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Silke Tober Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Ist der EU-Wiederaufbaufonds richtig?

Ausgabe 03/2020

Ja - sagt Silke Tober, Ökonomin und Leiterin des Referats Geldpolitik im IMK der Hans-Böckler-Stiftung. Nein - sagt Daniel Stelter, Ökonom, Buchautor und Gründer des Diskussionsforums "Beyond the Obvious".

Silke Tober, Ökonomin und Leiterin des Referats Geldpolitik im IMK der Hans-Böckler-Stiftung: Ja. Eine zügige wirtschaftliche Erholung erfordert Maßnahmen, die die Nachfrage erhöhen, die Investitionen anregen und die ökologische Transformation voranbringen. Vorübergehend werden die Staatsschuldenquoten krisenbedingt überall in der Welt deutlich zunehmen. Wie schnell diese Quoten wieder sinken, hängt davon ab, wie ausgeprägt und nachhaltig der Aufschwung ausfällt. Da die Gefahr besteht, dass höhere Schulden in einigen Euroländern steigende Risikoprämien bewirken und einen wirtschaftlichen Teufelskreis auslösen, ist der EU-Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro ein Schritt in die richtige Richtung. Die EU würde dadurch erstmals in nennenswertem Umfang Kredite aufnehmen und die Mittel größtenteils als Zuschüsse an die EU-Regionen leiten.
Zwar wird das Transfer-Volumen zwischen den Ländern letztlich relativ gering ausfallen, weil es in einigen Ländern starken Widerstand gegen ein erhöhtes Transferelement im EU-Haushalt gibt, selbst in dem begrenzten Umfang der deutsch-französischen Initiative oder des jüngsten Vorschlags der EU-Kommission. Aber bereits die gemeinsame Kreditaufnahme ist ein entscheidender Schritt, weil sie europäische Solidarität und Entschlossenheit signalisiert. Nicht nur ist eine erhöhte Stabilität letztlich im Interesse aller EU-Staaten, sondern die EU ist auch mehr als nur ein wirtschaftlicher Zusammenschluss. 

Daniel Stelter, Ökonom, Buchautor und Gründer des Diskussionsforums „Beyond the Obvious“: Nein. Der Einstieg in eine Transferunion wird uns überlasten und bei den Empfängern nötige Reformen weiter verzögern. Ich wünsche mir, dass sich die EU gut entwickelt und der Euro von der geldpolitischen Intensivstation der Europäischen Zentralbank entlassen wird. Der Plan für einen Wiederaufbaufonds erreicht das nicht. Italien, Spanien, Portugal, Belgien, aber auch Frankreich litten schon vor Corona unter zu hohen Staatsschulden. Dieses Problem verschärft sich angesichts der Corona-Krise, und der Wiederaufbaufonds ändert daran nichts. Die Größenordnung ist mit 750 Milliarden viel zu gering – trotz der damit verbundenen Schenkung von mindestens 135 Milliarden Euro von Deutschland an die Nachbarn.
Wir brauchen einen radikalen Neustart für den Euro und die EU. Voraussetzung ist, dass wir die zu hohen Staatsschulden auf intelligente Weise bereinigen. Konkret sollten alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, einen Teil der Staatsschulden auf einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds übertragen. Dieser würde mit sehr lang laufenden Krediten von der EZB refinanziert. Die Staaten könnten ihren wiedergewonnenen finanziellen Spielraum nutzen, um die Wirtschaft zu beleben und zu reformieren. Deutschland könnte mehr im Inland investieren und die Kaufkraft durch Senkung von Steuern und Abgaben gerade im unteren und mittleren Einkommensbereich stärken.

  • Daniel Stelter

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