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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Es gab keine Alternative'

Ausgabe 12/2005

Sie haben die Absatzzahlen im Auge. Und signalisieren "Stopp" beim Personalabbau, wenn das Einsparziel erreicht ist. Rechnen und Gegenrechnen gehört zum Kerngeschäft von Arbeitnehmervertretern. Wie sehen das die Betriebsräte bei Opel, Klaus Franz?


Das Gespräch führte Cornelia Girndt.

Herr Franz, hat Sie im Herbst 2004 die Ankündigung von General Motors überrascht, 12 000 Arbeitsplätze in Europa zu streichen? Eine Auslastung der Produktionsanlagen von nur 60 Prozent bleibt Betriebsräten ja nicht verborgen.
Nein, überrascht hat mich die Zahl nicht. Entsetzt hat mich aber die Brutalität und Ignoranz, mit der GM gegenüber der Region Europa, der deutschen Belegschaft und dem deutschen Management vorging. Die Manager haben beim Pariser Autosalon das Unternehmen regelrecht beschimpft, anstatt über unsere schönen Produkte und unsere gute Qualität zu reden. Außerdem haben sie die deutsche Regierung unter Druck gesetzt, den Kündigungsschutz zu lockern.

Die Adam Opel AG macht seit fünf Jahren keine Profite mehr. Wie hat der Betriebsrat reagiert?
Über den Aufsichtsrat und den Wirtschaftsausschuss kommen wir an alle Daten und Kennzahlen heran. Seit 1997 waren wir in Alarmstellung und haben auf die verfehlte Qualitäts- und Modellpolitik hingewiesen. Wir haben nicht zu viel, sondern zu wenig Mitbestimmung. Uns fehlt ein Vetorecht bei derart eklatanten Managementfehlern.

Aber der Aufsichtsrat bestellt und entlässt doch die Vorstandsvorsitzenden.
Als im Jahr 2001 der Vorstandsvorsitzende entlassen wurde, haben wir daran zentral mitgewirkt. Aber so etwas kann man nicht oft machen.

General Motors, der weltgrößte Autokonzern, steckt in massiven Schwierigkeiten, die Rede ist von 280 Milliarden Dollar Schulden, dazu drücken Pensionszusagen und Gesundheitskosten das Ergebnis. Die Aktie hat Ramschstatus. War da das Angebot nicht kulant, den Personalabbau in Deutschland mit einer Milliarde Dollar abzufedern? 
Das hat man uns nicht angeboten, es war das Ergebnis von achtwöchigen, heftigen Verhandlungen. Wir warnten vor betriebsbedingten Kündigungen und davor, dass dann genau die Mannschaft das Unternehmen verlassen muss, die eigentlich die Zukunft bedeutet. Auch die Führungskräfte machten dem Top-Management klar: Wenn uns diese Qualifikationen fehlen, können wir bestimmte Projekte nicht mehr durchziehen.

Mehrere große Automobil-Konzerne versuchen derzeit, über Abfindungen Überkapazitäten abzubauen. Was hat der Betriebsrat bei Opel verlangt?
Bei uns steigen mit höherem Alter und längerer Betriebszugehörigkeit die Abfindungssummen. Es muss so viel rüberkommen, dass sich jemand eine neue Existenz aufbauen kann. Ein gut verdienender Facharbeiter, der 25 Jahre bei Opel tätig war, kommt auf über 200.000 Euro.

Würde das heute die Konzernmutter aus den USA noch bezahlen können?
Ich glaube, wir haben hier die letzte Chance genutzt, um dieses Geld zu bekommen.

War der massive Personalabbau unvermeidlich?
Wir hatten ja die Kennzahlen im globalen Wettbewerb analysiert: Der Vergleich mit Toyota, mit den französischen Automobilfirmen, aber auch innerhalb der deutschen Automobilindustrie hat ergeben: Wir müssten mit dem Personal, das wir bei Opel an Bord haben, einen um drei Prozent höheren Weltmarktanteil erzielen. Das hat letztlich innerhalb von fünf Jahren zu Verlusten von 2,4 Milliarden Euro geführt.

Sind rechtzeitige Restrukturierungen versäumt worden?
Ja und nein. Mit dem Restruktuierungsprogramm "Olympia" haben wir bereits im Jahr 2001 in Europa Kapazitäten von 350 000 Pkw-Einheiten aus der Produktion herausgenommen - auf der Basis unseres europäischen Rahmenvertrages, der Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen ausschließt.

Ein gutes Programm: Kosteneffizienz auf der einen Seite, Wachstum auf der anderen. Hier in Rüsselsheim haben wir eineinhalb Jahre lang eine Schicht über Arbeitszeitverkürzung gehalten, wobei auch die Angestellten durch Abgabe von Gleitzeitguthaben dazu beitrugen den Lohnverlust der Kollegen in der Produktion auszugleichen.

Aber alles das hat nicht gereicht?
Die Konjunktur ist nicht angesprungen, bei keinem der Automobilunternehmen. Die Verkäufe gingen immer weiter nach unten. Aus diesem Grund musste nachgesteuert werden. Ich sage heute, nach einem Jahr Distanz: Es gab zu dem schmerzhaften Einschnitt keine Alternative. Sonst gäbe es Opel heute nicht mehr.

Tausende Mitarbeiter mussten sich innerhalb von wenigen Wochen entscheiden, ob sie bleiben oder die Abfindung annehmen wollten. Eine grausame Vorstellung!
Es herrschte Ausnahmezustand. Manche Kollegen waren in der dritten Generation bei Opel. Es gab unterschiedliche Motive, die Abfindungen anzunehmen. Die einen haben gesagt: "Jetzt mache ich, was ich schon immer wollte, und bekomme noch gutes Geld." Die anderen haben die Chance genutzt, weil sie nicht wussten, ob ihnen sonst betriebsbedingt gekündigt wird. Und bei manchen haben die Vorgesetzen geschoben und ihnen klar gemacht: "Wenn es zu härteren Maßnahmen kommt, sind Sie dabei."

Was ist an dieser Entscheidung noch freiwillig?
Die Alternative ist, ins Leere zu fallen. Mit der Kombination aus Abfindungen und einer Qualifizierungsgesellschaft haben wir das Möglichste herausgeholt. Rund 1200 Mitarbeiter gehen in ein Joint Venture mit dem Unternehmen CAT Logistic, und für 2500 konnten wir noch kurz vor Torschluss die Altersteilzeit realisieren. Viele ausländische Kollegen gehen in ihre Heimatländer zurück und nehmen die Abfindung mit. Ich bedanke mich immer bei den Menschen, die das Unternehmen verlassen haben. Sie haben den Zukunftsvertrag möglich gemacht, und dass die Adam Opel AG weiter existieren kann.

Wie kommt es, dass nun aktuell 1500 Stellen weniger als vereinbart abgebaut werden? Wer rechnet da und sagt Halt?
Unmittelbar nachdem GM den Arbeitsplatzabbau öffentlich gemacht hatte, haben wir Arbeitnehmervertreter in einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung erreicht: Wir zählen nicht die Köpfe, das Entscheidende sind die Einsparungen von 500 Millionen Euro. Die sind jetzt erreicht.

Woher weiß das ein Arbeitnehmervertreter?
Die Kostenstruktur wird uns gegenüber offen gelegt. Wir erhalten die Daten und eine Prognose bis 2010 - so lange läuft ja unser Zukunftsvertrag. Wir haben die Einsparungen und die Prognosen durchkalkuliert. Wir - das sind der Wirtschaftsausschuss, der Aufsichtsrat und vor allem die Verhandlungskommission, die aus den Betriebsratsvorsitzenden der einzelnen Opel-Standorte besteht.

Von den insgesamt 12 000 Stellen, die in Europa gestrichen wurden, fielen 9500 auf Deutschland. Warum?
Von den Fahrzeugen, die in Deutschland produziert werden, verkauft Opel in Deutschland nur noch 28 Prozent. 72 Prozent werden ins europäische Ausland exportiert, wo Opel aber pro Fahrzeug im Schnitt zwischen 10 und 15 Prozent weniger erlöst. Diese Verschiebung hat immense Auswirkungen auf den Umsatz und den Profit. Dem mussten wir irgendwo Rechnung tragen.

Renditedruck ist also nicht das Problem?
Die meisten Automobilkonzerne verdienen mit dem Automobilbauen selbst ganz wenig Geld. Wer hier eine Rendite von 3,5 bis 4 Prozent erzielt, ist fantastisch aufgestellt, die meisten verdienen ihr Geld mit Finanzierungsgeschäften.

War der massive Personalabbau auch der Preis für hohe Produktivität, damit Opel die Nase künftig vorn hat im Wettbewerb der Standorte?
Wir haben jetzt die Werke ausgelastet und strategisch wichtige Bereiche im Unternehmen bei uns. So sind wir weltweit verantwortlich für die Kompakt- und die Mittelklasse und haben die Entwicklungsverantwortung für acht Marken von GM, außerdem das Designzentrum für alle europäischen GM-Marken - neben Opel auch Saab, Vauxhall und Chevrolet.

Und die Schweden schauen in die Röhre?
Das weise ich als Vorsitzender des Eurobetriebsrats vehement zurück! Als GM den "Schönheitswettbewerb" zwischen den Standorten ausrief, also erklärte, die Mittelklasse könne künftig nur in Rüsselsheim oder in Trollhättan gebaut werden, war ich am Tag darauf bei meinen schwedischen Kollegen. Wir haben gesagt: Niemand wird lokal verhandeln, ehe es nicht einen europäischen Rahmentarifvertrag gibt, der Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Letztlich war der Vorteil von Rüsselsheim das neue Werk, das sehr flexibel arbeitet und für das weniger Investitionen notwendig sind.

Der Prozess wurde diesmal auch vom Europäischen Metallarbeiterbund moderiert.
Ja, alle waren dabei, die IG Metall, Svenska Metal, die Betriebsräte. Je mehr uns das Management in eine Konkurrenz hineinzwingt, desto mehr haben wir die europäische Solidarität organisiert. Die Bewährungsprobe kommt im nächsten Jahr, wenn es zwischen England, Belgien, Deutschland, Polen und Schweden um die Astra-Standorte geht.

Wurden im "Schönheitswettberb" zwischen Rüsselsheim und Trollhättan auch die Kennzahlen kontrovers eingeschätzt?
Zu Beginn hat GM uns die Arbeitskosten aller europäischen Standorte vorgehalten: Danach betrugen die schwedischen Arbeitskosten 54 Prozent der deutschen. Wir haben das nicht geglaubt, sondern mit der internationalen Abteilung der IG Metall und mit Svenska Metal nachgerechnet. Ergebnis: Der Unterschied ist nicht 46 Prozent, sondern "nur" 26 Prozent.

Das Unternehmen musste seine Berechnung korrigieren?
Ja.

Woher beschaffen Sie sich das Know-how?
Wir brauchen die Unterstützung von den Gewerkschaften und von der Hans-Böckler-Stiftung. Und wir arbeiten mit mehreren Wirtschaftsprüfern zusammen. Gerade habe ich mit einer renommierten Kanzlei über die Bildung einer SE, der Europäischen Aktiengesellschaft, gesprochen. Die haben von sich aus Kontakt aufgenommen.
 
Sollte GM Europe eine Europäische Aktiengesellschaft gründen?
Ich bin zu 100 Prozent überzeugt: Wenn wir die 101 europäischen GM-Unternehmen zu einer SE zusammenfassen, würde das diesem internationalen Unternehmen mehr als gerecht. Es spart Geld, und es wird dort mitbestimmt, wo die Musik gemacht wird. Zehn Arbeitnehmervertreter aus ganz Europa würden im Board dem Präsidenten, Chairman und Vice President von GM gegenübersitzen.

So ein Modell muss man erstmal verhandeln und durchsetzen. Ist GM interessiert?
Der Vorschlag kam von uns, das ist schon verdächtig. Und zweitens ist GM strukturkonservativ. Aber wir lassen nicht locker. Wir haben jetzt ein European Economy Committee, einen europäischen Wirtschaftsausschuss, wo die Arbeitnehmervertreter über die Businesspläne der nächsten Jahren und den Zehn-Jahres-Produktplan informiert werden. Damit haben wir auch Länder wie Großbritannien oder Portugal, die kein kollektives Recht mehr kennen, ins Boot geholt, basierend auf dem deutschen Mitbestimmungsrecht.

Sie haben mehrfach angeregt, dass GM seine Europa-Zentrale verlegen sollte - "weg von der Parkbank in Zürich". Am besten nach Rüsselsheim?
Das kann Frankfurt sein oder Brüssel. Im Ernst - ich finde, die Manager gehören dorthin, wo sie den Atem der Belegschaften spüren, die kriegen doch sonst nichts mehr davon mit, wie die Menschen denken.

Die haben ihre Kennzahlen.
Dieser Fetisch explodiert eben manchmal, wenn man die Menschen nicht mit Zahlen oder Präsentationen überzeugen kann, und dann gehen die Leute auf die Straße. Klar, wir werden in Deutschland noch weitere Deregulierungen sehen. Es wird bei den Löhnen nach unten gehen, die anderen werden sich angleichen.

Das wird auch die Mitbestimmung nicht verhindern?
Für mich ist die Mitbestimmung ein zentraler Standortvorteil. Erst vor zwei Monaten hat mir in einem Gespräch Rick Wagoner, der Vorstandschef von GM, gesagt, er lerne die Mitbestimmung wertzuschätzen, wenn er sieht, wie derart gravierende Probleme in Europa und insbesondere in Deutschland mit Mitbestimmung bewältigt werden können. Die Frage ist doch: Welches Wirtschaftssystem wird sich weltweit durchsetzen? Wie gehen wir mit der gefühlten und der tatsächlichen Ungerechtigkeit um? Wie zivilisiert und ethisch ist unser Wirtschaftssystem?

Sie sprachen von Ethik - aber die Kennzahlen kennen keine Ethik.
Controlling ist normal und notwendig. Aber das Elementare ist doch, welchen Charakter, welche Wertvorstellungen und welchen ethischen Rahmen handelnde Personen haben - das lässt sich so nicht beziffern. Mit Controlling kann man Belege nachprüfen.

Und man kann damit enormen Druck machen in Richtung Profitabilität und Zielerreichung.
Als Betriebsräte und Aufsichtsräte brauchen wir ein Risiko-Management, das mehr als Bilanzkennzahlen umfasst. Daran arbeiten wir gerade im Aufsichtsrat. Wir dürfen nicht länger ideologische Debatten um Fluch und Segen von Kennzahlen führen, sondern wir müssen unsere eigenen Bewertungskriterien entwickeln und damit in die Offensive gehen.




Zur Person

Klaus Franz ist ein Co-Manager und ein "klasse Kämpfer" - so zumindest würdigte ihn die Financial Times. Der 53-Jährige, der im Jahr 1975 als linker Lackierer in der Produktion in Rüsselsheim begann, ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats sowie Vize-Aufsichtsratsvorsitzender der Adam Opel AG.

Unter der Leitung von Klaus Franz ist das Europäische Arbeitnehmerforum von General Motors zu einem Vorreiter der Arbeitnehmermitbestimmung geworden. Mit Rahmenverträgen und europaweiten Aktionstagen haben Eurobetriebsräte und Belegschaften von Opel, Vauxhall und Saab erfolgreich gegen die Kahlschlag- und Standortpolitik des GM-Konzerns mobilisiert.

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