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Magazin Mitbestimmung

Von ARMIN HIMMELRATH: Israel-Tagung: „Miteinander ins Gespräch zu kommen ist unverzichtbar“

Ausgabe 05/2018

Stiftung Reden, diskutieren, gemeinsame Handlungsoptionen ausloten – darum ging es Mitte April bei der Tagung „Die deutschen Gewerkschaften und Israel“, zu der die Hans-Böckler-Stiftung und das Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien nach Berlin eingeladen hatten.

Von ARMIN HIMMELRATH

Drei Gründe führte Michael Guggemos, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung, für diese Arbeitstagung an: „Es geht um unsere Verpflichtung und Verantwortung, es geht um Kooperation und Freundschaft und es geht – mit dem Blick nach vorne – um unser gemeinsames Erbe als Inspiration für die Zukunft.“

Ein Erbe mit einer jahrzehntelangen Tradition, wie immer wieder betont wurde: Schon in den frühen 1950er Jahren knüpften Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter erste Kontakte zwischen Israel und Deutschland – lange vor der offiziellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Mai 1965.

„Ich fand es interessant zu lernen, mit welcher Vehemenz der DGB Anfang der 60er Jahre eine damals noch zögernde Bundesregierung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel gedrängt hat“, sagte Stephan Steinlein, Staatssekretär und Leiter des Bundespräsidialamts. Sogar eine Unterschriftensammlung für den Botschafteraustausch wurde seinerzeit gestartet.

Eine besondere Rolle, darauf wies Julius H. Schoeps, der Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums hin, spielte dabei der deutsch-jüdische Gewerkschafter Ludwig Rosenberg. Er wurde 1962 DGB-Vorsitzender und war schon zuvor mehrfach nach Israel gereist. „Rosenberg brachte sein Anliegen der Versöhnung unter den Völkern seit 1963 zudem als Vizepräsident des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften ein“, so Schoeps.

Miteinander ins Gespräch zu kommen, sagte Stephan Steinlein mit Blick auf die ebenfalls anwesenden palästinensischen Gewerkschafter, sei unverzichtbar: „Leider sind in den letzten Jahren viele trilaterale Gesprächsformate abgebrochen worden – aus unterschiedlichen Gründen“, so der Staatssekretär in seiner dinner speech. Angesichts von Boykottaufrufen gegenüber Israel – durchaus auch von Gewerkschaftsakteuren – sei das „eine bedauerliche Entwicklung“. Umso wichtiger seien Veranstaltungen wie diese Konferenz, um miteinander im Gespräch zu bleiben.

Der Ort für die Tagung und damit verbunden die klare Absage an alle Boykott-Erwägungen hätte dabei kaum passender gewählt werden können: Die Teilnehmenden trafen sich im IG-Metall-Bau, den der jüdische Architekt Erich Mendelsohn 1928-1930 entworfen und für den Deutschen Metallarbeiterverband gebaut hatte. „Drei Jahre später, im Mai 1933, wurde das Haus von der SA für die ‚Deutsche Arbeitsfront’ besetzt, wobei das Verbandszeichen entfernt und die Hakenkreuzflagge gehisst wurde“, erinnerte Ines Sonder vom Mendelssohn-Zentrum an die Geschichte des Hause.

Doch es war vor allem aktueller Diskussionsstoff, der an diesem Tag in Berlin auf der Tagesordnung von Gewerkschaftern und Stipendiaten, Gästen aus Politik und Gesellschaft stand. Man solle sich auf deutscher und israelischer Seite bitte keinen Illusionen hingeben, warnte etwa Natan Sznaider, Sozialwissenschaftler am Academic College in Tel Aviv-Yafo und prognostizierte: „Der Konflikt wird auch in absehbarer Zeit nicht gelöst werden. Israel wird sich weiter von Europa entfernen und mehr und mehr Teil des Nahen Ostens werden.“

Eine neue Form der Solidarität

Wer sich mit der israelischen Gesellschaft beschäftige, müsse Unübersichtlichkeit, Schattierungen und Widersprüche aushalten und deshalb den Begriff der Solidarität neu belegen: „Klassische rechte und linke Beschreibungen der Realität sind nicht mehr zeitgemäß, suggerieren sie doch jeweils einfache Lösungen, die es in Wahrheit nicht gibt und die sich auch die Politik nicht leisten kann“, so Sznaider. „Eine neue Art liberalen Denkens, die auf die unterschiedlichen Perspektiven in der Gesellschaft Rücksicht nimmt, braucht auch eine neue Form der Solidarität.“ Das sei ganz bestimmt nicht einfach.

Mit provokanten Thesen sorgte Gideon Botsch vom Mendelssohn-Zentrum für Diskussionen. Ihm gehe es um die Wahrnehmung des Nahostkonflikts, sagte Botsch – und die sei, insbesondere in Deutschland, oft problematisch. Denn es gebe hier einige weit verbreitete Irrannahmen über diesen Konflikt.

Dazu gehöre die Vorstellung, dass es eine Konfliktpartei gebe, die das Recht komplett auf ihrer Seite habe und deshalb uneingeschränkte Solidarität verdiene. „Das stimmt genauso wenig wie die Annahme, dass nur ein gerechter Friede einen echten und dauerhaften Friedenszustand gewährleistet“, so Botsch.

Und auch die Vorstellung, der Friedensprozess müsse mit Blick auf einen friedlichen, dauerhaften und gerechten Endstatus zwischen Israelis und Palästinensern gestaltet werden, sei ein Fehler. Gideon Botsch plädierte stattdessen für kleinere Schritt mit Augenmaß und vor allem für eine Rückbesinnung auf zutiefst gewerkschaftliche Ideen: „Wir sollten mit unserem zentralen Wert der Solidarität die gemeinsamen Interessen der abhängig Beschäftigten in Israel und Palästina stärken – jenseits von Herkunft, Nationalität und Religion.“ Eine Aussage, für die es viel Beifall gab.

Immer wieder wurde der Begriff der Solidarität aufgegriffen: sei es bei den Diskussionen um die Situation palästinensischer Arbeiterinnen und Arbeiter in Israel, sei es beim Blick auf mögliche strategische Verbindungen zwischen deutschen Gewerkschaftern und ihren Kolleginnen und Kollegen in Israel und Palästina.

Blick auf die gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmer

Wie kreativ und lösungsorientiert die Tagung angelegt war, zeigten zwei Verabredungen, die spontan getroffen wurden: Zum einen einigten sich Avital Shapira-Shabirow vom israelischen Gewerkschaftsdachverband Histradut, Yitzhak Moyal von der israelischen Bauarbeitergewerkschaft (NUBWW) und Shaher Saed vom palästinensischen Gewerkschaftsverband PGFTU auf eine gemeinsame Informationskampagne, mit der palästinensische Arbeitskräfte in Israel über ihre Rechte aufgeklärt werden sollen.

Und zum anderen soll es zwischen Histradut und DGB, wie früher schon einmal üblich, wieder regelmäßige Treffen der Gewerkschaftsspitzen geben: „Ein wichtiges Zeichen und eine gute Idee“, lobte DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann. So war die Berliner Tagung einerseits selbst ein Zeichen gelebter Solidarität – und andererseits wies sie den Weg in eine solidarische Zukunft, in der trotz unterschiedlicher politischer und gewerkschaftlicher Positionen bei Deutschen, Israelis und Palästinensern vor allem eins im Mittelpunkt steht: der Blick auf die gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Aufmacherfoto: Svea Pietschmann

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