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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Bei uns gibt es die zweite Chance'

Ausgabe 01+02/2006

Der Arbeitsdirektor der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg, Peter Gasse, über die Möglichkeiten, lernschwachen Jugendlichen in den Beruf zu helfen.


Das Gespräch führte die Journalistin Helga Ballauf.


Sinkt die Ausbildungsreife der Jugendlichen wirklich? Welche Erfahrung machen die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM)?
Die Ausbildungsreife der Bewerber ist seit Jahren auf niedrigem Niveau. Die Defizite in den Kulturtechniken sind nichts Neues, und sie existieren unabhängig vom Schulabschluss: Ein Abiturient kann in Orthografie genauso schlecht sein wie ein Realschulabsolvent.

Nach welchen Kriterien suchen Sie dann Azubis aus?
Die Bewerber machen einen Eignungstest, der auf die beruflichen Anforderungen zugeschnitten ist und sich nicht an Schulabschlüssen orientiert. Das heißt, wir sagen nicht von vornherein: Wer nur einen Sekundarstufe-I-Abschluss hat, kommt für anspruchsvolle Berufe gar nicht in Frage.

Für wie viele Ausbildungsplätze gilt das bei HKM?
Bisher haben pro Jahr 40 Jugendliche eine gewerbliche oder kaufmännische Ausbildung begonnen. Nun haben wir - bei rund 3000 Beschäftigten insgesamt - die Zahl auf 50 Lehrstellen pro Jahr erhöht und konzentrieren uns künftig auf die Metallberufe. Dazu kommen zehn Plätze in der Nachschulung zum Sekundarstufe-I-Abschluss.

Was hat man sich darunter vorzustellen?
Das ist ein berufsvorbereitender Lehrgang im Berufsfeld Metall. Er findet in der Firma statt. Die sozialpädagogische Betreuung hat ein freier Träger übernommen. Geschult werden junge Leute aus jener Gruppe, die bei unserem Eignungstest schlecht abgeschnitten haben. Die konkrete Auswahl, wer diese "zweite Chance" bekommt, trifft jeweils die Arbeitsagentur. Jeder Jugendliche, der den Jahreskurs besteht, erhält eine Lehrstelle in der Firma. Im letzten Kurs ist das acht der zehn Teilnehmer gelungen. Keine Alibiveranstaltung also. 

Warum bieten Sie 2005 mehr Ausbildungsplätze an? Braucht HKM mehr Nachwuchskräfte?
Nein. Auch bei uns heißt die Entwicklung: Produktivitätssteigerung bei sinkenden Personalzahlen. Wir haben bei der Ausbildung ausschließlich deshalb aufgestockt - bis an die Kapazitätsgrenze der Abteilung -, um etwas gegen den Engpass auf dem Lehrstellenmarkt zu tun.

Wie konnten Sie das durchsetzen? 
Drei Dinge haben mir geholfen: Der Berliner Ausbildungspakt war eine gute Berufungsinstanz, um mehr Plätze als personalpolitisch nötig durchzusetzen. Ein gutes Argument für mich als Arbeitsdirektor lieferte auch der neue Tarifvertrag für die Stahlindustrie in NRW: Weil die Ausbildungsvergütung mäßig steigt, kann man mit der Zahl der Plätze hochgehen. Dazu kommt, dass es Tradition hat in den Unternehmen mit Montanmitbestimmung, Verantwortung für die Jugend zu übernehmen.

Lässt sich die Krise des dualen Systems mit Appellen, Anreizen und Androhungen lösen?
Viele Unternehmen, die qualifizierte Kräfte brauchen, bilden aber nicht aus. Daran krankt das Ausbildungssystem. Jedes Engagement, die Unternehmen zu mobilisieren, lohnt sich. Das reicht von Appellen wie im Ausbildungspakt bis zu gezielter Ansprache durch die Kammern. Dagegen bin ich kein Freund einer Umlagefinanzierung. Sie bringt nicht automatisch mehr Plätze, aber viel Bürokratie. Und sie ist politisch einfach nicht durchsetzbar.

In den DGB-Gewerkschaften gibt es Streit, ob eine Ergänzung des dualen Systems durch Lernortkooperationen und schulische Berufsausbildungen sinnvoll ist.
Grundsätzlich teile ich die Bedenken der IG Metall, dass jede weitere Form der Berufsausbildung das duale System gefährdet: Wenn ein Betrieb sieht, dass die Lernortkooperation mit einem schulischen Partner billiger kommt, wird er zugreifen. Nur: Nicht in jeder Region kann man sich diese Bedenken leisten. Hier im Ruhrgebiet beispielsweise gibt es Angebote vollzeitschulischer Berufsausbildung, seit der Montanbereich in der Krise steckt. Und ich bin froh, wenn Schulen solche Ausbildungen machen. Das ist besser, als Jugendliche in Maßnahmekarrieren zu drängen. 

Also das eine tun und das andere nicht lassen?
Ich sage ganz deutlich: Den Luxus von Grundsatzdebatten kann sich nur leisten, wer nicht vor Ort Lösungen für die jungen Menschen finden muss, die jetzt ganz konkrete Unterstützung brauchen. Beides ist notwendig: Soforthilfe und eine kritische und solidarische Diskussion über das System.

Sie vertreten auch bei zweijährigen Ausbildungen eine von der IG-Metall-Linie abweichende Position. Warum?
Wir müssen bei den "schwächeren Jugendlichen" genau differenzieren, wen wir vor uns haben. Da sind beispielsweise diejenigen, die wir nachschulen, damit sie danach eine ganz normale Berufsausbildung schaffen. Es gibt aber auch die wirklich Schwachen, die jetzt in Trainingsmaßnahmen bei Wohlfahrtsverbänden wie der Diakonie oder der AWO hängen bleiben. Für viele von ihnen ist die Schule ein Ort des Misserfolgs. Sie haben keinen Bock mehr auf Theorie, stehen aber auch keine übliche duale Ausbildung durch: Wer diese jungen Leute von dem Stigma "ausbildungsunfähig" befreien will, muss eine stark praxisorientierte Ausbildung anbieten.

Kann das gelingen?
Ich beobachte zum Beispiel mit großer Freude, dass dank der Stufenausbildung im Kfz-Handwerk in NRW junge Leute in Autowerkstätten unterkommen, die nach der Neuordnung des Berufs als "Automechatroniker" nie eine Chance gehabt hätten. Spannend ist die Frage, wie diese jungen Menschen den Übergang zur zweiten Stufe nutzen werden.

Wer muss in die Gänge kommen, damit das "Recht auf Ausbildung für alle" nicht nur auf dem Papier steht?
Die Unternehmen verweisen auf die hohen Qualifikationsanforderungen und sagen, für die schwächeren Jugendlichen müssen die Schulen mehr tun. Meine Forderung richtet sich an den DGB: Wir müssen etwas entwickeln, damit auch die Schwächsten der Schwachen zu einer Ausbildung kommen und nicht mehr nur Warteschleifen in Maßnahmen drehen.

 

Zur Person
Peter Gasse, 50, ist seit Juli 2004 Arbeitsdirektor bei der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH in Duisburg. In diesem Unternehmen hat Gasse eine Lehre als Starkstromelektriker gemacht. Er war außerdem Jugendvertreter und Betriebsratsmitglied. Es folgten fast 30 Jahre als IG-Metall-Funktionär, zuletzt als Bezirksleiter Nordrhein-Westfalen.

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