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Magazin Mitbestimmung

Anwerbung: Komm nach Deutschland, Pepe!

Ausgabe 07+08/2013

Die Schulden- und Wirtschaftskrise in Europa macht Deutschland für Zuwanderer aus dem Süden attraktiv. Voller Hoffnungen auf eine bessere Zukunft machen sich gut ausgebildete junge Spanier auf den Weg – wie ihre Großväter vor 50 Jahren. Von Reiner Wandler

Mariano Lahera packt. Der 30-Jährige legt die Rückbank seines Autos um, verstaut Taschen, Kisten unterschiedlicher Größen, Gummistiefel. „Morgen geht es los. Nach Deutschland“, sagt er. „Jorb“ – mit hartem Rachenlaut – heiße der Ort und liege am „Neckar“ – mit rollendem R, versteht sich. Lahera ist Agraringenieur. Auf den Erdbeerfeldern eines süddeutschen Großbauern soll er Produktion und Qualität überwachen. Zwar komme er aus der Fischzucht. „Doch ein Produktionsplan ist ein Produktionsplan“, zeigt sich Lahera selbstsicher.

Den Job hat der Madrilene vor wenigen Wochen im Internet gefunden, auf der Seite von World Wide Working, einem privaten Arbeitsvermittler in Alicante an der Mittelmeerküste. „Hier in Spanien gibt es so gut wie keine Arbeit für mich. Deshalb habe ich im Ausland gesucht“, sagt er. Erfahrung sammeln, was anderes sehen und sich eine Zukunft aufbauen, all das verspricht sich Lahera. Zwar kann er kein Deutsch, doch beim Skype-Interview auf Englisch habe ihm sowohl der Vermittler als auch später der Bauer aus Horb sofort zugesagt. „Die Anzeige habe ich vor zehn Tagen gesehen, morgen fahr ich schon“, sagt er zufrieden. Etwas Schinken und Olivenöl werde er einpacken. Das soll den Start in der neuen Heimat erleichtern.

Mariano Lahera ist kein Einzelfall. Offiziellen Zahlen zufolge zog es 27 056 Spanier alleine 2012 nach Deutschland. Das sind knapp 50 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Seit 1973 tauschten nicht mehr so viele die warme iberische Halbinsel gegen den kühlen Norden. Die Krise ließ den Wunsch nach einer Anstellung im Ausland wieder aufkommen. Spanien steckt seit 2008 in der Rezession. Knapp 27 Prozent sind mittlerweile arbeitslos. Bei Jugendlichen ist die Zahl doppelt so hoch.

UMWORBENE FACHKRÄFTE

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Nachricht über den deutschen Arbeitsmarkt in den spanischen Zeitungen steht. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und auch Landespolitiker werben bei jedem Besuch in Spanien um Fachkräfte. Nicht nur die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit, auch Großunternehmen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen halten Jobbörsen ab. Einige Bundesländer haben mit spanischen Regionen Abkommen ausgehandelt – so zum Beispiel vor wenigen Monaten Hessen mit der Hauptstadtregion Madrid.

„Allein in Hessen haben wir bis 2014 ein Defizit von rund 48 100 Beschäftigten mit einer Hochschulausbildung und von rund 30 200 Personen mit einer Berufsausbildung“, begründet der Wirtschaftsminister aus Frankfurt, Florian Rentsch, das Abkommen über „die Förderung der Mobilität von Fachkräften“. Im Pflegebereich sind bereits 30 ausgebildete Krankenschwestern und -pfleger nach Hessen gegangen, 70 weitere werden in den nächsten Monaten erwartet. Im Herbst treten 50 Spanier eine Lehrstelle in Hessen an.

Den Startschuss für die Wanderbewegung gab Kanzlerin Merkel höchstpersönlich bei einem Spanienbesuch Anfang Februar 2011. In einem Gespräch mit ihrem damaligen spanischen Amtskollegen José Luis Rodríguez Zapatero sprach sie von der Arbeitslosigkeit im Süden und dem Fachkräftebedarf in Mitteleuropa. Ein Glücksfall für beide Seiten, heißt es seither immer wieder.

Ricardo Escalpés war einer der Ersten, die diesem Ruf folgten. Der 26-jährige Bauingenieur lebt seit August 2012 in Landshut. Kaum kam er an, unterzeichnete er einen Vertrag als Bauleiter im Praktikum. „Ich hoffe, dass ich bald eine Festanstellung bekomme“, erklärt er über Skype. Derzeit verdient er nur knapp 1000 Euro netto, aber in Spanien sah er keine Zukunft, seit die Bauindustrie nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 zum Erliegen kam.

Anders als Lahera hatte sich Escalpés systematisch auf seine Auswanderung vorbereitet. Er besuchte im Herbst und Winter 2011 mehrere Monate einen Intensivkurs an einer Sprachschule in Madrid, die dem Prüfungssystem des Goethe-Institutes angeschlossen ist. „Deutsch lernen ist nicht leicht, aber wenn man weiß, wofür, dann geht das schon“, erklärt der junge Mann. Das Geld für die Sprachausbildung verdiente er sich als „Mädchen für alles“ bei einem Partyservice.

AUSGEBUCHTE KURSE AM GOETHE-INSTITUT

Bei vielen wird die Erinnerung an die 1960er Jahre wieder wach, jetzt, wo Deutschland erneut Spanier aufnimmt. Mit dem Titel einer spanischen Filmkomödie von 1971, „Komm nach Deutschland, Pepe“, warb die Sprachschule, die Escalpés besuchte, damals mit einem Plakat um die Auswanderungswilligen. „Mein Großvater war Gastarbeiter in Deutschland, und jetzt werde auch ich mein Glück dort versuchen“, kommentiert Escalpés nachdenklich. Doch die neuen Migranten haben ein ganz anderes Profil als ihre Vorgänger in den 1960er Jahren. Es sind keine unqualifizierten Arbeiter. Die meisten sind wie Lahera oder Escalpés Akademiker, sie sind jung und ungebunden, sie reisen mit Koffer im Flugzeug statt mit Kartons im Zug.

Ein Gradmesser für das steigende Interesse an Deutschland ist die Nachfrage nach Sprachkursen am Goethe-Institut. „Die Aussagen der Kanzlerin haben ein enormes Interesse an der deutschen Sprache ausgelöst“, erklärt der Leiter der Sprachabteilung am Institut in Madrid, Manfred Ewel. 2011 stieg die Zahl der Schüler um 40 Prozent, 2012 um weitere 60 Prozent. Längst bieten die verschiedenen Niederlassungen des deutschen Kulturinstitutes spezielle Kurse für einzelne Fachbereiche wie Ingenieurwesen oder Pflegeberufe an. Auch auf Vorstellungsgespräche und auf den deutschen Alltag werden die Schüler vorbereitet. „Seit Februar 2011 sind rund ein Viertel der Schüler Ingenieure, Mediziner und Informatiker, die eine berufliche Zukunft in Deutschland suchen“, berichtet Ewel.

Die Auswanderer sind nicht nur ein Markt für Sprachakademien, sondern auch für private Arbeitsvermittler. Manuel Wagner, einst Mitarbeiter bei Caritas in Köln und dortiger Kontaktmann zum Jobportal der Europäischen Union, EURES, ist einer von ihnen. Mit einem spanischen Partner hat er in Alicante die Agentur World Wide Working aufgebaut. Sie vermitteln Menschen nach Deutschland. Die Gebühren trägt der suchende Arbeitgeber. „Ein unbefristeter Vertrag ist Bedingung, damit wir jemanden schicken“, erklärt Wagner seine Geschäftsphilosophie. Rund 200 Arbeitnehmer hat er bereits vermittelt. 250 Stellenangebote liegen ihm derzeit vor. Und die Monate vor der diesjährigen Sommerpause verbringen Wagner und Kollegen damit, Lehrlinge für deutsche Betriebe zu suchen. Bei ihrem Besuch im Mai in Madrid hat Arbeitsministerin von der Leyen 5000 Lehrstellen für junge Spanier versprochen.

DEUTSCH-SPANISCHE JOBBÖRSEN

Wagner lädt Jugendliche ein. „Wir prüfen Allgemeinwissen, Teamfähigkeit, bauen Druck und Stresssituationen auf und führen persönliche Interviews“, erklärt er. Wer den Filter erfolgreich durchläuft, bekommt einen Vorvertrag für eine Lehre in einem deutschen Betrieb. Mit Geldern aus dem EU-Programm Mobi-Pro/EU erhalten die künftigen Azubis dann den Sommer über einen Crashkurs in deutscher Sprache. Im September geht es dann los – fern der Heimat.

Die 25-jährige Deborah Ruíz aus Alicante ist eine der Auserwählten. Sie wird eine Lehre zur Industriekauffrau in Bayreuth antreten. Ruíz ist Telekommunikationstechnikerin – nur eine Arbeit in ihrem Beruf hat sie nie gefunden. Sie schlägt sich mit Jobs bei einer Fast-Food-Kette und als Hundeausführerin durch. „Hier in Spanien hat uns die Krise auf einen Schlag jede Zukunftsperspektive genommen“, erklärt die junge Frau, warum sie eine erneute Ausbildung antreten will. Etwas Deutsch spricht sie schon. Sie kennt München und Berlin von längeren Reisen und ist deshalb zuversichtlich, sich in der neuen Umgebung schnell einzuleben. „Dennoch macht es mich irgendwie wütend, dass so viele gut ausgebildete junge Leute gehen müssen“, sagt sie. Emigrieren, das war für sie bis vor wenigen Jahren etwas, das sie nur aus den Erzählungen ihres Großvaters kannte, der in den 1960er Jahren in Frankreich gearbeitet hat.

„Deutschland ist eine stark akademisierte Gesellschaft. Zusammen mit der demografischen Entwicklung führt dies dazu, dass Auszubildende vor allem in handwerklichen und technischen Berufen fehlen“, erklärt der Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer für Spanien (AHK Spanien) in Madrid, Walther von Plettenberg. Auch die AHK Spanien hat eine Jobbörse im Internet, führt auf Veranstaltungen Unternehmen und Arbeitsuchende zusammen und arbeitet mit verschiedenen Regionen, um Lehrlinge und Fachkräfte anzuwerben. Job-Anzeigen finden sich auch auf dem EURES-Portal oder direkt auf den Seiten der deutschen Firmen. „Wer Niederlassungen in Spanien hat, sucht sich die Mitarbeiter hier vor Ort häufig selbst aus“, sagt von Plettenberg.

Der Vorteil der Jobtage und Jobbörsen mit lokalen Partnern wie der AHK Spanien sei es, dass dadurch die Bewerber „gefiltert“ würden. Von Plettenberg weiß, dass die Umstellung von Spanien nach Deutschland nicht immer leicht ist. Schätzungen gehen davon aus, dass durch Arbeitsvermittler wie World Wide Working oder die AHK Spanien ausgesuchte Fachkräfte zu über 90 Prozent in Deutschland erfolgreich Fuß fassen. Bei denen, die ihre Auswanderung allein in die Hand nehmen, bleibt – so die Migrationsabteilung der OECD – nur ein Drittel für mehrere Jahre. „Viele finden nicht so leicht Arbeit, wie sie gedacht haben“, erklärt von Plettenberg den Unterschied. Dabei spiele oft die fehlende sprachliche Vorbereitung eine Rolle. Außerdem seien die Familienbande im Süden Europas besonders stark. „Und wenn zu all den Schwierigkeiten noch Probleme in der Heimat hinzukommen, bricht so mancher wieder ab“, erklärt der AHK-Geschäftsführer.

„Der erste Krankenpfleger, der in Hessen feierlich begrüßt wurde, ist längst wieder zurück“, erzählt von Plettenberg. Auch Mariano Lahera hat nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Horb das Auto erneut gepackt, um in Richtung Heimat davonzufahren.

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