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Magazin Mitbestimmung

: Exklusiv Online: Mehr Beteiligung eröffnen

Ausgabe 11/2009

ZIELGRUPPENARBEIT Die IG BCE will mit zeitlich befristeten Engagements und maßgeschneiderten Themen mehr hoch qualifizierte Beschäftigte erreichen. Von Edeltraud Glänzer

Edeltraud Glänzer ist Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE/Foto: IG BCE

Gesellschaft und Arbeitswelt haben sich stark verändert - hin zu einer Vielfalt unterschiedlicher Lebensstile und Werteorientierungen. Auch die Belegschaften in den Betrieben sind inzwischen deutlich ausdifferenzierter. Im Zuge dessen schwindet die Bindungskraft aller Großorganisationen - auch der Gewerkschaften. Dieser Trend wird von Dauer sein und in seiner Intensität eher noch zunehmen. Viele Beschäftigte können oder wollen über eine traditionelle gewerkschaftliche Ansprache nicht mehr erreicht werden. In unseren Branchen steigt die Zahl der Beschäftigten mit neuen Arbeitsfeldern im raschen Tempo. Solche Beschäftigungsgruppen wären früher pauschal dem Angestelltenmilieu zugerechnet worden. Diese Charakterisierung genügt allerdings immer weniger, um diese Kolleginnen und Kollegen zu einem gewerkschaftlichen Engagement zu bewegen.

Wir stellen uns diesen neuen Herausforderungen, um unseren Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft dauerhaft zu stärken. Hierfür steht unser Zielgruppenansatz. Wir wollen insgesamt mehr Beteiligung eröffnen und damit auch die neuen Beschäftigtengruppen für uns gewinnen. Zielgruppenarbeit hat den Vorteil, dass sie ein zeitlich befristetes Engagement und thematische Freiräume zulässt. Diese Ausrichtung der IG BCE auf eine stärker themen- und beteiligungsorientierte Arbeit fand nach vielen Diskussionen eine breite Unterstützung in den Gremien aller Organisationseinheiten - und ist im Übrigen nicht begrenzt auf die Gruppe der hoch qualifizierten Angestellten.

Positiv ist, dass wir im Laufe des gesamten Diskussionsprozesses unseren Blick für die neuen Herausforderungen geschärft haben. Wir haben unsere Arbeit immer wieder kritisch hinterfragt und dabei insbesondere einen Blick auf die betrieblichen Aktivitäten geworfen. Dieser Prozess hin zur Zielgruppenarbeit ist nicht am grünen Tisch entstanden, sondern kommt aus der Mitte unserer Organisation. Er ist Ergebnis unseres Modernisierungsprozesses, wo wir vielfältige Impulse aufgegriffen und weiterentwickelt haben. Das hilft uns bei der Umsetzung ungemein. Zum Beispiel haben sich die Laborbeschäftigten intensiv mit der Zukunft der Laborarbeit auseinandergesetzt oder die Beschäftigten im Außendienst mit dem Thema Mobilität.

Die Stärke unseres Zielgruppenansatzes besteht insbesondere darin, dass wir spezifische Probleme, Erwartungen und Fragen der Beschäftigten aufgreifen. Unsere Angebote sind differenzierter als bisher und orientieren sich zudem an deren Lebensphasen. Wir ermöglichen also stärkere Partizipation. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass diese vielfältigen Formen von Beteiligung neue Zugänge zu Beschäftigten eröffnet haben, die der IG BCE bisher abwartend oder auch kritisch gegenüberstanden. Wir erleben, dass es über die Zielgruppenarbeit möglich ist, mehr Menschen für unsere Organisation zu gewinnen. Diese Erkenntnisse sind ermutigend.
 
Zusätzlich zeigt sich, dass die Finanzmarktkrise das Bild von Gewerkschaften auch in den Köpfen der (zukünftigen) hoch qualifizierten Angestellten eindeutig positiv verändert hat. Allerdings sind die Schlüsse, die sie daraus ziehen, zwiespältig: Aus ihrer Sicht ist es wichtig und gut, dass es Gewerkschaften als Gegenpart auf der Unternehmensebene gibt, aber das allein ist kein ausreichender Grund, selbst Gewerkschaftsmitglied zu werden.

Unser Markenzeichen für ein erfolgreiches Agieren der IG BCE ist, die Vielfalt unterschiedlicher Kompetenzen und Interessen vor Ort zu bündeln. Auf dieser Basis lässt sich kollektivrechtlich handeln - zum individuellen Nutzen. Möglich ist das allerdings nur mit einer mitgliederstarken, gestaltungsfähigen Gewerkschaft. Das sehen übrigens auch die gut qualifizierten Angestellten so, wie die von uns (gemeinsam mit der IG Metall und der Hans-Böckler-Stiftung) durchgeführte Studie belegt. Die Autoren, Hermann Kotthoff und Alexandra Wagner, haben uns wichtige Hinweise für unsere Arbeit gegeben:

Demnach will eine wachsende Arbeitnehmergruppe vor allem über ihre jeweilige Fachkompetenz und auf gleicher Augenhöhe angesprochen werden. Themen und Formen müssen also passgenau sein und ein zeitlich befristetes Engagement ermöglichen. Unser Zielgruppenansatz bietet genau diese maßgeschneiderten Konzepte für die betriebliche Arbeit. Notwendig ist es auch, in Zusammenarbeit mit den Hochqualifizierten zunächst ihre "brennende" Themen anzugehen, wie etwa "Entgelt und Karriere", "Arbeitszeitsouveränität versus Entgrenzung der Arbeit" oder "Vereinbarkeit von Beruf und Familie".

Die Studie weist auch darauf hin, dass wir die hoch qualifizierten Angestellten so früh wie möglich von der Kompetenz der Gewerkschaften überzeugen müssen. Für eine verstärkte Präsenz der IG BCE an Hochschulen gibt es mehrere (mögliche) Kooperationspartner, zum Beispiel die Kooperationsstellen des DGB oder die Vertrauensdozenten und -dozentinnen und die Stipendiaten und Stipendiatinnen der Hans-Böckler-Stiftung. Erste Erfolge haben wir bereits mit einem branchenspezifischen Bewerbertraining bei Ingenieurs- und Naturwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen erzielt. Aus meiner Arbeit im Hochschulrat der Universität Oldenburg weiß ich, dass das Thema Karriereberatung für die Studierenden eine wesentliche Rolle spielt. Aktuell bietet auch die Auseinandersetzung um die Bildungs- und Hochschulpolitik die Möglichkeit, in einen Dialog mit Studierenden zu treten. Wir müssen ihnen verdeutlichen: Uns geht es um die Durchlässigkeit und Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Wir sind gegen Studiengebühren und werden in Zukunft weiter dafür einstehen.

Im Rahmen der Zielgruppenarbeit greifen wir besonders die Belange der weiblichen Beschäftigten auf. Wir engagieren uns zum Beispiel im Rahmen des Programms "Frauen an die Spitze", wo wir die Führungskräfteentwicklung von Frauen in Großbetrieben analysieren und Lösungsansätze entwickeln. Auch die weiteren Themen unserer Initiative "Frauen starten durch" spielen eine gewichtige Rolle: Entgeltgleichheit sichern, eine bessere Balance von Lebens- und Arbeitszeit sowie die besondere Interessenvertretung von und für Frauen. Damit haben wir eine Vorreiterrolle eingenommen. Gleiches gilt für unsere Kampagnen "Eltern sind Leistungsträger" und "Gesunder Mensch im gesunden Unternehmen" - und nicht zu vergessen unser zukunftsweisender Tarifvertrag "Lebensarbeitszeit und Demografie": Mit seinen Regelungen zur alters- und alternsgerechten Arbeit unterstreicht er die gesellschafts- und die industriepolitische Verantwortung der IG BCE.

Die Mitgliederentwicklung ist das zentrale Thema in allen Gewerkschaften. Bei den Außertariflichen sind wir in den montan mitbestimmten Bereichen wie der Steinkohleindustrie gut vertreten. Hier sind die außertariflichen Angestellten zu über 70 Prozent organisiert. Ganz anders sieht es aber vielfach in Klein- und Mittelbetrieben aus. Wir sind auf einem guten Weg, auch wenn wir insgesamt immer noch mehr Mitglieder verlieren als wir hinzugewinnen. Das liegt zum einen an der demografischen Entwicklung, zum anderen an der schwierigen Beschäftigungssituation, die durch die Krise verstärkt wird.

Aber wir haben den Trend in den vergangenen Jahren in eine positivere Richtung lenken können. So haben wir 2007 und 2008 wieder mehr Mitglieder hinzugewonnen, und gleichzeitig die Abgänge reduziert. Das liegt auch daran, dass wir verschiedene thematische Kampagnen und unsere tägliche Arbeit intensiver mit dem Thema Mitgliederwerbung verknüpft haben. Mit unserem Marketingkonzept werden wir uns noch stärker als Marke etablieren und vor Ort präsent sein - und damit unsere Identität, unsere exklusiven Merkmale und Leistungen erlebbar machen.

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