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Klinikum Peine Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Eine Stadt holt sich ihre Klinik zurück

Ausgabe 06/2021

Nach der Privatisierung wurde das Klinikum Peine ausgezehrt. Gemeinsam mit Belegschaft und Bewohnern kämpfte der Betriebsrat für den Erhalt. Nun gehört die Klinik wieder dem Landkreis. Von Annette Jensen

Manchmal braucht es eine ganze Stadt, um etwas zu bewegen. In Peine kämpften für den Erhalt des Klinikums nicht nur Beschäftigte und Betriebsrat, auch die Belegschaft des örtlichen Stahlwerks, der Peiner Umformtechnik und ein Schokoladenhersteller solidarisierten sich. Sie alle wollten ihr Krankenhaus in Peine behalten. Mit Erfolg: Im vergangenen Herbst ging das Klinikum für einen Euro an die Kommune zurück. Markus Ritter, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, weiß, dass damit noch nicht alles gut ist. Aber er weiß nun, wie man Kämpfe gewinnt.  „Nicht aufgeben und die Leute überzeugen“, sagt der OP-Pfleger, der seit 32 Jahren in Peine arbeitet und seit fast 30 Jahren im Betriebsrat ist. Für seinen Einsatz wurde der Betriebsrat nun für den Deutschen Betriebsrätepreis nominiert.

Anfang der 2000er Jahre beschloss der Landkreis, einen Investor für das Klinikum zu suchen. Es war die Zeit, als viele Kämmerer davon ausgingen, dass Private alles besser und billiger können. 65 Millionen hoffte der Kreisrat durch den Verkauf einzunehmen. Tatsächlich ging das Klinikum Peine dann aber für einen Euro an das AKH Celle, eine Stiftung des bürgerlichen Rechts. 

Weil die Tarifbindung erhalten blieb, gab es in der Belegschaft kaum Widerstand. Der folgende Auszehrungsprozess verlief schleichend, Verwaltung, Wäscherei und Sterilisationsabteilung wurden nach Celle ausgelagert. Doch die Kosten überstiegen die Einnahmen, und so schmolzen die Rücklagen dahin. „Wir hatten in der ganzen Zeit aber kaum Einblick in die Finanzströme,“, berichtet Ritter. Als dann eine Bürgschaft ausfiel, kam es im März 2020 zur Insolvenz. „Wir haben das an einem Freitagnachmittag erfahren und sofort war klar: Hopp oder Topp – es geht um die Existenz unserer Klinik und unserer Arbeitsstellen“, fasst der 59-Jährige zusammen. 

Was folgte war eine beispiellose Mobilisierung in der Stadt und im Landkreis, in dem knapp 140000 Menschen leben – und das alles unter Corona-Bedingungen. Eine Online-Petition brachte über 40000 Unterschriften. Ein ehemaliger Betriebsratsvorsitzende bestückte die Internetseite fast täglich mit aktuellen Informationen, Rentnerinnen und Rentner tingelten durch die Läden und sammelten Unterstützungs-Unterschriften. Die Belegschaften des Stahlwerks und der Peiner Umformtechnik solidarisierten sich, ein Schokoladenhersteller schickte der Klinik-Belegschaft immer wieder Nervennahrung. „Wir haben gemerkt, wir sind auf dem richtigen Weg. Die Leute wollen, dass die Klinik erhalten bleibt“, erzählt der Betriebsrats-Vize.

Die Gewerkschaft Verdi stand dem Gremium die ganze Zeit zur Seite. „Jede Sitzung, jede Pressemitteilung haben sie begleitet. Bruno Gerkens aus Braunschweig und Nanni Rietz-Hering vom Verdi-Ortsverein haben uns 120-prozentig unterstützt. Besser ging es gar nicht“, lobt Ritter, der selbst Verdianer ist. 

Die Wege in der 50000-Einwohner-Stadt sind kurz. Weil sein Sohn bei der Peiner Umformtechnik gelernt hatte, wusste Ritter, dass deren Betriebsrat einen guten Anwalt kennt. „Ich habe ihn angerufen – und noch am selben Tag hat er das Mandat übernommen“, erinnert sich Ritter. Auch die Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter lief gut. Dank des Rückenwinds aus der Bevölkerung gelang es, die Politik ins Boot zu holen. Der Geschäftsführer vom AKH Celle hatte gepokert und behauptet, es gäbe mehrere Interessenten – doch Betriebsrat, Landkreis und Stadt ließen sich nicht foppen. „Keiner wollte, dass die sich noch einmal auf unsere Kosten die Taschen vollstopfen,“ bringt Ritter die Lage auf den Punkt. Im Oktober 2020 übernahmen Landkreis und Stadt die Klinik für einen Euro. Inzwischen haben sie 30 Millionen Euro Rücklagen gebildet. 

Schwierig war es dagegen, die Kolleginnen und Kollegen an Bord zu halten. Die Insolvenz hat viele verunsichert, zugleich versuchen andere Krankenhäuser, Personal aus Peine abzuwerben. „Die haben Postkarten verteilt und Helios fuhr mit einem plakatierten Lkw vor“, erzählt Ritter. Hinzu kam, dass der Betriebsrat wegen der Pandemie keine Chance hatte, die Stationen zu besuchen. Im vergangenen Jahr verließen alle Chefärztinnen und -ärzte sowie ein Teil des Pflegepersonals die Klinik. Zugleich gelang es dem Betriebsrat aber auch klarzumachen, dass es nur mit guten Arbeitsbedingungen eine Zukunft des Krankenhauses geben kann. So wurden die outgesourcten Abteilungen zurückgeholt und ins Tarifgefüge eingefügt. 

Ein extrem hartes Jahr liegt hinter Ritter: „Als OP-Pfleger hätte ich sehr einfach anderswo einen Job bekommen können. Aber ich will, dass Peine ein attraktiver Wohnort bleibt – und dazu gehört ein eigenes Krankenhaus.“ Keine Frage – er und seine Kolleginnen und Kollegen bleiben dran. Das Ziel: Ein dauerhaft tragfähiges Unternehmen mit 270 Betten.


Weitere Informationen:

Auf unserer Übersichtseite Deutscher Betriebsrätetag

Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Er wird auf dem Deutschen Betriebsrätetag in Bonn verliehen, der in diesem Jahr vom 9. bis 11. November stattfindet.
www.betriebsraetetag.de

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