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Modernisierung mit Mitsprache Böckler Impuls

Digitalisierung: Modernisierung mit Mitsprache

Ausgabe 15/2021

Zwischen Arbeitnehmervertretung und Management geschlossene Rahmenverträge schützen Beschäftigte vor negativen Folgen der Digitalisierung. Das zeigen Beispiele aus der Praxis.

Schaffe ich es, mit der neuen Technik zurechtzukommen? Wird das Arbeitstempo noch höher, wenn alles digital wird? Gibt es meine Stelle in fünf Jahren überhaupt noch? Bange Fragen, die sich viele Beschäftigte stellen. Die Arbeitnehmervertretung im Unternehmen kann wesentlich dazu beitragen, Umbauprozesse sozialverträglich zu gestalten und der Belegschaft ihre Ängste zu nehmen. Wie das geht, zeigt eine Analyse im Auftrag des I.M.U. am Beispiel von drei global tätigen Konzernen: dem Reiseunternehmen TUI mit 11 000 Beschäftigten in Deutschland und 70 000 weltweit, dem Chemieunternehmen Solvay mit Standorten in 64 Ländern mit 24 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie dem Lebensmittel- und Kosmetikkonzern Unilever mit 30 000 Beschäftigten in Europa. Julia Massolle vom Helex-Institut in Bochum hat dafür Dokumente ausgewertet und Interviews mit Akteurinnen und Akteuren aus Betriebsräten und Gewerkschaften geführt. 

Gemeinsam ist allen drei Unternehmen, dass Transformationsprozesse, die die Firmen in die digitale Zukunft führen sollen, nach Vereinbarungen ablaufen, die Arbeitnehmervertretungen angestoßen haben. Bei TUI ist das der vom Konzernbetriebsrat gestartete Prozess newWork@TUI. Bei Solvay hat der aus dem Europäischen Betriebsrat (EBR) hervorgegangene Weltbetriebsrat einen Rahmenvertrag zum digitalen Wandel mit dem Management geschlossen. Und bei Unilever wurde auf Initiative des EBR das Rahmenabkommen Future of Work verabschiedet. Inhaltlich gibt es bei den Projekten große Überschneidungen: Stets geht es um die Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Vertreter bei der Einführung neuer Technologie oder Restrukturierungen – und um Weiterbildungs- und Beschäftigungsperspektiven derjenigen, deren Jobs sich verändern oder sogar wegfallen könnten. 

Grundlage ist in allen drei Fällen die Verpflichtung zu offener Kommunikation, damit eine Vertrauenskultur entstehen kann. Das betrifft bei TUI etwa die frühzeitige Offenlegung von Outsourcing-Plänen, die es Betriebsräten erleichtern sollen – wenn sie das Management schon nicht umstimmen können –, den Beschäftigten mit Qualifizierungs- oder Personalentwicklungsmaßnahmen oder mithilfe der internen Jobbörse unter die Arme zu greifen. Andere Themen sind zum Beispiel die Einführung mobiler Arbeit oder flexible Arbeitszeitmodelle. Durch die gemeinsame Absichtserklärung mit dem Management haben die Betriebsräte im TUI-Konzern die Möglichkeit, sich systematisch an der Strategieentwicklung zu beteiligen. Aus der 2018 geschlossenen, eher allgemein gehaltenen Übereinkunft sind auf der Ebene der Einzelbetriebe bereits konkrete Betriebsvereinbarungen hervorgegangen sowie auf Konzernebene unter anderem eine Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung und ein Qualifizierungsfonds. Insgesamt, sagen Vertreter der Beschäftigten, habe das Projekt newWork@TUI die Mitbestimmung im Unternehmen deutlich gestärkt. 

Ähnlich bei Solvay: Hier haben Arbeitnehmervertretung und Geschäftsführung vereinbart, dass jedes Digitalisierungsprojekt von wesentlicher Bedeutung einen Unterrichtungs- und Anhörungsprozess durchläuft, ausreichende Ressourcen für Um- und Höherqualifikation bereitgestellt werden, Fragen der Work-Life-Balance und des Datenschutzes möglichst einvernehmlich geklärt und Prozesse zur Lösung von Konflikten festgelegt werden. Der Weltbetriebsrat sammelt und bewertet Informationen über die Digitalisierungsprojekte im Unternehmen, was die Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten in die Lage versetzt, in strategischen Fragen auf Augenhöhe mitzureden. Besonders betont die Autorin der I.M.U-Analyse einen Aspekt: Mithilfe des unternehmensweit geltenden Rahmenabkommens findet Mitbestimmung auch an Standorten statt, an denen formal keine Mitbestimmungsgesetze gelten. 

Bei Unilever werden gemäß dem Abkommen Future of Work in paritätisch besetzten Arbeitsgruppen Pläne für sozial verantwortliche Restrukturierungen ausgehandelt. Eine große Rolle spielt dabei Weiterbildung mit dem Ziel, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „langfristig beschäftigungsfähig“ bleiben. In diesem Zusammenhang sei es vor allem zu „Mitbestimmungszugewinnen bei der Budgetverwaltung“ gekommen. Konkret bewährt hat sich der Rahmenvertrag von Unilever unter anderem bereits in Italien, wo drei Gewerkschaften ihn als „Schablone“ genutzt haben, um ein erfolgreiches Zukunftskonzept für ein von der Schließung bedrohtes Lebensmittelwerk zu entwickeln.

Julia Massolle: Die Transformation von Arbeit mitgestalten, Mitbestimmungspraxis Nr. 41, August 2021

Wie wir in Zukunft arbeiten, wird heute entschieden. Arbeitnehmervertreterinnen begegnen Herausforderungen wie Globalisierung und Digitalisierung durch die Aushandlung von Betriebsvereinbarungen mit dem Management. Beispiele hat Julia Massolle zusammengestellt:  

Die Arbeitswelt der Zukunft gestalten, Betriebsvereinbarungen im Portrait, Mitbestimmungspraxis Nr. 43, September 2021

Weitere Auswertungen von Vereinbarungen, Praxisbeispiele, Porträts, anonymisierte Textauszüge und Stichpunktekataloge mit Hinweisen für die Gestaltung von Betriebs- und Dienstvereinbarungen bietet das I.M.U.

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