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Magazin Mitbestimmung

: Die Arbeitszeit-Revolution

Ausgabe 07+08/2011

BÜNDNIS FÜR ARBEIT Beim schwäbischen Maschinenbauer Trumpf können jetzt Beschäftigte zwischen 15 und 40 Stunden pro Woche arbeiten und auch mal zwei Jahre pausieren. Die Firma will Fachkräfte umwerben, die IG Metall die Wahlfreiheit der Beschäftigten unterstützen. Von Stefan Scheytt

Stefan Scheytt ist Journalist in Rottenburg am Neckar/Foto: Cira Moro

Märchenhafte Arbeitszeiten: Hier kann man arbeiten, wann man will. Und so lange in Urlaub gehen, wie man es sich wünscht“ – so jubelte die Bild-Zeitung Mitte Mai über den schwäbischen Werkzeugmaschinenbauer und Laserspezialisten Trumpf; die vorsitzende Geschäftsführerin von Trumpf, Nicola Leibinger-Kammüller, sei „Deutschlands modernste Chefin“, ihr Plan „Deutschlands revolutionärstes Arbeitszeitmodell“, selbst die Gewerkschaft sei davon „begeistert“.

Märchen? Revolution von oben? Mit Sicherheit ist die neue Vereinbarung zwischen Trumpf, dem Betriebsrat und der IG Metall höchst bemerkenswert und wohl auch einmalig in Deutschland. Das beginnt schon damit, dass bei der Pressekonferenz Mitte Mai am Stammsitz in Ditzingen, auf der die Trumpf-Chefin das Modell vorstellte, auch Betriebsräte und der Stuttgarter IG-Metall-Bevollmächtigte Hans Baur hinter den Mikrofonen saßen; Baur wurde in der anschließenden Pressemeldung von Trumpf sogar zitiert, was nicht alltäglich ist in Pressemitteilungen von Unternehmenskommunikatoren. Formal ungewöhnlich war auch, dass die Vereinbarung zum Zeitpunkt der Pressekonferenz noch gar nicht bis ins Detail ausverhandelt war. Trumpf-Insider sagen, die Firma sei damit vorgeprescht, weil eine ähnliche Nachricht von Firmen-Nachbar Bosch erwartet wurde, der man zuvorkommen wollte; seit der Ankündigung des Modells sei die Zahl der Bewerbungen auch drastisch gestiegen. Das zeigt, worum es vor allem geht: Im industriestarken Süden mit Firmen wie Daimler, Bosch, Porsche, Stihl, Audi und vielen anderen wollen die Ditzinger (1,34 Milliarden Euro Gruppen-Umsatz, weltweit 8000 Beschäftigte, davon 4500 in Deutschland) im Wettbewerb um knapper werdende Fachkräfte ein lautes Signal setzen.

GESUCHT: WEIBLICHE ARBEITSKRÄFTE_ Kern des neuen Arbeitszeitmodells ist ein wohl einmaliges Spektrum an Optionen: Alle zwei Jahre können Trumpf-Mitarbeiter ihre Wochenarbeitszeit in einem Rahmen von 15 bis 40 Stunden neu festlegen, bei entsprechend angepasstem Lohn. Zudem können sie während ihrer regulären Arbeitszeit bis zu 1000 Stunden auf einem individuellen Konto ansparen und dieses Guthaben in Freizeitblöcke bis zu sechs Monaten umwandeln oder damit eine zeitweise Arbeitszeitreduzierung „finanzieren“. Eine dritte Variante erlaubt es, bis zu zwei Jahre für die Hälfte des Lohns Vollzeit zu arbeiten und davor oder danach zwei Jahre bei halben Bezügen freizunehmen („Sabbatical“), wobei das halbe Gehalt auch steuerlich interessant sein kann.

„Die Lebensverhältnisse und die Lebensphasen sind heute sehr unterschiedlich“, begründet Arbeitsdirektor Gerhard Rübling die neue Arbeitszeitpolitik. „Wer frisch von der Uni kommt, will erst mal richtig loslegen und viel arbeiten. Wenn Kinder kommen oder Angehörige zu pflegen sind, fährt man das Pensum eher zurück, der Hausbau erfordert dann wieder mehr Arbeit, weil mehr Geld nötig ist. Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, will man vielleicht wieder mehr Zeit für Hobbys, Weiterbildung, ehrenamtliches Engagement.“ Wenn die Idee von den unterschiedlichen Lebensphasen falsch sei, werde das Angebot eben nicht in Anspruch genommen. „Aber wenn der Ansatz stimmt, werden wir als Arbeitgeber attraktiver, nicht zuletzt für Frauen, die in Deutschland im Durchschnitt nur 18 Stunden pro Woche arbeiten und oft in weniger gut bezahlten Jobs.“

Mit der neuen Wahlfreiheit will Trumpf Software-Entwicklerinnen, Ingenieurinnen, Controllerinnen, Vertriebsmitarbeiterinnen gewinnen – „und am besten ein Leben lang halten. Junge, gut ausgebildete Frauen sollen nach der Kinderzeit wieder gerne bei uns anfangen“, sagt Firmenchefin Leibinger-Kammüller, selbst vierfache Mutter.

Das neue Trumpf-Modell, zu dem auch noch weitere kleinere Zeitbausteine gehören wie etwa die Möglichkeit, unterschiedlich viele Stunden für den Aufbau der betrieblichen Altersvorsorge zu arbeiten, ist Teil des „Bündnisses für Arbeit 2016“, das nun für fünf Jahre gilt und zudem mit einer dynamischen Beschäftigungs- und Standortsicherung verknüpft ist. Derlei Bündnisse schließen Betriebsrat, Geschäftsleitung und IG Metall schon seit 1996, und „früher mussten wir manche Kröten schlucken“, sagt IG-Metaller Hans Baur. So wurden zusätzlich zur Basisarbeitszeit von 35 oder 40 Stunden Zeitbausteine im Wert von 4,5 Stunden erbracht, zum Beispiel für Beschäftigungssicherung, Altersvorsorge, Gewinnbeteiligung und die unbefristete Übernahme der Azubis. Die Beschäftigung am Stammsitz in Ditzingen wuchs im Verlauf dieser „Bündnisse“ etwa um den Faktor drei, und trotz eines Umsatzrückgangs im Vergleich zu 2007/08 um fast 40 Prozent kam Trumpf mit der gesamten Belegschaft durch die Krise (fast sämtliche Kurzarbeit wurde für Weiterbildung genutzt).

Trumpf, sagt Arbeitsdirektor Rübling, habe eine „Kehrtwende“ in der Arbeitszeitpolitik vollzogen: „Früher sind wir mit hohen Arbeitszeiten vorgeprescht, jetzt mit einer sehr hohen Zeitsouveränität für die Beschäftigten. Die Zeiten haben sich geändert.“

WUNSCH NACH MEHR ARBEIT_ „Auch diesmal waren die Verhandlungen nicht einfach, es wurde bis zum Schluss über Details verhandelt“, sagt die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Renate Luksa. Die Basisarbeitszeit wurde um drei Stunden reduziert, sodass auf die 35- oder 40-Stunden-Verträge jetzt nur noch die verpflichtenden und unentgeltlichen 1,5 Stunden für das Bündnis-Paket kommen, das unter anderem die Beschäftigung und den Standort bis 2016 sichert und die Übernahme der Azubis garantiert. Weggefallen sind in der neuen Bündnisvereinbarung zum Beispiel die zwei Stunden pro Woche, die jeder Mitarbeiter bisher für das Gewinnbeteiligungsmodell einbringen musste, die aber nur unter bestimmten Bedingungen auch ausgezahlt wurden. „Jetzt gibt es wieder eine echte Gewinnbeteiligung ‚on top‘, die das Unternehmen festlegt“, sagt GBR-Chefin Renate Luksa stolz. Zwar empfinden es die Betriebsräte als Zugeständnis, dass das Stundenkonto bei Konjunkturschwankungen nun wieder etwas mehr variieren darf (von plus 350 bis minus 200) und dass nun durchschnittlich 40 Prozent der Beschäftigten (bisher 18 Prozent) einen 40-Stunden-Vertrag bekommen können. Aber sie wissen auch, wie wichtig es vielen Mitarbeitern ist, mehr Geld zu verdienen. „Bei uns melden sich bereits Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit erhöhen wollen“, erzählt Renate Luksa.

Spannender ist aber die Frage, was passiert, wenn Mitarbeiter die neue Wahlmöglichkeit dazu nutzen, ihr Arbeitspensum deutlich zu reduzieren. „Bei Trumpf herrschte bisher die Kultur, möglichst viel Zeit im Unternehmen zu verbringen“, sagt Uwe Cichowicz, Betriebsratsvorsitzender am Stammsitz. „Jetzt gehen wir in die andere Richtung, jetzt muss es möglich sein, dass auch ein wichtiger Mitarbeiter auf 30 Wochenstunden reduziert, ohne dass er deshalb einen Makel bekommt.“ Gerade unter Schwaben kann der Makel „Der will net schaffa“ karriereschädigend sein. Doch die Firma steht im Wort, genau diesen Kulturwechsel vollziehen zu wollen: „Wir wollen auch den Vorgesetzten, der nur 30 Stunden arbeitet oder den Spezialisten, der nur am Nachmittag für vier Stunden kommt“, sagt Arbeitsdirektor Rübling. „Wer sich eine längere Auszeit nimmt für eine Weltreise, darf deshalb keinen Karriereknick erleiden.“

DIE QUAL DER WAHL_ Die erzschwäbische Firma Trumpf hat sich damit einiges vorgenommen – ganz abgesehen vom organisatorischen Aufwand, immer mehr individuelle Arbeitszeiten mit den betrieblichen Anforderungen koordinieren zu müssen. „Keine Frage, das wird ein Kraftakt, aber wenn wir uns von den starren Verträgen lösen und den Mitarbeitern Zeitsouveränität anbieten wollen, müssen wir das leisten“, meint Arbeitsdirektor Rübling, ein gelernter Industriesoziologe. Auch an die Trumpf-Mitarbeiter stellt das neue Modell Anforderungen: „Es ist mehr Eigenverantwortung gefragt – jeder muss sich jetzt mehr mit seiner Lebensplanung auseinandersetzen und überlegen, was das für seine Arbeitszeit bedeutet“, sagt Betriebsratschef Uwe Cichowicz. Für den IG-Metall-Bevollmächtigten Hans Baur steht indes außer Frage, dass Trumpf hier eine Vorreiterrolle übernimmt: „Die Beschäftigten wollen mehr Freiheit, als sich mit einem klassischen 35- oder 40-Stunden-Vertrag abbilden lässt. Der Trend der Tarifpolitik wird in diese Richtung gehen, und wir als Gewerkschaften wollen die Beschäftigten dabei unterstützen.“

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