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Johanna Wenckebach Magazin Mitbestimmung

Zur Sache: "Diskriminierung bleibt vor allem in Betrieben eine Baustelle."

Ausgabe 05/2021

Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, zum Antidiskriminierungsrecht.

Gewerkschaften, Antidiskriminierungsverbände und andere haben im August zu Recht den 15. Geburtstag des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) als Fortschritt auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft gefeiert. Das zeigen zahlreiche Kommentare, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus diesem Anlass gesammelt hatte. Sie zeigen aber auch: Es gibt noch viel zu tun – gesellschaftlich, aber auch rechtlich. Sowohl die Evaluation des AGG als auch die des Entgelttransparenzgesetzes hat dem Gesetzgeber deutlichen Nachbesserungsbedarf gezeigt. An der jetzt anstehenden Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes beteiligt sich auch das Hugo Sinzheimer Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Diskriminierung ausdrücklich gesetzlich zu verbieten, die Beweislast zugunsten von Betroffenen umzukehren, um Gerichtsverfahren zu erleichtern und Schadenersatzpflichten bei Verstößen festzulegen – all das stößt bis heute auf erbitterten Widerstand von Arbeitgeberverbänden. Nach Erlass des Gesetzes befürchteten sie eine Klagewelle, von einem Bürokratiemonster war die Rede.

Doch in weniger als 2000 Gerichtsentscheidungen der letzten 15 Jahre spielte das AGG eine Rolle. Auch wenn wichtige Präzedenzfälle entschieden wurden: Das Gesetz wirkte viel mehr außerhalb von Gerichtssälen. Es hat, gerade in Betrieben, Diskriminierung zu einem Thema gemacht. Und es hat neben einzelnen Betroffenen – die sich selten allein wehren wollen und können – Betriebsräten ein Instrument gegeben, für mehr Gleichstellung im Betrieb zu sorgen. Diskriminierung betrifft viele Menschen, wie nicht zuletzt die Anfragen bei Gewerkschaften, Beratungsstellen und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen. Bei Problemen mit Rassismus nimmt der Beratungsbedarf in letzter Zeit sogar deutlich zu.

Als das AGG vor 15 Jahren auf den Weg gebracht wurde, war das auch ein Erfolg der Gewerkschaften. Sie hatten sich seit Jahren für einen guten rechtlichen Rahmen starkgemacht. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz setzte die Bundesregierung 2006 europäische Richtlinien in deutsches Recht um. Allerdings erst, nachdem die EU 2004 bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hatte. Und so weist das umkämpfte Gesetz noch immer Mängel auf. In einigen Bereichen sind die Vorgaben des Europarechts bis heute nicht erfüllt. Für den Bereich der Entgeltdiskriminierung zum Beispiel ist gerade ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. So sind die Hürden, Lohndiskriminierung zu beweisen, immer noch zu hoch. In dem Fall einer ZDF-Journalistin hat das höchste Gericht nun zu klären, ob das Grundrecht auf Gleichberechtigung (Artikel 3 Absatz 2 und 3 Grundgesetz) oder die Unionsgrundrechte auf gleichen Lohn (Artikel 23 Grundrechtecharta und Artikel 157 AEUV) verletzt wurden. Und das, obwohl 2017 in Ergänzung des AGG das Entgelttransparenzgesetz ­geschaffen wurde, um endlich die Lohndiskriminierung zu beseitigen.

Das Antidiskriminierungsgesetz muss weiterentwickelt werden. Hierzu müssen unter anderem kollektive Akteure gestärkt werden. Für einzelne Betroffene ist es oft schwer, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Sie brauchen den Schutz kollektiver Vertretung. Auch die Rechtsdurchsetzung vor Gericht muss etwa durch ein Verbandsklagerecht weiter verbessert werden. Für den Kampf gegen Diskriminierung und für Gleichstellung im Betrieb braucht es vor allem Betriebsräte, Schwerbehindertenvertretungen und Gewerkschaften. Ohne sie wird es keinen Kulturwandel in der Arbeitswelt geben.

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