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Magazin Mitbestimmung

: Ich kandidiere ...

Ausgabe 03/2010

BETRIEBSRATSWAHLEN 2010 Von März bis Mai bewerben sich mehr als 400 000 Arbeitnehmer um ein Betriebsratsmandat. Drei von ihnen sagen, warum sie das tun. Von Mario Müller

Betriebsratsverseucht" ist das "Unwort des Jahres". Immerhin: Die Baumarktkette, in der das Unwort fiel, hat einen Betriebsrat. Wie gut 100 000 andere Unternehmen mit zusammen rund elf Millionen Beschäftigten. In nicht wenigen dürfte es inzwischen ähnlich ruppig zugehen. Denn wegen der schwersten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren liegen in zahlreichen Firmen die Nerven blank, sehen sich Beschäftigte einem immer stärkeren Druck ausgesetzt oder müssen gar um ihre Arbeitsplätze bangen.

Vor diesem Hintergrund kommt den am 1. März beginnenden Betriebsratswahlen besondere Bedeutung zu. Die Belegschaften können zeigen, dass sie allen Widrigkeiten zum Trotz gewillt sind, ihre Interessen wahrzunehmen. Und dass Mitbestimmung in Krisenzeiten Not tut. Denn wo es keinen Betriebsrat gibt, gilt auch das Betriebsverfassungsgesetz nicht, das den Belegschaftsvertretern umfangreiche Einflussmöglichkeiten bietet.

Etwa beim Thema Beschäftigungssicherung. Betriebsräte können dazu "eigene Vorschläge mit dem Management beraten" und notfalls einen Interessenausgleich oder Sozialplan aushandeln, heißt es in den Flyern, mit denen die Gewerkschaften zur Wahl aufrufen. Ein gewichtiges Wort mitzureden haben Betriebsräte unter anderem auch, wenn es um Arbeitszeiten, Qualifizierung, Kündigungen oder um "faire Eingruppierungen", also ums Geld geht.

Diese Aktivitäten machen sich bezahlt. Wie Studien im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zeigen, liegen in Unternehmen mit Betriebsrat die Löhne vor allem für Geringverdiener und Frauen deutlich höher als in Firmen ohne gewählte Interessenvertretung. Außerdem ist in mitbestimmten Betrieben der Abstand zwischen den Lohngruppen geringer, und es fließt mehr Geld in die Weiterbildung. Nicht nur das: Unternehmen mit Betriebsrat arbeiten häufig produktiver, flexibler und innovativer als Firmen, in denen es keine entsprechenden Mitwirkungsrechte gibt, hat Jürgen Jirhahn von der Universität Hannover herausgefunden. Der Grund: Die Kräfte werden genutzt, um Produktionsabläufe zu verbessern und Marktanteile zu erobern - statt sie in Verteilungskämpfen zu verausgaben.

Ohnehin lässt sich die Kritik von Arbeitgebern, die betriebliche Mitbestimmung bremse notwendige Anpassungsprozesse in Unternehmen, "nicht bestätigen", stellt ein Forscherteam um Ludger Pries von der Universität Bochum fest. Im Gegenteil: In der Umfrage sagte die überwiegende Mehrheit der Manager aus, dass sich Betriebsräte aktiv mit Vorschlägen einbringen und Veränderungen mittragen.

Gleichwohl ist die betriebliche Mitbestimmung kein Selbstläufer. Zwar verfügen rund 90 Prozent aller Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten über Betriebsräte. In kleineren Firmen bis zu 100 Arbeitnehmern sind sie aber nach wie vor in der Minderheit, wie die jüngste Befragung des Nürnberger IAB zeigt. Und während Betriebsräte in Industrieunternehmen, der Energiewirtschaft oder dem Bankgewerbe weit verbreitet sind, ist die Vertretungsdichte im Handel oder am Bau eher gering. Wo es aber an Betriebsräten fehlt, werden "Konflikte systematisch individualisiert", haben Wissenschaftler der TU München festgestellt. Der Mangel trifft vor allem prekär Beschäftigte, die bei Discountern, Wachdiensten, Gebäudereinigern oder im Gastgewerbe arbeiten.

Insgesamt sind die Aussichten nicht rosig. Dass es "allen Stimmungsbarometern zum Trotz mit Pleitewellen noch weiter geht", vor allem in der Auto- und Chemieindustrie sowie im Einzelhandel, befürchtet Mitbestimmungs-Experte Ralf-Peter Hayen vom DGB-Bundesvorstand. Als Folge werden die Betriebsratsgremien schrumpfen, schlicht weil die Zahl der Beschäftigten abnimmt.

"Gute Arbeit - kannst Du wählen", lautet diesmal das Motto der DGB-Gewerkschaften zur Betriebsratswahl. 2006 hatten beachtliche 81 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

"In der Metallindustrie werden harte Zeiten auf uns zukommen."

SABRINA HOCHDORFER, 25, ist Sachbearbeiterin für Normung im Werk Biberach des Maschinenbau-Konzerns Liebherr und seit vier Jahren Mitglied des Betriebsrats./Foto: Andreas Reiner

"Ich kandidiere erst recht jetzt in der schweren Wirtschaftskrise. Es wird entscheidend darauf ankommen, dass wir einen starken Betriebsrat und eine starke Gewerkschaft haben, die die Interessen der Belegschaft vertreten und auch die Auseinandersetzungen im Betrieb meistern. Bei uns in Biberach wird bereits seit Juli vergangenen Jahres kurzgearbeitet. Wir werden alles daransetzen, um Personalabbau zu verhindern. Um dies zu erreichen, hat der Konzernbetriebsrat mit der Konzernzentrale Liebherr International ein Beschäftigungssicherungspaket vereinbart, in dem verschiedene Modelle geregelt wurden. Dazu gehören etwa die Umwandlung von Vollzeit in Teilzeit mit finanziellem Teilausgleich, Sabbatzeiten bis zu zwei Jahren zum Beispiel für Weiterbildung oder größere Auszeiten unter teilweiser Fortzahlung der Bezüge plus einer Wiedereinstellungsgarantie. Vereinbart haben wir außerdem Regelungen für den Vorruhestand, Zusatzausbildungen für Azubis, die ausgelernt haben, oder Aufhebungsvereinbarungen mit Abfindungsregelung.

Es werden harte Zeiten auf uns zukommen. Da müssen wir auch weiterhin handlungsfähig bleiben, und das heißt, wir müssen auf einen kompetenten Betriebsrat setzen können, der durch eine hohe Wahlbeteiligung von den Kollegen unterstützt wird.

Ich war schon Jugend- und Auszubildendenvertreterin und habe 2006 zum ersten Mal für den Betriebsrat kandidiert. Jetzt stelle ich mich zur Wiederwahl, denn gerade in unserer männerdominierten Branche sollten auch Frauen im Gremium vertreten sein. Umso eher können wir uns für die Gleichstellung der Geschlechter und für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie einsetzen."

"Wir kämpfen an allen Fronten. Gegen Schließung, für mehr Sicherheit"

MONA FRIAS RODRIGUEZ (M.), 44, mit Kolleginnen, ist seit 1995 im Betriebsrat von Schlecker, seitdem auch Betriebsratsvorsitzende in Berlin, Mitglied von ver.di/Foto: Rolf Schulten

"Ich kandidiere, weil bei Schlecker vieles im Argen liegt. Und die Arbeitsbedingungen unbedingt verbessert werden müssen. Für die Betriebsratswahlen kandidieren außer mir noch 79 der insgesamt 160 Kolleginnen, die im Schlecker-Bezirk Berlin 5 arbeiten. Das macht deutlich, welche Stimmung hier herrscht. Wir wollen erreichen, dass sich was ändert. Seit der letzten Betriebsratswahl vor vier Jahren hat Schlecker bundesweit zahlreiche Betriebe dichtgemacht. Hier im Bezirk sind 19 Drogeriemärkte mit 40 Beschäftigten geschlossen worden. Von den 160 Frauen arbeiten lediglich 23 in Vollzeit. Die überwiegende Mehrheit der Belegschaft besteht aus Teilzeitkräften, die im Schnitt auf zehn bis 20 Stunden in der Woche kommen. Das reicht meist hinten und vorn nicht zum Leben. Wir kämpfen an allen Fronten. Gegen Schließungen, gegen Kündigungen, für bessere Bezahlung und mehr Sicherheit. Wie es bei Schlecker zugeht, weiß ja inzwischen die ganze Republik. Zuletzt wurde mit der konzerneigenen Leiharbeitsfirma Meniar versucht, statt 10,07 Euro Tariflohn die Stunde nur noch 6,78 Euro zu zahlen. Nach den heftigen Protesten hat Herr Schlecker erklärt, den Vorstoß stoppen zu wollen. Mal sehen, ob er damit ernst macht. Kürzlich erreichte uns das Gerücht, es werde schon wieder an einer neuen ‚Tochterfirma‘ gearbeitet; wir werden wachsam sein.

Auch so bleibt viel zu tun. Die Stundenzahl für die Teilzeitkräfte muss aufgestockt werden. Ich setze mich zudem für den Sicherheitstarifvertrag ein: Darin wollen wir festlegen, dass alle Verkaufsstellen bis 400 Quadratmeter während der gesamten Öffnungszeiten mit Zwei-Mann-Besetzungen arbeiten müssen, plus weitere Sicherheitsvorkehrungen. Damit soll die Gefahr von Überfällen verringert werden. Aus dem gleichen Grund brauchen wir bessere, sicherere Kassen, nicht mit dem Rücken zur Tür.

Die ganze Entwicklung hat die Kolleginnen kampfbereiter werden lassen. Sie sehen, dass die Luft immer dünner wird. Und sagen jetzt: ‚Bis hier und nicht weiter!‘"

"Als Betriebsrat erlebt man die ständige Angst der Kollegen."

WILFRIED OTTEN, 49, seit 1977 Eisenbahner und seit 1989 Belegschaftsvertreter, Mitglied des Betriebs- und Gesamtbetriebsrats bei DB Regio NRW GmbH, Mitglied von Transnet/Foto: Jürgen Seidel

"Ich kandidiere, weil ich nicht will, dass unsere Belegschaft als Fußabtreter eines ungehemmten Wettbewerbs benutzt und Opfer der ‚Geiz-ist-geil‘-Mentalität wird. Als Betriebsrat der DB Regio erlebt man die ständige Angst der Kolleginnen und Kollegen vor einer Ausschreibung der Strecken, auf denen sie arbeiten. Die meist öffentlichen Auftraggeber versuchen zu sparen, indem sie die Preise drücken. Dies hat dazu geführt, dass DB Regio in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren kaum noch Aufträge hereinholen konnte. Die Konkurrenten - überwiegend Töchter von börsennotierten Konzernen aus der EU - legten Preisangebote vor, mit denen die Bahn nicht mithalten wollte und konnte. Nach dem Verlust eines Netzes bleibt den Betriebsräten dann nur noch der Sozialplan.

Bisher konnten wir durch die vereinbarte Beschäftigungssicherung Entlassungen vermeiden. Unsere Forderung lautet daher: Neue Betreiber müssen das bisherige Personal übernehmen. Und vor allem: Die Zweckverbände und sonstigen Auftraggeber müssen bei Ausschreibungen darauf bestehen, dass ein Tarifvertrag angewendet wird - am besten der des Branchenführers. Die EU-Richtlinie 1370, die im Dezember 2009 in Kraft trat, lässt dies ausdrücklich zu.

Längst ist der Wettbewerb zur reinen Lohndrückerei verkommen. Das Klima wird durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen die Deutsche Bahn noch angeheizt. Ihre selbst verursachten Imageschäden wie bei der S-Bahn in Berlin tragen ebenfalls nicht dazu bei, dass Verträge durch Qualität abgesichert werden können. Bei Fixkosten wie Energie, Fahrzeugbeschaffung oder Trassenaufwand kann nicht gespart werden. Also muss wie üblich das Personal die Zeche zahlen. Diese Politik der Billiganbieter wird jetzt auch bei der DB selbst als Konzept der Zukunft gefeiert. Sie will nun mit nicht tarifgebundenen Töchtern die Konkurrenz ausstechen. Dort sollen die Personalkosten um 20 Prozent niedriger liegen als in der ‚Altstruktur‘. Wohlgemerkt: in 100-prozentigen Töchtern der DB Regio AG und damit einem Unternehmen, das voll dem Staat gehört. Schlecker lässt grüßen!

Für uns Betriebsräte gibt es daher auch in den nächsten Jahren genug zu tun. Wir wollen verhindern, dass der Wettbewerb im Nahverkehr nach marktradikalem Muster ausschließlich auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen wird."

Mehr Informationen

Links zu den Betriebsratsstudien
www.boeckler-boxen.de/1518.htm
www.iaq.uni-due.de/iaq-report/2010/report2010-01.pdf

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