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Illustration mit dem Schriftzug Demokratie Magazin Mitbestimmung

Medien: Die Zukunft liegt in der digitalen Welt

Ausgabe 01/2024

Das Internet hat unendlich viele Möglichkeiten geschaffen, aber auch neue Probleme. Es ist ein Balanceakt, die Freiheit im Netz zu erhalten und antidemokratische Strömungen zu unterbrechen. Von Fabienne Melzer

Das gesammelte Wissen aller steht dem größten Publikum aller Zeiten zur Verfügung, jeder kann sich mit seiner Meinung zu Wort melden, und es gibt auf alle Fragen eine Antwort. Es scheint, als hätten sich die Hoffnungen erfüllt, die auf dem digitalen G-8-Gipfel 2011 mit dem Internet verbunden wurden. Aber schon damals teilten nicht alle die Euphorie. Ein paar Zuhörer erinnerten die Redner des Gipfels, die überwiegend von großen Internetkonzernen kamen, an Kolonialherren. Wie sehr sie das Internet inzwischen erobert haben, zeigt die Forschung des Kölner Medienwissenschaftlers Martin Andree. Über drei Monate maß er die Nutzung auf verschiedenen Endgeräten und kam zu dem Ergebnis: 45 Prozent des Internetverkehrs landen auf den Seiten von Alphabet, Meta, Apple und Amazon. Die ersten 100 Angebote erzielten knapp 72 Prozent des Traffics, auf die Anbieter zwischen Platz 101 und 500 verteilten sich noch 14 Prozent. Wer ein Stück vom Aufmerksamkeitskuchen will, kommt kaum um die großen Plattformen herum. Instagram und Co zeigen Inhalte externer Anbieter auf den eigenen Seiten an. Zurück zur Quelle kommt man nur aktiv. Google bietet inzwischen Textauszüge, sogenannte Snippets. Wem die Zusammenfassung reicht, bleibt bei Google, und die Seiten der Inhaltshersteller gehen leer aus.

Mit dem unendlichen und kostenlosen Wissen im Internet nahm die Bereitschaft der Menschen weiter ab, für journalistische Medien zu zahlen. Bei den Verlagen führte das zu sinkenden Auflagen, was die Anzeigenpreise sinken ließ – das war wiederum Anlass für höhere Abonnementpreise, woraufhin die Abozahlen noch weiter sanken. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik bei der Gewerkschaft Verdi, nennt es die Anzeigen-Auflagen-Spirale. Mit der Spirale ging es auch mit den Arbeitsbedingungen bergab. Redaktionen schrumpften, während die Aufgaben auch durch die Digitalisierung zunahmen. Medienhäuser setzen zunehmend auf Freie, die Tarifbindung sinkt. Gleichzeitig nehmen seit etwa zehn Jahren Anfeindungen gegen Medienleute zu. „Wir können es uns aber als Gesellschaft nicht leisten, dass vielleicht bald niemand mehr in dem Beruf arbeiten will“, sagt Bettina Hesse.

Medien sind schließlich nicht irgendein Produkt. Sie sind ein Pfeiler der Demokratie. Sie sollen den Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik gewährleisten, Meinungen auch von Minderheiten wiedergeben und Missstände öffentlich machen. Da die Internetkonzerne bestreiten, Medien zu sein, unterliegen sie nicht diesen Regeln. Martin Andree hätte sie allerdings gern beim Wort genommen: „Wenn ihr mit den Inhalten nichts zu tun habt, dürft ihr sie auch nicht monetarisieren.“ Genau das tun sie aber. Sie vermessen die Nutzerinnen und Nutzer anhand ihrer Lesegewohnheiten und Postings und lassen sich von Werbetreibenden den Zugang zu einem personalisierten Markt bezahlen.

Profit bringt, was Klicks generiert, und das sind vor allem Nachrichten, die starke Gefühle auslösen. Christian Fichter, Wirtschaftspsychologe an der Uni Zürich, nennt das Empörungsökonomie. Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Menschen hätten sich auch klassische Medien diesem Mechanismus teilweise angepasst. So befinden sich Menschen zunehmend in einem Dauerzustand der Empörung, und das könne zu schlechten Entscheidungen führen.

Menschen, die soziale Medien nutzen, engagieren sich häufiger politisch, nehmen öfter an Demonstrationen teil und gehen auch häufiger zur Wahl.“

PHILIPP LORENZ-SPREEN, Netzwerkwissenschaftler

Der Netzwerkwissenschaftler Philipp Lorenz-Spreen untersucht mit anderen, wie sich die Nutzung digitaler Medien auf das politische Verhalten auswirkt. Dabei stellte er durchaus positive Effekte fest. „Menschen, die soziale Medien nutzen, engagieren sich häufiger politisch, nehmen öfter an Demonstrationen teil und gehen auch häufiger zur Wahl“, sagt Lorenz-Spreen, der am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung arbeitet. Die Kehrseite: Mit der Nutzung digitaler Medien sinkt das Vertrauen in Politik und Medien. Zugleich wächst die Polarisierung und die Neigung zu Populismus am rechten Rand. Dabei zeigen Langzeitstudien: Die Menschen nutzen zuerst digitale Medien und ändern dann ihre politische Einstellung. Zwar seien die ursprünglichen Gründe meist gesellschaftlicher Natur, wie etwa die wachsende Ungleichheit, sagt Lorenz-Spreen, „aber die sozialen Medien wirken als Katalysator und verstärken sie“.

Grundrauschen im Netz

Christoph Bieber, Forschungsprofessor am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum und Altstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung, sieht die Entwicklung dennoch gelassen. Natürlich bringe der Wandel auch Probleme mit sich. Aber das heißt ja nicht, dass es früher besser war“, sagt Bieber. Die Digitalisierung habe die Kommunikation diverser gemacht. Das bringe einerseits mehr ungeprüfte Beiträge in die Diskussion, erzeuge aber auch Widerspruch.

Verdi-Referentin Bettina Hesse nimmt in den Netzen ein Grundrauschen wahr, in dem sich Wichtiges von Unwichtigem nur schwer unterscheiden lasse, vor allem da im Netz niemand vorsortiere. Da können Widerspruch und Relevantes gleichermaßen ungehört verhallen. Eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung kam 2018 zu dem Schluss, dass Fact-Checking wenig gegen Falschnachrichten ausrichte. Wo Algorithmen und zunehmend Künstliche Intelligenz über die Verbreitung von Nachrichten entscheiden, erreichen Richtigstellungen deutlich weniger Menschen, und bei denen, die ohnehin klassischen Medien nicht mehr vertrauen, verstärken sie eher den Glauben an die falsche Nachricht. Sie funktionieren allerdings als eine Art Rauchmelder für Fake-News-Brände für Medienschaffende und Politik.

Dem unendlichen Wissen des Internets steht noch immer die begrenzte Zeit der Menschen gegenüber. Gerda Falkner, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, nennt es den Theatereffekt: „Wenn im Publikum alle aufstehen, sieht keiner besser. Wenn alle schreiben, lesen wir auch nicht mehr als vorher.“ Aber eventuell anders. „Es wird geteilt, was Hass und Wut erzeugt“, sagt Falkner. Das befördere jenen Typus von Politiker ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung, der gerne zuspitzt und verkürzt.

CAIS-Forscher Christoph Bieber macht dafür weniger das Netz als vielmehr eine gewandelte Parteienlandschaft verantwortlich: „Die AfD ist von Anfang an mit den sozialen Medien gewachsen und integriert sie besser in die Organisationsstrukturen als die etablierten Parteien“, sagt Bieber. Emotionale Debatten gab es auch vor dem Digitalzeitalter, man erinnere sich nur an den Schlagabtausch zwischen Strauß und Wehner. „Solche Debatten vermissen doch heute viele in der Politik“, sagt Bieber.

Ich bin kritisch den digitalen Konzernen gegenüber, aber nicht der digitalen Transformation.“

MARTIN ANDREE, Kölner Medienwissenschaftler

Das Internet befreien

Der Kölner Wissenschaftler Martin Andree ist überzeugt, dass die Zukunft der Medien im Digitalen liegt: „Ich bin kritisch den digitalen Konzernen gegenüber, aber nicht der digitalen Transformation“, sagt Andree. Gerade weil sie für die politische Meinungsbildung eine wichtige Rolle spielen, müsse man das Internet von der Vormacht der großen Digitalkonzerne befreien.

Auch Bettina Hesse findet, die Politik müsse der Macht der Plattformen im Interesse der Demokratie Grenzen setzen. Ein Gegengewicht im Dickicht aus zweifelhaften Inhalten von Absendern mit unbekannter Interessenlage könnte der öffentlich-rechtliche Rundfunk bilden, zumal das Bundesverfassungsgericht ihm in einem Urteil 2018 diese Aufgabe zugewiesen hat. „Es gibt gute Vorschläge, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stärken“, sagt Hesse. „Wir müssen aber aufpassen, dass sie durch die häufige Fokussierung auf die Höhe des Rundfunkbeitrags nicht unterminiert werden.“ Ein Angebot, das nicht ökonomischen Anreizen folgt, müsse finanziell abgesichert sein und auch Zugang zu neuen technischen Entwicklungen haben. „Natürlich spielen im Netz die Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender im Vergleich zu den großen Plattformen eine verschwindend geringe Rolle“, sagt Bettina Hesse. „Aber in Krisen wie der Pandemie oder dem Ukrainekrieg erleben sie enormen Zulauf – linear und online. Wenn Menschen Orientierung brauchen, wenden sie sich an vertrauenswürdige Stellen.“

Um die Macht der Internetkonzerne zu begrenzen, schlägt Martin Andree vor, die Regeln im Netz zu ändern. Unter anderem sollten die Plattformbetreiber dazu verpflichtet werden, Outlinks nicht zu behindern, Gewinne in den Ländern, in denen sie sie erwirtschaften, auch zu versteuern und gewonnene Daten aggregiert und anonymisiert der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Andree fordert auch die Verpflichtung zu offenen Standards, damit alle mit ihren Inhalten und Kontakten jederzeit zu anderen Anbietern wechseln können. Bei demokratierelevanten Plattformen müssten Kanal und Inhalt getrennt werden. Das würde etwa bedeuten, dass beispielsweise Youtube nur einer von vielen Vermarktern von Videos auf der Plattform wäre und Kunstschaffende Produkte an den Meistbietenden verkaufen können.

Christoph Bieber vom CAIS ist skeptisch: „Regulierung ist auf Ebene der EU erst recht schwierig, es geht nicht von heute auf morgen.“ Mit der Verabschiedung der Datenschutzgrundverordnung und zuletzt dem AI-Act sei die EU schon wichtige Schritte gegangen. „Das Problem ist aber die Zeit“, sagt Bieber. „In der Zeit, in der Politik Regeln schafft, hat sich die digitale Welt wieder ein ganzes Stück weitergedreht.“ Natürlich müsse die Entwicklung sich in einem gewissen Korridor bewegen, in dem nicht alles erlaubt ist. „Aber der Wandel wird weiter voranschreiten.“

Der Netzwerkwissenschaftler Philipp Lorenz-Spreen sieht angesichts der positiven Effekte auch ein großes demokratisches Potenzial in den Netzwerken. „Eigentlich ist es eine Verschwendung, das Internet nur für kommerzielle Zwecke zu nutzen“, sagt er und erinnert sich an eine Funktion, die es in den Anfangszeiten von Twitter, lange vor der Regieübernahme durch Elon Musk gab: „Es war ein Hinweis: Wollt ihr diesen Inhalt wirklich teilen, bevor ihr ihn gelesen habt?“ Nicht auf jeden Aufreger reagieren und so die eigene Psychologie überlisten würde nicht nur den digitalen Netzwerken guttun, denkt Lorenz-Spreen: „Es setzt auch Vertrauen in die Menschen, dass sie selbst entscheiden können.“

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