zurück
Cover Atlas der Digitalen Arbeit Magazin Mitbestimmung

Digitale Arbeit: Nichts bleibt, wie es ist

Ausgabe 03/2022

Der „Atlas der digitalen Arbeit“ gibt einen Überblick über die wichtigsten Digitalisierungstrends. Der Veränderungsdruck auf Wirtschaft und Gesellschaft ist enorm. Von Dirk Manten

Auch wenn die Illustration auf dem eisblauen Umschlag eine Weltkarte mit allen fünf Erdteilen zeigt: Der „Atlas der digitalen ­Arbeit“, den die Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegeben hat, konzentriert sich bei der Vermessung der digitalen Arbeitswelt auf Europa und Deutschland. Es ist ein Atlas, der keine Karten braucht. Gut verständliche Texte und Infografiken genügen, um die Perspektiven der Digitalisierung aus der Sicht der Beschäftigten zu beschreiben. Eine Stärke des Werkes ist, dass nicht nur nackte Zahlen präsentiert werden. Es werden stets auch die Defizite, Ungerechtigkeiten und Risiken diskutiert, die mit dem Einsatz der neuen Technik einhergehen. In vielen Beiträgen werden Forderungen an die Politik formuliert – oder Möglichkeiten aufgezeigt, durch Betriebsvereinbarungen die Rechtsposition der Beschäftigten zu verbessern.

Der Veränderungsbedarf durch die Digitalisierung ist gewaltig – in der Wirtschaft wie in der Gesellschaft. „Das deutsche Produktions- und Sozialmodell steht vor einer historischen Herausforderung“, schreiben die Autoren. Ein drastisches Beispiel ist die Autoindustrie, nach Beschäftigung, Wertschöpfung, Forschungsausgaben und Investitionen eine der wichtigsten Branchen in Deutschland, die rund 2,2 Millionen Arbeitsplätze sichert. Jetzt steht sie nicht nur vor der großen Aufgabe, die Antriebstechnik ihrer Produkte schnellstmöglich zu elektrifizieren, zugleich verändern sich das Mobilitätsverhalten, die politischen Rahmenbedingungen und die Geschäftsmodelle.

Die Autobauer müssen sich neu erfinden, wenn sie überleben wollen, die Beschäftigten haben aber ein Interesse am Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Als Strategie schlagen die Autoren vor, „die digitale Transformation mit ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zu verknüpfen. Beschäftigungssicherung und ‚Gute Arbeit‘ würden so zu Leitplanken der Transformation“. Sie weisen darauf hin, dass die Mitbestimmungsrechte ausgebaut werden müssen. Nur dort, wo Betriebsräte sind, kann eine faire und sozial gerechte digitale Transformation gelingen. Damit das kein Wunschdenken bleibt, ist die Mitbestimmung in der Praxis genauso gefordert wie die Politik.

Der Atlas behandelt ferner den „ungleichen Digitalisierungsschub“, den die Coronapandemie mit sich brachte, die Datenschutzprobleme, die durch Cloud-Computing entstehen, oder die fortgesetzte berufliche Benachteiligung von Frauen, mitverursacht durch eine Berufswahl, die teilweise immer noch festen Rollenbildern folgt. Hier und da wünschte man sich eine stärker globale Perspektive. An manchen Stellen der Veröffentlichung scheint durch, dass Themen entlang der Zuständigkeiten der DGB-Gewerkschaften gewählt wurden – etwa, wenn (Überschrift: „Gebremste Alarmfahrt“) über die zunehmende Cyberkriminalität im Land und Digitalisierungsdefizite bei der Polizei berichtet wird.

Doch den Gesamteindruck, dass hier über Branchengrenzen hinweg aktuelle Trends beschrieben und tiefe Suchschnitte durch eine Wirtschaft im Umbau gelegt werden, schmälern solche Zugeständnisse an die Organisationslogik nicht. Wer sich für die verwendeten Quellen interessiert oder tiefer in die Materie einsteigen will, findet auf den letzten Seiten des Atlanten eine umfangreiche Linkliste, die allen Ansprüchen an die wissenschaftliche Zitierweise genügt.

Deutscher Gewerkschaftsbund/Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.): Atlas der digitalen Arbeit. Daten und Fakten über die Beschäftigung der Zukunft. Berlin, 2022. 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen