut worden, einige Produktionsanlagen verkauft. Dann kam das Boomjahr 2008, Lanxess glänzte mit Traumergebnissen. Und rauschte zum Jahreswechsel 2008/2009 in die Krise. Wieder wurden die Arbeitnehmervertreter mit Fragen konfrontiert, für die es keine Vorlage gab.

INNOVATIONEN FÜR GLOBALE MÄRKTE_ Seit einigen Monaten können sich das Unternehmen und seine Arbeitnehmervertreter in Betriebs- und Aufsichtsrat wieder verstärkt um Innovationen kümmern - man setzt auf Technologien für die Aufbereitung und Reinigung von Wasser. So investiert Lanxess 30 Millionen Euro in die "Membrantechnologie" im ostdeutschen Bitterfeld und schafft dort 200 neue Arbeitsplätze.

"Keine betriebsbedingten Kündigungen! Das war auch in der Krise der Kampfauftrag an uns selbst", sagt Betriebsratsvorsitzender Czaplik. Dabei hilft seit Oktober 2009 eine innerbetriebliche Drehscheibe zur Qualifizierung und Stellenvermittlung mit Namen Quest. Das Qualifizierungs-, Einsatz- und Stellenmanagement wird eingeschaltet, wenn eine Anlage wegen Nachfrageausfall mit den Kapazitäten runtergefahren werden muss. Und dort die Arbeit wegfällt. "Quest ist kein Abschiebebahnhof!", sagt Betriebsrätin Seidel auch an die Adresse des Managements. Der Leiter eines Geschäftsfeldes könne nicht einfach bestimmen: "Der hat mir schon lange nicht gepasst - den schick ich zu Quest." Bei der Auswahl der Mitarbeiter sitzt der Betriebsrat mit am Tisch. So habe man für mehr als 60 Prozent der 120 Quest-Beschäftigten eine Lösung gefunden. Sie wurden entweder dauerhaft oder befristet vermittelt oder schieden durch Altersteilzeit und Vorruhestand aus.

Wenn im Mai 2010 der Aufsichtsrat bei Lanxess neu gewählt wird, dann werden Investitionen unser großes Thema sein, schätzt Gisela Seidel. "Wir sagen Ja zur globalen Stärkung unserer Geschäftsfelder. Aber wir wollen, dass auch in das Wachstum der deutschen Werke investiert wird." Werner Czaplik lächelt verschmitzt: "Wenn es um die Sicherung unserer Standorte geht, können wir ziemlich hartnäckig sein."

Foto: Lanxess

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen