zurück
Magazin Mitbestimmung

: Keine Chance gegen die Profitgier?

Ausgabe 10/2010

METALLINDUSTRIE Im bayerischen Peiting will der US-Finanzinvestor das Werk des Leiterhersteller Zarges mit 140 Mitarbeitern schließen und die Produktion nach Ungarn verlagern. Von Stefan Scheytt

Stefan Scheytt ist  Journalist bei Tübingen./Foto: Werner Bachmeier

Vordemokratisch." Das Wort fällt mehrfach an diesem Nachmittag, es hängt im Raum wie schlechte Luft: "vordemokratisch". Am Tisch sitzen Günther Schachner, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Weilheim, 50 km südwestlich von München, und Werner Bäumler, seit 30 Jahren Betriebsratschef bei der Weilheimer Firma Zarges am Standort Peiting. Mit ihrem weichen, gemütlichen bayerischen Slang passen die beiden Männer so schön zur Idylle draußen, wo der Weilheimer Marktplatz wie aus dem Ei gepellt daliegt, wo im "Allgäuer Hof" die Bedienung Dirndl trägt und weiter außerhalb knarzige Bauernhöfe mit Geranienschmuck und Kuhweiden das idyllische Bild prägen. Aber Schachner und Bäumler beschreiben die Gegend ganz anders - als einen ausblutenden Wirtschaftsraum, in dem Unternehmer rücksichtslos Arbeitsplätze opfern. "Agfa, Belfein, Gnettner, Getinge, Hoerbiger, Pfleiderer: In den vergangenen Jahren hat die Gegend viele Hundert Jobs verloren", erzählt Günther Schachner. Und jetzt auch noch Zarges, führender Hersteller von Leitern, Gerüsten und Liften, Umsatz rund 270 Millionen Euro, 1800 Mitarbeiter weltweit: Im Juni kündigte die Firma an, ihr Werk in Peiting mit 140 Mitarbeitern zu schließen und die Produktion nach Ungarn zu verlagern. Die nächste Schramme in der Idylle.

KALTE ABFUHR VOM FINANZINVESTOR_ "Eine Region steht auf!" - Mit dieser Parole mobilisieren die IG-Metall-Verwaltungsstelle und diverse Betriebsräte jetzt immer wieder viele Menschen zu Versammlungen und Demonstrationen, an die 700 kamen im Juli auf den Peitinger Hauptplatz, wo selbst der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt ungewohnt unternehmerkritische Töne anschlug: Das Vertrauen der Mitarbeiter sei durch das Zarges-Management "missbraucht" worden, rief er über den Platz und: "Zeigen wir der Geschäftsführung, dass ihre Entscheidung falsch war." Doch Illusionen gibt sich keiner hin. "Gegen Profitgier hast du keine Chance", sagt Betriebsrat Bäumler am Tisch in der Verwaltungsstelle. Sein häufigster Satz in diesen bitteren Wochen und Monaten lautet: "Der Zweifel am Sieg entschuldigt nicht die Aufgabe des Kampfes."

Werner Bäumler sagt den Satz auch, als er Mitte September am Hamburger Kaiserkai steht. Mit 30 Kollegen aus Peiting ist er nachts im Bus von Oberbayern nach Hamburg gefahren, selbst der Peitinger Bürgermeister ist mit dem ersten Flieger angereist. In Lederhosen, mit Trommeln und Transparenten stehen sie vor der noblen Hamburger Adresse, an der das Privat-Equity-Unternehmen Granville Baird residiert, der Haupteigentümer von Zarges. Mit mehr als 20 Transaktionen in den vergangenen zehn Jahren ist der US-Finanzinvestor einer der aktivsten im deutschen Mittelstand und wurde in der Wirtschaftspresse schon der Lüge bezichtigt. Grund: Der Investor behauptete gegenüber Medien, sämtliche Unternehmen seines Portfolios erwirtschafteten einen operativen Gewinn. Tatsächlich meldeten Firmen bereits Insolvenz an oder sind in einem bedenklichen Zustand. Es überrascht die Zarges-Abordnung deshalb nicht, als die Granville-Manager nicht zu sprechen sind, sie seien gar nicht da, sagt eine Sekretärin durch die Sprechanlage, man könne den Brief ja in den Briefkasten werfen. "Respektlos, vordemokratisch", sagt Werner Bäumler und schiebt den Brief in den Schlitz.

ANONYMER BEIRAT_ Die Aktion in Hamburg war nicht die erste ungewöhnliche Maßnahme des Betriebsrats. Mitte Juli hatten fünf Zarges-Mitarbeiter schon eine Beiratssitzung am Münchner Flughafen "gestürmt", bei der der endgültige Schließungsbeschluss für das Peitinger Werk auf der Tagesordnung stand. Beschämend für Zarges und die Finanzinvestoren: Bis heute weiß der Betriebsrat nicht, wer in diesem Beirat - immerhin das höchste Entscheidungsgremium - sitzt, welche Vertreter von Geschäftsführung, dem Finanzinvestor oder den Banken. Gesellschaftsrechtlich ist Zarges in Weilheim eine GmbH mit weniger als 500 Beschäftigten; erst ab dieser Grenze wären Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vertreten. Wer also Zarges steuert, ist eine Blackbox. Jegliche Auskunft dazu wird den Arbeitnehmervertretern verweigert; Ort und Zeitpunkt des Treffens hatten sie nur mit Tricks herausgefunden und den überraschten Beiratsmitgliedern einen Brief überreicht mit der Forderung, die Argumente der Betriebsräte im Beirat präsentieren zu können. "Bis heute ist das nicht passiert", beklagt Betriebsrat Bäumler und schimpft: "Was für eine arrogante Haltung: Da geht es um den Rauswurf von mehr als 100 Mitarbeitern, aber die Verantwortlichen bleiben anonym. Wir brauchen eine richtige Mitbestimmung: Arbeitnehmer müssen mitbestimmen können, wenn ein Betrieb verlagert werden soll."

Tatsächlich haben Bäumler und der IG-Metall-Bevollmächtigte Günther Schachner gute Argumente gegen die Schließung. So nennt ein von der Geschäftsführung selbst in Auftrag gegebenes Gutachten als Vorteil des Peitinger Werks das "hohe Fachwissen" der Mitarbeiter und die dadurch erbrachte Qualitätsproduktion von "mehr als 99 Prozent"; außerdem, so das Gutachten, sei der Maschinenpark durchschnittlich 17 Jahre alt. Betriebsrat Bäumlers nahe liegende Schlussfolgerung: Würde endlich wieder in Maschinen investiert - "Wir müssen um jede Reparatur betteln" -, "gäbe es hier einen Schwung, dass es kracht". Ergänzt Kollege Schachner: "Gegen das Lohnniveau in Ungarn können wir nicht anstinken, aber wir könnten das Motto ‚Besser statt billiger‘ verwirklichen."

STERNTALER IN UNGARN_ Warum die anonymen Unternehmensführer von Zarges dennoch lieber Millionen für einen Sozialplan ausgeben wollen, als in die Modernisierung eines funktionierenden und nach Informationen des Betriebsrats auch profitablen Werks zu investieren, bleibt Bäumler und Schachner schleierhaft. Zumal die Verlagerung ins ungarische Werk ("Da fließen garantiert EU-Subventionen") keineswegs ohne Risiko ist: "Die Kollegen dort haben nicht das Wissen und die Erfahrung unserer Belegschaft. Zarges wird da noch viel Lehrgeld zahlen müssen", ist Bäumler sicher. Und das ist nur ein Risiko von vielen. So nennt ein vom Betriebsrat engagierter Gutachter etwa das Währungsrisiko (Ungarn hat noch den Forint), das Korruptionsrisiko, das Risiko eines beschädigten Rufs im wichtigsten Markt Deutschland sowie das Risiko steigender Frachtkosten durch steigende Energiepreise, die bei einem Werk in Osteuropa stärker zu Buche schlagen; absehbar ist außerdem, dass durch die Ansiedlung eines Daimler-Werks mit Tausenden von Beschäftigten am selben Ort Zarges einen übermächtigen Konkurrenten um qualifizierte Mitarbeiter haben wird. Wenn diese und andere Risiken eintreten, so das Gutachten, könnte der Geldrückfluss für die Investition in Ungarn im ungünstigsten Fall mehr als sieben Jahre benötigen - und nicht zweieinhalb Jahre, wie die Zarges-Geschäftsführung vorgerechnet habe. "Die glauben ans ‚Sterntaler‘-Prinzip: Wird schon alles gut gehen", mockiert sich IG-Metaller Schachner. So würde die ungarische Alternative schön-, die bayerische schlechtgerechnet.

Und weil sie nicht naiv sind und wissen, dass ein modernisiertes Werk in Peiting eine höhere Produktivität hätte, schlugen Bäumler und Schachner einen sozialverträglichen Personalabbau von 30 Mitarbeitern vor. Dass Zarges auch dieses Entgegenkommen ausschlägt, ist für die beiden ein weiteres Indiz dafür, dass Peiting schon bald nach dem Einstieg des Finanzinvestors 2006 keine Chance mehr hatte. "Die haben ein Werk in Indien dazugekauft, das heute am Boden liegt, das Werk in Spanien funktioniert auch nicht", sagt Werner Bäumler. "Bei den Zukäufen wurden so viele Millionen versenkt, jetzt sollen wir geopfert werden, damit der Finanzinvestor ein ‚schlankes‘ Unternehmen vorzeigen kann, wenn er seine Zarges-Beteiligung wieder verkaufen will."

KOMMT EIN "HEIßER" HERBST?_ Im Besprechungszimmer der IG Metall in Weilheim blättert Werner Bäumler in einem silbernen Jubiläumsband, der vor zwei Jahren zum 75-jährigen Bestehen von Zarges erschien. "Einer der Geschäftsführer erklärt da an einer Stelle, wie wichtig das ‚Made in Germany‘ für Zarges ist, jetzt soll es plötzlich keine Rolle mehr spielen." Bäumler erzählt, dass er nicht mehr ruhig schlafen könne, dass er einen unmenschlichen Druck auf sich lasten fühle. Ihm fällt die Aussage eines Zarges-Geschäftsführers im Wirtschaftsausschuss ein, als die weltweite Wirtschaftskrise begann: "Gemeinsam durch die Krise, gemeinsam aus der Krise." "Danach", fährt Bäumler fort, "haben wir der Kurzarbeit zugestimmt, sie für einen Auftrag unterbrochen und dann wieder kurzgearbeitet." Als er den Geschäftsführer jetzt an sein Wort von der gemeinsamen Krisenbewältigung erinnert habe, habe der das zuerst abgestritten und dann, weil andere sie auch gehört hatten, es einfach zurückgenommen. "Jetzt ist die Krise rum, und man will uns rausschmeißen", sagt Bäumler leise.

Viel spricht dafür, dass es jetzt noch mal laut und ungemütlich wird im gemütlichen Weilheim und Umgebung. Nächtliche Mahnwachen und andere Aktionen sind im Gespräch. "Das Peitinger Werk hat einen Organisationsgrad von 95 Prozent und war 1995 Streikbetrieb", sagt IG-Metall-Bevollmächtigter Schachner. "Wenn denen die Schließung dennoch gelingt, dann nicht, weil sie schlauer sind, sondern weil es die Rechtslage hergibt, dass ein Unternehmer seine Bude einfach zuschließen darf, wann immer es ihm passt. Da lernst du die Fratze des Kapitalismus kennen." 


Hoerbiger-Konzern: Endloses Zittern um Jobs (pdf zum Download)


 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen