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Magazin MitbestimmungPolitisches Lied: Gesang der Gesänge
Iakovos Kambanellis verfasste einen Zyklus aus vier Gedichten über das KZ Mauthausen. 1965 vertonte der Komponist Mikis Theodorakis die Gedichte. Von Martin Kaluza
Mikis Theodorakis und Maria Farantouri: Die Mauthausen-Kantate (1965)
Die ich liebe ist schön, ist unsagbar schön
Ich seh sie vor mir in ihrem Sommerkleid
Mit einem Kamm im dunklen Haar
Man hat sie fortgebracht, und keiner sieht, wie schön sie ist
Man hat sie fortgebracht, und keiner sieht, wie schön sie ist
Man hat sie fortgebracht, und keiner weiß, wohin
Am 6. April 1941 überfällt die Wehrmacht Griechenland. Die grausame Besatzung dauert bereits zwei Jahre, als der junge Grieche Iakovos Kambanellis bei dem Versuch, in die Schweiz zu fliehen, in Österreich verhaftet wird. Er wird ins Konzentrationslager Mauthausen bei Linz gebracht und bleibt dort bis zum Tag seiner Befreiung am 5. Mai 1945.
Kambanellis bleibt sogar noch länger auf dem Gelände, als er müsste. Er und andere wollen diejenigen Juden nicht allein zurücklassen, die auf ihre Ausreise nach Palästina warten. In dieser Zeit verliebt er sich in Jannina, eine jüdische Litauerin.
Zurück in Griechenland, wird er oft gebeten, von seiner Gefangenschaft im Vernichtungslager zu berichten. Doch es dauert fast 20 Jahre, bis er Texte über seine Erlebnisse veröffentlicht. Er hat das Gefühl, in den vielen Zeitungsberichten über KZ und in den Nürnberger Prozessen sei schon alles gesagt. Was soll er da noch beitragen?
Kambanellis findet schließlich einen eigenen Zugang: Er schreibt einen Roman über die Gefangenschaft und die Zeit unmittelbar nach der Befreiung. In „Die Freiheit kam im Mai“ benennt er die Grausamkeiten, und er beschreibt auch Momente der Wärme – etwa die Sonntage, an denen sich die getrennt untergebrachten männlichen und weiblichen Gefangenen über den Zaun hinweg anschauten, ohne etwas sagen zu dürfen, und all ihre Liebe und ihr Verlangen in Blicken ausdrückten.
Neben dem Roman verfasst Kambanellis einen Zyklus aus vier Gedichten über Mauthausen. Im ersten, „Asma Asmathon“, besingt der Protagonist die Schönheit der Frau, in die er verliebt ist und die er verzweifelt sucht. Kambanellis entlehnt die Zeile „Und keiner hat gewusst, dass sie so schön ist“ dem Hohelied Salomons. Sein Protagonist fragt: „Ihr Mädchen von Dachau, ihr Mädchen von Auschwitz, habt ihr meine Geliebte gesehen?“ Sie antworten: „Wir sahen sie auf einem großen Platz / Sie trug eine Nummer auf dem Arm / Und einen Stern auf dem Herzen.“
1965 vertont der Komponist Mikis Theodorakis die Gedichte. Er ist international bekannt, seit er für den Spielfilm „Alexis Sorbas“ den Sirtaki erfunden hat. Die Mauthausen-Gedichte sind ihm eine Herzensangelegenheit; als Widerstandskämpfer erlebte er während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg selbst Gefangenschaft und Folter. Nach dem Krieg kämpfte er als Partisan im griechischen Bürgerkrieg und wurde auf der berüchtigten Gefängnisinsel Makronissos interniert. Und es war nicht seine letzte Gefangenschaft: 1967, nach der Machtübernahme des Militärs, wird Theodorakis in Griechenland verhaftet – während die Mauthausen-Kantate in London aufgeführt wird. Seine Musik wird von der Junta verboten. Erst 1970 darf er, nach einer Welle der internationalen Solidarität, nach Paris ausreisen. 1974, nach dem Ende der Diktatur, kehrt er zurück, als Volksheld.
Die Aufnahme der Mauthausen-Kantate mit der jungen Maria Farantouri wird weltbekannt. Der Komponist und die Sängerin führen sie in Hunderten von Konzerten auf. Eines der bewegendsten: 1988 dirigiert Theodorakis die Kantate auf dem Gelände der Gedenkstätte Mauthausen auf Griechisch, Deutsch und Hebräisch.