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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW "Auf Emissionen gehört ein Preisschild"

Ausgabe 04/2011

Der Potsdamer Klimaökonom Ottmar Edenhofer schlägt einen weltweiten Emissionshandel vor.

Mit OTTMAR EDENHOFER, Vize-Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sprach JOST MAURIN/Foto: Marco Urban

Herr Edenhofer, wie dramatisch ist überhaupt die Lage? Und was schlagen Sie vor?
Im Boden lagern noch 12 000 Gigatonnen Kohlenstoff in Form von Kohle, Öl und Gas. Von diesen fossilen Rohstoffen dürfen wir aber nur noch 230 Gigatonnen - das sind gerade mal zwei Prozent - in der Atmosphäre ablagern. Stoßen wir mehr Treibhausgase aus, steigen die Risiken des Klimawandels in unüberschaubarem Maße. Wir müssen also erreichen, dass die Besitzer von Kohle, Öl und Gas einen Großteil ihrer Ressourcen im Boden lassen. Das aber geht nur, wenn die Verschmutzung der Atmosphäre einen Preis bekommt.

Wie wollen Sie das schaffen?
Das kann vor allem durch einen globalen Emissionshandel geschehen. Zuerst müsste die Weltgemeinschaft sich einigen, dass wir nur noch ein Kontingent von 230 Gigatonnen Kohlenstoff in der Atmosphäre ablagern. Wobei man diese Menge langfristig so verteilen sollte, dass jeder Erdenbürger das gleiche Emissionsrecht hat. Die Folge wäre, dass diejenigen, die wenig Treibhausgase ausstoßen, ihre Emissionsrechte am Markt verkaufen und damit Einnahmen haben. Diejenigen hingegen, die viel fossile Energien verbrennen und kaum auf erneuerbare Energien setzen, müssen dann diese Emissionsrechte kaufen. So geraten sie wirtschaftlich unter Druck, Innovationen zu entwickeln, die ihren Treibhausgas-Ausstoß senken.

Wie viel Geld würde durch diesen Emissionshandel in die Entwicklungsländer fließen? Und woher soll das Geld kommen?
Für Afrika wäre das in der Größenordnung von über vier Prozent seines Bruttosozialprodukts. Das sind auf jeden Fall Summen, die die heutige Entwicklungshilfe bei Weitem übersteigen. Bezahlen für die Emissionsrechte müssten die großen Industrieländer. Der Nahe und Mittlere Osten würde allerdings netto die Hauptlast tragen, weil der Emissionshandel den Ölpreis massiv drücken würde.

Was sollen die Entwicklungsländer mit diesen riesigen Summen machen?
Man muss investieren. Man muss Infrastruktur aufbauen. Man muss ein Wachstum in Gang setzen, das möglichst weite Teile der Bevölkerung erreicht. Aus meiner Sicht ist die Hauptaufgabe, dafür zu sorgen, dass tatsächlich in Bildung, Telekommunikation, in vernünftige Stromnetze und Zukunftsmärkte investiert wird. Gerade Afrika könnte in großem Maßstab Solarstrom zum Beispiel aus der Sahara nach Europa liefern, was ein veredeltes Produkt ist, was eine Wertschöpfung darstellt.

Nicht einmal Deutschland gelingt es, die Wirtschaft schnell auf eine Green Economy umzustellen. Warum haben Sie so viel Vertrauen, dass Entwicklungsländer mit ihren oft großen Korruptionsproblemen das schaffen?
Afrika ist ja nicht auf Ewigkeit zu Korruption und schwachen Regierungen verdammt. Denken Sie an China: Im zwölften Fünfjahresplan sind unglaubliche Energieeffizienzsteigerungen angedacht - und das wird dort auch mittelfristig gelingen. Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass China einen solchen Aufschwung nehmen wird? China hat 600 bis 700 Millionen Menschen binnen weniger als 20 Jahren in die Mittelschicht katapultiert. Warum sollte das Afrika nicht gelingen - sofern dort die Korruption wirksam bekämpft wird?

Der Erfolg der Entwicklungshilfe ist bisher eher mäßig. Glauben Sie wirklich, dass Geldzahlungen aus dem Emissionshandel an den Süden einen nachhaltigen Fortschritt erzeugen?
Warten wir noch einmal fünf Jahre und schauen uns dann die Entwicklungshilfe Chinas in Afrika an. Ich bin mir nicht so sicher, dass die so erfolglos ist. Die Chinesen bieten Afrika einen Deal an: Wir stellen die Infrastruktur zur Verfügung, und ihr gebt uns die Rohstoffe. Das könnten wir Europäer auch machen. Wir könnten aber sagen: Wir kaufen euch die Emissionsrechte ab, mit diesem Geld könntet ihr mit uns zusammen eure Infrastruktur aufbauen. Bisher hat Europa Afrika mit Almosen abgespeist und nicht als Region behandelt, in die investiert werden muss.

Kohle, Öl und Gas lagern auch in Entwicklungsländern. Diese Bodenschätze würden durch Ihr Modell an Wert verlieren. Schadet das nicht den Ländern, denen Sie helfen wollen?
Wer den Wertverlust seiner Ressourcen ausgleichen will, muss auf Innovationen in klimafreundliche und treibhausgasfreie Technologien setzen. Der Ölscheich, der an Einkommen verliert, weil er weniger Öl verkauft, muss zum Sonnenscheich werden. Wir benötigen einen Strukturwandel, der natürlich Gewinner und Verlierer haben wird.

Wie ist es zu rechtfertigen, dass etwas, das allen gehört - die Atmosphäre -, plötzlich Geld kosten soll?
Wem gehört denn derzeit das Gut? Dem Stärkeren. Demjenigen, der am meisten emittiert. Er und seinesgleichen nutzen die Atmosphäre kostenlos als Deponieraum. Beim Emissionshandel hingegen funktioniert das nicht mehr. Indem wir die Emissionsrechte pro Kopf gleich verteilen, wird erst dem Anspruch jedes Erdenbürgers Rechnung getragen, dass jeder das gleiche Recht auf die Emissionen hat. Erst durch die Einführung eines CO2-Preises und durch eine gerechte Zuteilung von Emissionsrechten gehört die Atmosphäre tatsächlich wieder allen. Es würde also eine Umverteilung beendet, die vorher einseitig den Industrieländern genützt hat.

Kann man Ihr Modell nicht auch so beschreiben: Die Entwicklungsländer lassen sich dafür bezahlen, dass sie unterentwickelt bleiben?
Nein, das wäre ein ganz großes Missverständnis. Das Modell, das meine Kollegen und ich vorschlagen, bietet die Möglichkeit, die Mittelzuflüsse aus dem Emissionshandel zu investieren. Das ganze Modell ist ein sehr starker Anreiz, Wirtschaftswachstum vom Emissionswachstum zu entkoppeln. Das ist also kein Programm gegen das Wirtschaftswachstum oder gegen das globale Projekt Wohlstand für alle.

Durch Zahlungen für Klimaschutz dürfte in Deutschland Strom teurer werden, was vor allem arme Bürger träfe. Auch die Gewerkschaft IG BCE hält den derzeitigen Emissionshandel, zumal wenn er auf die EU beschränkt bleibt, für dringend revisionsbedürftig. Ist Ihnen Klimagerechtigkeit?
Ob der Strompreis durch Klimaschutzpolitik sehr stark steigen wird, wage ich zu bezweifeln. Denn wir haben ja eine Menge technischer Möglichkeiten, die Stromerzeugung zu dekarbonisieren - durch erneuerbare Energien, Kohle mit Kohlenstoffabscheidung und so weiter. Wenn doch, dann sollten natürlich diejenigen kompensiert werden, die unter hohen Strompreiserhöhungen zu leiden haben. Entweder durch die Steuerpolitik oder durch andere sozialpolitische Maßnahmen.

Welche Rolle würde Atomkraft in Ihrem Szenario spielen?
Bei der Nutzung der Kernkraft gibt es immer ein erhebliches Risiko - das war übrigens auch vor Fukushima klar. Beschreiben lässt es sich mit der einfachen Formel: Eintrittswahrscheinlichkeit mal Schadenshöhe. Nun ist bei einem Atomunfall die Wahrscheinlichkeit klein, der potenzielle Schaden aber extrem groß. Ein solches Risiko sollte man nicht hinnehmen, wenn es Alternativen gibt. Studien zeigen, dass man global auf den Neubau von Kernkraftwerken verzichten könnte, ohne den Klimaschutz und die Energieversorgung zu gefährden. Die Vermeidungskosten würden bloß von etwa 0,6 Prozent auf etwa 0,7 Prozent des Weltsozialprodukts steigen.

Würde es nicht die CO2-Bilanz verschlechtern, wenn - statt Kernkraft - andere Energieträger genutzt werden?
In der Tat sähe die Lage anders aus, wenn man das umstrittene Abspalten von CO2 aus Abgasen beispielsweise von Biomassekraftwerken und das Verpressen in unterirdische Speicher, CCS genannt, aus technischen Gründen oder wegen mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz nicht einsetzen könnte. Das würde Klimaschutz deutlich teurer machen. Was zeigt, dass auch ein Verzicht auf die Kernkraft durchaus Risiken birgt. Die Politik kann aber zwischen diesen sehr verschiedenartigen Risiken wählen.

Ihre Vorschläge würden den Reichtum auf der Welt umverteilen. Wie rechtfertigen Sie als Marktwirtschaftler diesen Eingriff ins Eigentum?
Wir haben hier einen Fall von Marktversagen. Weil Preissignale und Zugangsschranken fehlen sowie Kosten und Nutzen ungleich verteilt sind, wird eine Ressource - die Atmosphäre - übernutzt. Das führt am Ende für alle zu Ineffizienzen. Nur Regulierung kann globale Gemeingüter schützen. Wenn Gemeinwohlgründe dafür sprechen, in private Eigentumsrechte einzugreifen, dann ist das also ökonomisch und moralisch gerechtfertigt. In der Sozialen Marktwirtschaft gilt die Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

Was würde denn sonst passieren?
Wenn wir auf Emissionen nicht endlich ein Preisschild kleben, bekommen wir einen gefährlichen Klimawandel. Und der Klimawandel hat auch einen ökonomischen Verteilungseffekt. In China zum Beispiel würde im Sommer die Wasserversorgung sehr schwierig werden, und das würde vor allem die Ärmeren treffen. Der gefährliche Klimawandel wird vor allem der südlichen Hemisphäre schaden, die nördliche wird er eher nicht so hart treffen.

Warum sollten sich dann die USA auf einen Emissionshandel einlassen?
Wenn China, Russland, Brasilien und die USA das Problem ignorieren, ist dagegen wenig zu machen. Aber es hat glücklicherweise in der Geschichte immer wieder Momente gegeben, in denen Staaten in der Lage waren, über das krude nationale Eigeninteresse hinauszublicken. Die Regierungen in China und Indien wissen, dass sie vom Klimawandel am stärksten betroffen sein werden.

Was muss passieren, damit sich die Weltgemeinschaft einigt?
Das nationale Interesse müsste neu definiert werden. Wir müssten verstehen, dass wir durch die ökonomische und ökologische Globalisierung zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden sind. Die Menschheitsgemeinschaft muss lernen, dass wir uns selbst schaden, wenn wir die globalen Menschheitsgüter wie die Atmosphäre, die Ozeane oder die Wälder nicht schützen.

Klimakonferenzen wie die in Kopenhagen haben doch gezeigt, dass diese Einsicht nicht mehrheitsfähig ist. Wie wollen Sie das ändern?
So desaströs die Konferenz in Kopenhagen war, so ist doch etwas Bedeutsames passiert: Die Staaten haben sich zu Emissionsminderungen verpflichtet, die - sofern sie realisiert würden - die Erderwärmung auf drei Grad begrenzen. Wir sind ja in der internationalen Klimapolitik am Punkt Null gestartet, jetzt nehmen viele Staaten wie China massive Emissionsverpflichtungen auf sich, ohne sich völkerrechtlich zu binden. Es ist also nicht aussichtslos. Letzlich gibt es kein Modell, das durchsetzungsfähiger wäre als der Emissionshandel. Ansonsten müssten wir sagen: Wir tun nichts. Das aber wäre fatal.

ZUR PERSON

OTTMAR EDENHOFER, 49, ist Chefökonom und Vize-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Beim Weltklimarat IPCC ist er Vorsitzender einer Arbeitsgruppe, die im Mai einen Special Report präsentiert, der auf rund 1000 Seiten sozusagen das Weltwissen zu erneuerbaren Energien und Klimawandel resümiert. In seinem jüngsten Buch "Global, aber gerecht" entwirft Edenhofer mit Experten der Münchner Rückversicherung und dem katholischen Hilfswerk Misereor ein Modell, das den Klimaschutz und die Bekämpfung von Armut verbindet. Bis 2009 beriet er Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Fragen der Klimapolitik.

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