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Magazin Mitbestimmung

: Editorial

Ausgabe 12/2005

Nur eine andere Sprache

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
immer wenn über Strategien, Investitionen oder die Arbeitsorganisation entschieden werden soll, schaut man auf die Zahlen. Kennziffern sind Symbole für die Leistungsfähigkeit oder die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, für die Attraktivität gegenüber Investoren. Gewinn allein reicht nicht mehr aus - nach dem Maßstab einer strikt wertorientierten Unternehmensführung wird das Unternehmen systematisch auf versteckte Reserven und unproduktive Einheiten durchleuchtet.

Wirtschaften ohne zu rechnen, das geht meistens schief und wird vom Markt zuverlässig bestraft. Aber auch in die andere Richtung sind Fragen erlaubt. Die Zahl als Fetisch, als Gottesgericht, bei dem es nur noch darum gehen kann, die sozialen Folgen zu mildern - das ist das andere Extrem. Denn Zahlen sind von Menschen gemacht. Sie mögen manchmal unerbittlich sein, aber sie sind nie objektiv. Sie sind nur eine andere Sprache, in der man ebenso wie mit Worten Interessen formulieren, Vorschläge und Gegenvorschläge diskutieren kann. Sie sind eine Sprache, in der sich vieles ausdrücken lässt, aber nicht alles. Unfehlbar sind sie nicht. 

Oft werden fragwürdige Messmethoden verwendet, überzogene Renditeerwartungen durch Zielvorgaben an die Mitarbeiter durchgestellt. Werner Gleißner, Unternehmensberater und Verfechter der wertorientierten Unternehmensführung, war bereit, seine Philosophie zu erläutern (Seite 16). Er hält das Shareholder-Value-Konzept zwar für das überlegene Modell, räumt aber Auswüchse ein. Zu denken gibt seine Meinung, durch falsch berechnete Kennzahlen und zu hohe Renditeerwartungen würden Geschäftsfelder vorzeitig aufgelöst, würden Investitionen unterbleiben und Wachstumschancen verschenkt.

Wie schön wäre es, wenn man immer so schnell einig werden könnte! Betriebswirtschaft ist nötig, aber sie kann das politische Engagement nicht ersetzen. Das Interview mit Opel-Betriebsrat Klaus Franz (Seite 24) zeigt anschaulich, was es bedeutet, auch in harten Sanierungslagen verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen und dabei das Beste für die Mitarbeiter herauszuholen. Der Ausgleich der Interessen gelingt dort am besten, wo diese Mitarbeiter sich als Stakeholder verstehen, deren Beziehungen zum Unternehmen sich nicht auf Arbeitsverträge reduzieren lassen.

Kay Meiners
kay-meiners@boeckler.de

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