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Magazin Mitbestimmung

: Ein Studium für Betriebsräte

Ausgabe 09/2004

Nicht wenige Betriebsräte möchten ihre Gestaltungschancen optimal ausschöpfen. Also zielen ihre Qualifizierungswünsche auf Themenfelder wie Unternehmensstrategie, Globalisierung und Branchenentwicklung. Gefragt ist ein Managementstudium für Betriebsräte.

Von Hermann Kotthoff
Prof. Dr. Kotthoff lehrt an der TU-Darmstadt und ist Mitarbeiter der Sozialforschungsstelle Dortmund.
hermann.kotthoff@web.de

Eine wachsende Zahl freigestellter Betriebsräte in Großbetrieben hat Bedarf nach einer neuartigen Form von Qualifizierung, nämlich nach einem zertifizierten Weiterbildungsstudium mit Schwerpunkt Managementwissen an einer Hochschule beziehungsweise unter Beteiligung einer Hochschule. Das ist nicht nur das Ergebnis einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung, das zeigen auch die Nachfragen von Betriebsräten, wie auch die Resonanz auf der Angebotsseite; denn zwei solcher Weiterbildungsstudienangebote gibt es bereits, weitere stehen in den Startlöchern. Drei Aspekte sind dabei besonders bemerkenswert:
* die inhaltliche Zentrierung auf Themen, die zum Zuständigkeits-bereich des (Top-)Managements gehören, wie Unternehmensstrategie, Glo-balisierung, Branchenentwicklung, wirtschaftlicher Wandel;
* das Hochschulniveau der Qualifizierung, das ein Novum in der Betriebsräteweiterbildung ist, die bisher eine Breitenschulung war, die von den Gewerkschaften, aber auch in zunehmenden Maße von "freien" Trägern durchgeführt wurde;
* die Leistungsorientierung und der Leistungsnachweis (Zertifikat). Die bisherigen Schulungen sind zwei- bis dreitägige Kurse. Dagegen umfasst ein Weiterbildungsstudium zirka 250 bis 500 Stunden verteilt auf drei bis vier Semester. Es ist ein hartes Stück Arbeit, das ohne eine hohe Leistungsmotivation nicht zu bewältigen ist. Es richtet sich daher an einen kleinen Kreis Hochmotivierter.
Damit ist automatisch ein Eliteaspekt verbunden, der in der bisherigen Betriebsräteschulung tabuisiert war. Es ist ein Qualifizierungstypus für diejenigen, die im Betriebsratsgremium gestaltende bzw. leitende Funktionen ausüben. Man kann diesen neuen Typus durchaus als ein Äquivalent zu einem Aufbaustudium an einer Managementschule betrachten. Diese Verwandtschaft ist keineswegs zufällig. Sie hat etwas zu tun mit dem Funktionswandel vieler Betriebsräte zum "Co-Manager". Lässt sich die neue Entwicklung also auf die Formel bringen: Die "Co-Manager" holen ihr Management-studium nach? Dies enthält viel Richtiges, trifft aber die Sache nicht genau. Denn es geht hier um ein Managementstudium für Betriebsräte. Die bisher bekannten Bildungs-konzepte diverser Anbieter präsentieren die Managementinhalte aus der Sicht der Betriebsratsrolle. Doch in der inhaltlichen Ausgestaltung ist die Annäherung an das Management durch Qualifizierung die strukturell und langfristig wohl wesentliche Ver-änderung. Kern der Sache ist: Die freigestellten Betriebsräte wollen dem Management das Wasser reichen können.
Deutliche Veränderungen im Bildungsverhalten sind stets ein starker Indikator für einen strukturellen Wandel in dem entsprechenden gesellschaftlichen Feld. Welches ist der Wandel, der hier zum Ausdruck kommt? Welches sind die Ursachen dafür, dass wir uns daran gewöhnen müssen, Betriebsrat und Hochschule nicht mehr als zwei fremde Welten zu sehen? Ist die Bildungsreform der vergangenen Jahrzehnte, der Trend zu einer starken Anhebung des formalen Bildungsniveaus, nun auch bei den Betriebsräten angekommen?
Hintergrund des bemerkenswerten Wandels im Bildungsstreben von Betriebsräten sind vier gravierende Veränderungen in ihrem Umfeld: Die Biografien der Betriebsratsmitglieder haben sich verändert; das Selbstbewusstsein und damit das Selbstvertretungsbewusstsein der Beschäftigten, vor allem der jüngeren, ist gestiegen; es hat einen Funktionswandel des Betriebsrats in Richtung einer Beteiligung an Wertschöpfungsfragen gegeben; und schließlich hat es einen Funktionswandel der Hochschulen gegeben.

Mehr Hochqualifizierte in den Betriebsräten
Keine Beschäftigtengruppe ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten prozentual so stark gestiegen wie die der Hochqualifizierten, sprich der Hochschulabgänger. Vor allem in den großen Dienstleistungsunternehmen und in den Steuerungs- und Entwicklungszentralen der industriellen Konzerne bilden sie nicht selten die größte Einzelgruppe in der Belegschaft. Bei dieser Qualifikationsgruppe, die früher dem Betriebsrat fremd gegenüberstand, ist eine erstaunliche Veränderung eingetreten: Sie ist heute weitgehend in die institutionalisierte Mitbestimmung integriert und im Betriebsratsgremium vertreten. Ein wachsender Teil der Betriebsrats-mitglieder sind hochqualifizierte -An-gestellte, die zwar für ihre be-triebs-verfassungsrechtliche Standard-qualifizierung die klassischen Schulungsangebote nutzten, die aber längerfristig nach einer Betriebsrats-qualifizierung auf Hochschul- bzw. hochschulähnlichem Niveau streben. Die Betriebsratstätigkeit hat in der Biografie dieser BR-Mitglieder einen anderen Stellenwert. Da sie eine enge innere Bindung an ihre hochqualifizierten Tätigkeiten haben, wollen sie nicht Berufsbetriebsräte werden, sondern in eine Experten- oder Führungsfunktion im Un-ternehmen zurückkehren. Für sie ist eine managementähnliche Betriebsratsweiterbildung deshalb auch unter Karrieregesichtspunkten relevant.

Höhere Ansprüche an das Leistungsniveau
Nicht nur der Sozialcharakter der Personen im Betriebsrat ist heute ein anderer als vor 20 oder 30 Jahren. Auch der Sozialcharakter großer Teile der Arbeitnehmer, insbesondere der jüngeren, hat sich gewandelt. In den letzten Jahren wurden mehrere industriesoziologische Studien unter dem Stichwort "Subjektivierung der Arbeit" zur Veränderung des Arbeitsbewusstseins der Beschäftigten durchgeführt. Die Ergebnisse stimmen in zentralen Punkten überein und sind sehr aufschlussreich: Der Leistungskonflikt in den Betrieben scheint an Schärfe verloren zu haben. Die Selbstregulierungs- und Selbstrationalisierungsstrategien der Unternehmen, wie Gruppen- und Teamarbeit, sind bei den Beschäftigten auf eine positive Resonanz gestoßen. Ein großer Teil der Beschäftigten ist zu "Leistungsoptimierern" geworden, wie es Pongratz/Voß nennen.
Eine aktuelle Studie an der Universität Frankfurt von Menz, Siegel und Vogel stellt fest, dass viele Beschäftigte sich dem Kunden verpflichtet fühlen und Leistungs- und Termindruck nicht als Druck des Arbeitgebers, sondern als Marktanforderung wahrnehmen und sich positiv damit identifizieren. Der Leistungsbegriff werde ergebnis- und erfolgsorientiert definiert. Auch eine Studie von Kratzer stellt eine selbstverständliche Akzeptanz des Primats des Marktes fest. Dass mehr Freiheit mit mehr Druck einhergeht, sei für die befragten Beschäftigten kein Widerspruch. Traditionelle Normalarbeit - Arbeiten von "nine to five" - sei "nicht ihr Ding".
Diese Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Auch auf mittleren Qualifikationsniveaus - gemeint sind hier Fach- und Sachbearbeiter/innen - ist heute ein Arbeits- und Leistungsbewusstsein verbreitet, das bisher typisch war für die Hochqualifizierten Angestellten: Sie suchen in der Leistungsoptimierung Selbstentfaltung und "Spaß"; sie haben ein Leistungsbewusstsein, das den Erwartungen des Unternehmens entgegenkommt.
Diese leistungs- und marktorientierten Beschäftigten haben ein anderes Verhältnis zum Betriebsrat. Da sie sich selbst artikulieren können, sehen sie in ihm nicht den Stellvertreter, sondern eine Reklamationsinstanz im Hintergrund (Menz 2003), deren Hauptfunktion auf der Ebene liegt, wo die eigene direkte Beteiligung nichts mehr ausrichtet, nämlich auf der zentralen Ebene der "großen" Unternehmenspolitik. Der Betriebsrat wird als Counterpart des Top-Managements gesehen. Diese Ar-beitnehmer haben auch dann, wenn sie die negativen Seiten ihres Arbeits-lebens thematisieren - wie lange -Arbeitszeiten, Unsicherheit des Arbeitsplatzes, Work-life-balance-Probleme -, kein Ohr mehr für die Rhetorik und kein Verständnis für die Symbolik von Entfremdung, Entrechtung und Ausbeutung. Ein Betriebsrat, der sich mit Managementthemen beschäftigt und der auf der unternehmenspolitischen Seite aktiv ist, ist ihr Spiegelbild. Dies entspricht der Sicht des Betriebsrats, die die hochqualifizierten Angestellten von dessen Rolle schon seit längerem haben (Kotthoff 1998).

Anspruchsvolleres Aufgabenspektrum der BRs
In vielen Betriebsräten hat ein solcher Funktionswandel tatsächlich stattgefunden. Sie sind heute stark beschäftigt mit Fragen der Leistungsoptimierung des Unternehmens und des Wertschöpfungsprozesses. Ihr Aufmerksamkeitszentrum liegt bei Problemen der Unternehmensstra-te-gie, Standortsicherung, Fusionen, Auf- und Verkäufen von Unternehmenseinheiten, Outsourcing, Reorga-nisation, Benchmarkingvergleichen, Produktionsverlagerungen ins Ausland. Der Betriebsrat wird beteiligt in einer Vielzahl von Planungsgruppen, Projektgruppen, Ausschüssen und Kommissionen, in denen diese Fragen klein gearbeitet werden.
Frühere zentrale Mitwirkungsfelder wie Lohn, Zeitwirtschaft und Arbeitsbelastungen verlieren dagegen relativ an Bedeutung. Dieser Funktionswandel führt zu der Nachfrage nach Qualifizierungsangeboten genau auf diesen Feldern der Unternehmensstrategie. Die Hintergründe und Antriebskräfte der Globalisierung im eigenen Wirtschaftssektor zu verstehen und damit die Beschäftigungschancen für die eigenen Wähler vorausschauend einschätzen zu können ist ein Weiterbildungsbedürfnis der freigestellten Betriebsratsmitglieder. Dieser Wandel vom Verständnis des Betriebsrates von einer Leidens- und Opfergemeinschaft hin zu einem Leistungsoptimierungs- und Wertschöpfungsteam vollzieht sich allerdings nicht immer bruchlos, sondern kann zu starken Spannungen innerhalb des Gremiums führen.

Bildungseinrichtungen entdecken neue Kunden
Die Marktrhetorik geht auch an den Hochschulen nicht vorbei. Angesichts knapper Kassen stehen sie unter dem Druck, "Drittmittel" einzuspielen und die Wirtschaft als ihren Kunden zu gewinnen. So haben sie sich in den letzten Jahren verstärkt auf den lukrativen Markt der Wei-terbildung begeben, der im Zuge der Weiterbildungserfordernisse von Betrieben und Organisationen und -unter dem wissensgesellschaftlichen Leitbild des lebenslangen Lernens stark gewachsen ist. Und sie bieten zahlreiche zertifizierte Aufbau- und Weiterbildungsstudiengänge an. Angesichts dieser Entwicklung war es nur eine Frage der Zeit, dass auch die Betriebsräte, die ja wie kaum eine andere Gruppe im Schnittpunkt der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen stehen, als ein viel versprechendes Kundensegment entdeckt werden.

 

Zum Weiterlesen

Hermann Kotthoff: Aufstiegsqualifizierung für Betriebsräte. Arbeitspapier 79, 50 Seiten, hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung, 2004, 8 Euro, unter Bestellnr. 11079 bei mail@setzkasten.de
ders., in: Magazin Mitbestimmung 10/2003, "Betriebsrat auf Zeit oder auf Lebenszeit", unter http://www.mitbestimmung.de/ (Archiv)
ders.: Führungskräfte im Wandel der Firmenkultur. Berlin, 2. Aufl. 1998
Nick Kratzer: Arbeitskraft in Entgrenzung. Berlin 2003
Wolfgang Menz, Tilla Siegel, Mathias Vogel: Leistungs- und Interessenpolitik aus der Perspektive der Beschäftigten. Forschungsbericht an die Hans-Böckler-Stiftung, Universität Frankfurt 2003
Hans J. Pongratz, Günter G. Voß: Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen. Berlin 2003


Weiterbildungsstudienangebote
Die begleitenden Studienangebote für Betriebsräte finden Sie in diesem Heft auf Seite 60.

»Kern der Sache: Die freigestellten Betriebsräte wollen dem Management das Wasser reichen können.«

»Damit ist ein Eliteaspekt verbunden,
der in der bisherigen Betriebsräteschulung tabuisiert war.«

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