zurück
Magazin Mitbestimmung

Nachwuchs: Ein echter Bildungsplan

Ausgabe 04/2015

Viele Betriebsräte werden in den nächsten Jahren in Rente gehen. Um jüngere Kollegen zu gewinnen und sie zu befähigen, setzen die Industriegewerkschaften auf mehr Beteiligungschancen – und auf Mentorenprogramme. Von Joachim F. Tornau

Wenn Jan Grüneberg über die Betriebsratsarbeit der Zukunft spricht, dann klingt das eher nach modernem Management. Von strategisch-konzeptioneller Arbeit spricht der Gewerkschaftssekretär der IG BCE, von Coaching, Zielkontrolle und Teamentwicklung. „Für uns“, sagt der Jurist, „steht besonders im Fokus, Betriebsräte so aufzustellen, dass sie eigene Themen setzen und vorantreiben können.“ Statt nur auf das zu reagieren, was der Arbeitgeber ihnen vorsetzt. Der angestrebte Kulturwandel soll zur Lösung eines drängenden Problems beitragen: Betriebsratsarbeit für Jüngere attraktiver zu machen. Denn Arbeitnehmervertreter werden immer älter, nicht nur bei der Chemiegewerkschaft. Nach den Wahlen im vergangenen Jahr stieg der Anteil der über 46-jährigen Betriebsräte in Deutschland von 54,5 auf 60,5 Prozent. Unter 30 Jahre alt aber sind noch nicht einmal acht Prozent. Dabei wird Nachwuchs dringend gebraucht: Die IG Metall hat ausgerechnet, dass in ihren Branchen vier von zehn Mandatsträgern altersbedingt ausscheiden werden, wenn 2018 die nächsten turnusmäßigen BR-wahlen anstehen. 

„Für die Gewerkschaften ist das eine existenzielle Zukunftsfrage“, meint der Hamburger Industriesoziologe Jürgen Prott. Gewerkschaftliche Vertrauenskörper als, wie er es ausdrückt, „natürliches Nachwuchsreservoir für die Betriebsräte“ gebe es fast nur noch in Großunternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Und auch sie seien nicht eben jugendlich geprägt, sagt der Wissenschaftler, der sich in einem Böckler-Projekt mit dem Generationswechsel in den Betriebsräten beschäftigt hat. „Man findet ganz wenige Vertrauensleute unter 25 Jahren.“ 

Die Gewerkschaften suchen daher nach neuen Antworten. Jüngere Kollegen werden gezielt angesprochen, Seminare und Talentprogramme aus der Taufe gehoben, um beispielsweise ehemalige Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) zum Wechsel in den Betriebsrat zu bewegen. Doch das allein reicht nicht, glaubt IG-BCE-Sekretär Grüneberg, der sich in der Mitbestimmungsabteilung der Gewerkschaft um das Thema Nachwuchssicherung kümmert. Eine der ersten Maßnahmen in einem neu gewählten Betriebsrat müsse ein Bildungsplan für das Gremium sein, fordert der Gewerkschafter. Insbesondere natürlich, um die neuen und unerfahrenen Mitglieder zu fördern. Aber: „Man muss das gesamte Team schulen“, sagt er. „Sonst kommen die Jungen von der Schulung zurück und laufen mit ihren Ideen vor eine Wand.“ Weil sie hören: Das haben wir noch nie so gemacht. 

IN PROBLEMLÖSUNGEN EINBEZOGEN SEIN

Was die IG BCE erreichen will, lässt sich auf die Formel bringen: Beteiligung statt eingefahrener Routinen. Arbeitnehmervertretungen, sagt Grüneberg, sollten sich überprüfbare Ziele setzen. Sollten sich etwa aktiv in die Personalplanung einmischen und sich vornehmen, dass alle Auszubildenden übernommen werden. Oder Ideen entwickeln, wie ältere Beschäftigte angesichts des demografischen Wandels möglichst lange in Arbeit gehalten werden können. Und: Nicht mehr allein der Vorsitzende soll die Verantwortung tragen, sondern jedes Betriebsratsmitglied die Zuständigkeit für ein Ziel übernehmen. „Das gilt es durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit auch nach außen deutlich zu machen“, sagt der Gewerkschafter. Die Botschaft: „Jeder hat eine Aufgabe, jeder kann sich einbringen.“ 

Zugleich sollen möglichst viele Beschäftigte über Gespräche oder Arbeitsgruppen an der Betriebsratsarbeit beteiligt werden, als externer Sachverstand sozusagen. Die Wichtigkeit einer solchen Öffnung betont auch Heike Madan, beim IG-Metall-Vorstand mit Betriebspolitik befasst: „Die Belegschaft sollte nicht mehr nur Ergebnisse präsentiert bekommen, sondern in den Prozess der Problemlösung einbezogen werden“, sagt die Gewerkschafterin. Transparenz und Beteiligung, so ist sie überzeugt, werden das Interesse an Betriebsratsarbeit steigen lassen, nicht nur bei den Jüngeren. 

Auch Industriesoziologe Prott hält es für einen guten Ansatz, „wirkliche Partizipationsmöglichkeiten anzubieten“. „In einem Klima der verbesserten Beteiligungschancen wächst die Bereitschaft, sich im Betriebsrat oder Vertrauenskörper zu engagieren“, sagt er. Manchmal dürfte allerdings auch das nicht helfen. Sozialwissenschaftler Ralph Greifenstein hat Sozialprofil und Selbstverständnis von Betriebsräten in einer Studie für die Hans-Böckler-Stiftung untersucht – und ist auf vielerlei Barrieren gestoßen, die jüngere Arbeitnehmer von einer Betriebsratstätigkeit abhalten. Sei es, dass sie erst einmal Karriere oder Familiengründung den Vorrang geben wollten. Sei es, dass sie die Doppelbelastung durch Job und Interessenvertretung fürchten. Oder, dass sie sich von dem immer noch vorherrschenden Ideal des „Berufsbetriebrats“ abgeschreckt fühlen, der sein Amt über mehrere Amtszeiten hinweg innehat. Hinzu komme die zunehmende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, sagt Greifenstein: „Befristet Beschäftigte haben Angst, dass sie nach einer Wahl in den Betriebsrat keine Chance mehr auf Entfristung haben.“ Sie zu einer Kandidatur zu bewegen sei daher kaum möglich.

Bei der IG Metall sind Arbeitnehmervertreter aus der Gruppe der 18- bis 30-Jährigen noch rarer gesät als im Bundesdurchschnitt: Gerade einmal drei Prozent beträgt ihr Anteil. Dennoch ist IG-Metall-Sekretärin Madan vor dem bevorstehenden Generationswechsel nicht bange. Jüngere Kollegen, die als Kandidaten aufgebaut werden können, gebe es auf jeden Fall genug, sagt sie. „Betriebsräte müssen das nur wollen und aktiv werden.“ Um einen reibungslosen Umbruch zu erleichtern, plant die Gewerkschaft Bildungs- und Beratungsangebote, um zu vermitteln, wie der Wissenstransfer organisiert werden kann. „Jahrelang angehäuftes Wissen“, sagt Madan, „darf nicht verloren gehen.“ 

Die IG BCE betreibt aus eben diesem Grund bereits erfolgreich Mentoring-Programme von und für Frauen, wie sie etwa der Landesbezirk Nordrhein speziell für jüngere Betriebsrätinnen anbietet: Langjährige Arbeitnehmervertreterinnen nehmen dabei jeweils eine Newcomerin unter ihre Fittiche, teilen ihr Wissen, geben Tipps. Das Motto: „Von Erfahrung lernen“.

MEHR INFORMATIONEN

Ralph Greifenstein/Leo Kißler: Wen Betriebsräte repräsentieren. Sozialprofil von Interessenvertretungen und Belegschaftsstrukturen: Spiegelbild oder Zerrbild? Forschung der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 166. Berlin, sigma 2014. 150 Seiten, 14,90 Euro

Jürgen Prott: Zukunft für Betriebsräte – Perspektiven gewerkschaftlicher Betriebspolitik. Münster, Westfälisches Dampfboot 2013. 332 Seiten, 34,90 Euro

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen