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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW Was bewegt die Führungskräfte, Herr Kraushaar?

Ausgabe 11/2009

Der Leiter für Grundsatzfragen im Verband angestellter Akademiker (VAA) über Arbeitsplatzsorgen und Interessenlagen von Führungskräften.

Die Fragen stellte Matthias Helmer/Foto: Jürgen Seidel

Martin Kraushaar, was interessiert Ihre Mitglieder, die Akademiker und Führungskräfte?
Zentrale Themen sind Arbeitszufriedenheit, Einkommen und Mitbestimmung: Unter unseren Mitgliedern führen wir seit Jahren eine Befindlichkeits- und eine Einkommensumfrage durch. Wir engagieren uns in Fragen des Gesundheits- und Diversity-Managements wie auch beim Arbeitnehmer-Datenschutz. Außerdem ist die Sicherung des Lebensstandards im Alter für Führungskräfte von hoher Relevanz. Aber auch "Karriere und Familie" ist ein Thema, bei dem wir uns noch anstrengen müssen.

In einer Hochqualifizierten-Studie betonen die Wissenschaftler Kotthoff und Wagner, dass Karriereorientierung nicht mehr so wahnsinnig wichtig ist - wichtiger werde Arbeitsplatzsicherheit. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist aus meiner Sicht zu vereinfacht. In unserem Auftrag hat der Soziologe Ludger Pries Führungskräfte nach ihren beruflichen Zielen befragt. Deren Prioritäten sind gleich stark verteilt: Die einen orientieren sich stark auf ihren Beruf hin. Andere fragen sich, wie sie sich am Arbeitsmarkt am besten "verkaufen" oder sich im Unternehmen positionieren. Und einigen ist am wichtigsten, soziale Netzwerke aufzubauen. Wobei die Marktorientierung im jüngeren Alter eine größere Rolle spielt, während in späteren Jahren soziale Netzwerke mehr Gewicht bekommen.

Das klingt logisch. Betriebsräte aus der Unternehmensforschung beklagen, dass alles standardisiert und in betriebswirtschaftliche Kennzahlen gepresst wird. Was sagen Ihre Leute?
Auch wir erleben, dass die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Berufe an Bedeutung verlieren gegenüber den kaufmännischen. Grund ist die Kapitalmarktorientierung der Unternehmen. Das hat zur Folge, dass das mittlere Management sich seines Gestaltungseinflusses nicht mehr so sicher ist. Der Einfluss auf langfristige, strategische Entscheidungen schwindet. Das mag dazu führen, dass man sich Gedanken über den eigenen Arbeitsplatz macht.

Also verändern sich die Interessenlagen der hoch qualifizierten Angestellten?
Meine Auffassung und auch die meines Verbandes ist: Eine hohe Qualifikation zu haben ist allein noch kein Status. Sicherlich spielt es eine Rolle, welcher Abschluss erworben wurde. Aber gerade in einer Wissensgesellschaft muss man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen - Stichwort lebenslanges Lernen. Und dieser Prozess muss begleitet werden, gerade auch von den Verbänden.

Wie kann das aussehen?
Unternehmen und Verbände sollten sich darauf einstellen, dass jemand mit einem Bachelor-Abschluss ins Berufsleben startet und dann erst später seinen Master macht oder seine Promotion nachholt - und dabei Forschungsvorhaben aufgreift, die im Unternehmen laufen. Diese Veränderungen in der Bildungslandschaft sind für alle beteiligten Akteure Chance und Herausforderung zugleich.

Sie haben auch das Verhältnis der Führungskräfte zur Mitbestimmung untersuchen lassen. Wie ist das denn?
Es ist sicherlich richtig, dass man seine Sozialisation nicht einfach an der Garderobe abgeben kann. Unsere Studie hat aber gezeigt, dass der Betriebsrat als Regelungsinstanz auch von den außertariflichen und den leitenden Angestellten als wichtig angesehen wird. Wir wissen aber auch, dass die Erwartungen, die Führungskräfte an die Betriebsräte haben, teilweise nicht erfüllt werden. Verbesserung versprechen sie sich von einer stärkeren Kooperation der Betriebsräte mit Sprecherausschüssen.

Wie steht der VAA zur Mitbestimmung?
Wir beraten unsere Mitglieder und Führungskräfte in Fragen der betrieblichen Mitbestimmung. Und wir haben uns vielfach mit der Europäisierung der Unternehmensmitbestimmung befasst, Stichwort "verhandelte Mitbestimmung in der SE". Die Vorzüge, die aus einer Übertragung der europäischen Mitbestimmung in das deutsche Aktien- und Mitbestimmungsrecht erwachsen sollen, sind aus unserer Sicht nicht hinreichend dargelegt.

Sie schreiben in einem Aufsatz, zwischen VAA und IG BCE bestehe eine "positive Ergänzungskonkurrenz". Was bedeutet das?
Die etwas nervöse Diskussion um Tarifpluralität ist ein auf bestimmte Branchen begrenztes Phänomen - wie bei den ehemaligen Staatsunternehmen oder den Ärzten mit dem Marburger Bund. Dagegen haben wir in der Chemiebranche seit Langem eine unechte Tarifkonkurrenz. Das heißt, es gibt zwar zwei Manteltarifverträge, normalerweise ist es aber immer klar, welcher Tarifvertrag für welche Beschäftigtengruppe angewandt wird. Bei uns gibt es von daher keine Abgrenzungsstreitigkeiten zwischen den Gewerkschaftsverbänden.

Gibt es Gemeinsamkeiten in dieser "Ergänzungskonkurrenz"?
Ein wichtiges Instrument für beide sind Sozialpartnervereinbarungen. Einen zunehmenden Stellenwert bekommt für uns auch die tarifgebundene Sozialpolitik, ein Beispiel ist der Tarifvertrag "Lebensarbeitszeit und Demografie". Da verfolgen wir in der Branche einen anspruchsvollen Ansatz, momentan gibt es aber durchaus noch Schwierigkeiten in der Umsetzung.

Was halten Sie von Mitarbeiterkapitalbeteiligung?
Der VAA beobachtet aufmerksam diese Diskussion. Bisher dominierte auch bei uns die im Arbeitnehmerlager vorherrschende Position, vor Risikoakkumulation zu warnen. Soll man, wenn man das Arbeitsplatzrisiko trägt, auch noch in der eigenen Firma sein Kapital anlegen? Das will wohlabgewogen sein. Und auch hier gilt: Vorbilder aus anderen Ländern sind keineswegs so einfach mal übertragbar.

 

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