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Arbeitsdirektor Schaaff im Düsseldorfer Werk Magazin Mitbestimmung

Jobbörse: Licht am Ende des Rohrs

Ausgabe 04/2023

Der Stahlrohrhersteller Vallourec schließt seine letzten Werke in Deutschland. Das Management will die Produktion ins kostengünstigere Ausland verlagern. Über 2000 Menschen verlieren ihren Job – doch der Arbeitsdirektor überlässt sie nicht ihrem Schicksal. Von Kevin Gallant

Herbert Schaaff hat keine Lust mehr auf schlechte Nachrichten. In den vergangenen Jahren musste er als Arbeitsdirektor beim Stahlrohrhersteller Vallourec, ehemals Mannesmannröhren-Werke, diverse Restrukturierungswellen, Kosteneinsparprogramme, Personalabbau und eine Werksschließung meistern. Heute ist Schaaff noch für rund 2100 Mitarbeiter in Deutschland verantwortlich, vor zehn Jahren waren es über 4000.

Im Mai vergangenen Jahres dann der Höhepunkt der schlechten Nachrichten: Das Konzernmanagement gab bekannt, dass auch die letzten beiden deutschen Standorte in Düsseldorf-Rath und Mülheim an der Ruhr aufgegeben werden sollen. Sie seien nicht wirtschaftlich. Produziert werden soll künftig im Ausland, vor allem in den kostengünstigeren Werken in Brasilien.

Vallourec in Deutschland stecke seit Jahren in den roten Zahlen. „Wir schreiben ungefähr 100 Millionen Euro Verlust bei einem Umsatz von rund einer Milliarde“, sagt Schaaff. Der zwischenzeitliche Plan, die Werke zu verkaufen, blieb erfolglos. Es fand sich kein geeigneter Käufer. Nachdem die Schließung der Werke bekannt gegeben wurde, handelte die IG Metall gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat sechs Monate lang einen für beide Seiten guten Interessenausgleich und Sozialplan aus.

Das Telefon stand nicht mehr still

Nachdem die Werksschließungen beschlossen waren, klingelte bei Herbert Schaaff immer öfter das Telefon. Für die bald beschäftigungslose Belegschaft interessierten sich andere Unternehmen. „Es wurde irgendwann zu viel“, erzählt Schaaff, „aber wir wollten natürlich trotzdem dabei helfen, die Kollegen direkt von Arbeit in Arbeit zu bringen.“ So kamen der Arbeitsdirektor und sein Team auf die Idee, eine Jobbörse für die Belegschaft auf die Beine zu stellen. „Etwas Konstruktives zu machen, hat eine neue, positive Dynamik in die Abteilung gebracht“, sagt Schaaff. Neben die Umsetzung von Interessenausgleich und Sozialplan trat damit die konstruktive Hilfe bei der Suche nach neuen Jobs für die betroffenen Beschäftigten.

Hoher Bedarf an Fachkräften

Unterstützt wurde Schaaff dabei von den Agenturen für Arbeit aus Düsseldorf und Oberhausen. Die bezogen sogar Räume auf den Werksgeländen von Vallourec. „Die Mitarbeiter konnten direkt vor oder nach der Schicht hingehen und mussten keine weiteren Wege auf sich nehmen“, sagt Schaaff.

Anfang des Jahres lief die erste Jobbörse an. Die Beschäftigten konnten sich direkt mit den Unternehmen austauschen und ihre Bewerbungsunterlagen abgeben. Rund 60 Firmen seien bisher bei den acht Jobbörsen dabei gewesen. „Alunorf, Rheinmetall, Deutsche Bahn, sogar die JVA Düsseldorf, aber auch branchennahe Unternehmen wie Thyssenkrupp MillServices oder Siemens Energy waren hier“, sagt Schaaff. Die Nachfrage sei so hoch gewesen, weil der Großteil der Belegschaft sehr gut qualifiziert sei und eine hohe Unternehmensbindung mitbringe: „Viele haben hier ihre Ausbildung gemacht“, sagt Schaaff. „Der Fachkräfte­mangel spielt auch eine Rolle.“

Viele Firmen suchen händeringend Personal, deswegen wurde regelrecht um unsere Mitarbeiter gerungen.“

Herbert Schaaff, Arbeitsdirektor beim Stahlrohrhersteller Vallourec

  • Vallourec Mitarbeiter Christoph Mateblowski
    „Wir sind wie eine große Familie“, sagt Christoph Mateblowski. Er arbeitet künftig bei ABB.
  • Vallourec Mitarbeiter Erol Kücükarslan
    Erol Kücükarslan wechselt zu Thyssenkrupp Steel.
  • Vallourec Mitarbeiterin Victoria Niers
    Victoria Niers kümmert sich um die Übernahme der Auszubildenden.

Christoph Mateblowski arbeitet seit 2007 bei Vallourec. Der 44-Jährige hat sich hochgearbeitet vom Speditionskaufmann über das Projektmanagement bis zum Zollbeauftragten. Die Arbeit fasziniert ihn noch immer. „Die Walzen und den heißen, glühenden Stahl zu sehen, aus dem die Rohre entstehen, das ist immer noch spektakulär“, sagt er.

Obwohl es immer weiter bergab ging, habe er das Unternehmen nie abschreiben wollen. „Arbeit und Geld würde man auch woanders bekommen, doch hier hat immer der Zusammenhalt gezählt“, sagt er. „Wir sind eine Art große Familie, und die hat immer gehofft, dass es doch noch irgendwie weitergeht – vergeblich.“

Weil viele Beschäftigte schon lange bei Val­lourec arbeiten, bot die Agentur für Arbeit auch ein Bewerbungscoaching an. „Viele wussten nicht mehr, wie man sich bewirbt, weil die eben schon seit Jahrzehnten hier sind“, sagt Schaaff. Da helfe es, Experten einen Blick in seine Unterlagen werfen zu lassen und teilweise ganz neue Unterlagen zu erstellen.

Christoph Mateblowski hat von seinen Kollegen nur Positives über die Jobbörse gehört. Auch er hatte Erfolg: Im September fängt er bei dem Energie- und Automatisierungstechnik­unternehmen ABB an, wieder beim Zoll.

Auch Thyssenkrupp Steel meldete sich bei Herbert Schaaff. Der Konzern organisierte zwei Onlineveranstaltungen, an denen, berichtet Schaaff, mehr als 800 Vallourec-Beschäftigte teilnahmen. Ihre Bewerbung konnten Interessierte während der Veranstaltung via QR-Code einsenden. „Schon jetzt haben 215 Kollegen von uns dort einen Vertrag unterschrieben“, sagt Schaaff, „und es werden sicherlich noch mehr werden.“

Einer von ihnen ist Erol Kücükarslan. Der 48-Jährige arbeitet seit 1991 bei Vallourec, hat dort seine Ausbildung zum Energieelektroniker gemacht. Viele seiner Kollegen hätten erst auf der Jobbörse wirklich realisiert, dass ihre Zeit bei Vallourec ein Ablaufdatum hat. „Auch ich habe mir am Anfang keine großen Sorgen gemacht, in 32 Jahren hört man so etwas öfter. Doch dann wurde es immer konkreter“, sagt er. Zu Beginn des kommenden Jahres soll er sich bei Thyssenkrupp Steel um die Wasserstoffaufbereitungsanlagen kümmern, die in Duisburg die Hochöfen ersetzen sollen.

Von den einst rosigen Zeiten bei Vallourec hat Victoria Niers nichts mitbekommen. Sie startete 2015 ihre kaufmännische Ausbildung, heute ist sie Personalreferentin. Erst 2021 ist sie in das Personalteam gewechselt, ein Jahr bevor die Schließung bekannt gegeben wurde. Sie kümmert sich unter anderem um die Übernahme der Auszubildenden von Vallourec: „Es hat einen faden Beigeschmack, wenn man so jungen Menschen nur noch einen befristeten Vertrag anbieten kann“, sagt sie.

Auch wenn sie ihre neue Stelle als Personal­referentin bei Knauff auf anderem Wege bekommen hat, war die Jobbörse für sie ein Erfolg: „So konnten alle direkt mit Arbeitgebern ins Gespräch kommen, die man so vielleicht gar nicht auf dem Schirm gehabt hätte, etwa die Bundeswehr.“

Mit den Vallourec-Werken in Deutschland wird auch Herbert Schaaff sein Berufsleben beenden. Und dies mit einem vergleichsweise guten Ergebnis: „Bisher haben wir gut 400 Kolleginnen und Kollegen vermittelt, weitere 300 sind wohl gerade im Bewerbungsprozess“, sagt er. Und er plant schon weiter: Im September wird die Belegschaft auf zwei weiteren Jobbörsen die Gelegenheit bekommen, nahtlos von Arbeit in Arbeit zu kommen. „Dann wahrscheinlich mit noch ein paar mehr Unternehmen als bisher“, sagt der Arbeitsdirektor.

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