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Arbeitswelt: „Die Arbeit geht nicht aus“

Ausgabe 05/2020

Algorithmen werden den Menschen nicht ersetzen – aber Betriebsräte sollten über ihren Einsatz wachen. Gespräch mit dem SPD-Politiker Thorben Albrecht und Stefan Lücking von der Hans-Böckler-Stiftung.

 

Die Studien zum Einsatz künstlicher Intelligenz lassen einen ratlos zurück. Die einen sagen, dass die Algorithmen menschliche Arbeit in ganzen Branchen hinwegfegen, andere prognostizieren ein Jobwunder. Wie kommt das?

Albrecht: Ich gehöre nicht zu jenen, die sagen, dass uns mit KI die Arbeit ausgeht. Die meisten dieser Studien messen, welche Tätigkeiten nach heutigem Kenntnisstand technisch durch künstliche Intelligenz ersetzt werden können. Das heißt aber nicht, dass die Jobs in der Praxis tatsächlich wegfallen. Dafür ist entscheidend, ob KI sich für das Unternehmen im konkreten Fall rechnet. Sie muss sich in die Arbeitsabläufe einpassen, und sie muss von den Menschen im Betrieb akzeptiert werden. Außerdem stellt sich immer die Frage: Was sagt das Arbeitsrecht, und was sagt der Betriebsrat? Welchen Einsatzformen stimmt er zu und welchen nicht? Auch wenn KI nicht dazu führt, dass die Jobs verschwinden, wir müssen ihren Einsatz regulieren.

Lücking: Entscheidend ist, was profitabel ist, nicht was technisch sinnvoll wäre. Es heißt ja stets, KI ersetze vor allem einfache manuelle Tätigkeiten. Aber oft ist das technisch zu aufwendig und die Arbeit zu billig. In der Pflege etwa könnten Roboter schwere körperliche Arbeit ersetzen. Aber ihr Einsatz scheitert möglicherweise daran, dass sie zu teuer sind.

Albrecht: Außerdem stellt sich die Frage, ob die Patienten es tatsächlich akzeptieren, vom Roboter gewaschen zu werden. KI übernimmt zunehmend auch kognitive und kommunikative Tätigkeiten, etwa die Bearbeitung von Versicherungsfällen, die Auswertung von Röntgenbildern oder die Kommunikation mit einem Kunden, der mit seinem neuen Handy nicht zurechtkommt. Aber auch hier wird menschliche Arbeit nur teilweise ersetzt.

Deutschland hat eine starke Mitbestimmung. Macht das im Hinblick auf künstliche Intelligenz einen Unterschied zu anderen Ländern?

Lücking: Eindeutig ja. Betriebsräte haben beim Einsatz von EDV grundsätzlich starke Mitbestimmungsrechte. Doch sowohl beim Management als auch beim Betriebsrat fehlt in vielen Fällen die Expertise. Wir lassen zurzeit untersuchen, was betriebliche Akteure, insbesondere Betriebsräte, benötigen, um mit dieser Technologie verantwortungsvoll umzugehen und sich nicht von den Herstellern teure KI-Systeme aufschwatzen lassen, die nicht zur betrieblichen Situation passen.

Albrecht: Der Betriebsrat muss im Prinzip bei jedem Update einer Software beteiligt werden. Bei der KI ist das schwieriger als bei einem Standardprogramm, weil der Algorithmus selbstlernend ist, sich also durch den Einsatz selbst verändert. Der Betriebsrat muss ständig dranbleiben, damit die KI sich nicht verselbstständigt.

Hemmt die Mitbestimmung den Einsatz künstlicher Intelligenz?

Albrecht: Das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Die Mitbestimmung und die Beteiligung der Beschäftigten bieten die große Chance, die Technologie sowohl effizient als auch mit großer Akzeptanz einzusetzen. Algorithmen arbeiten nicht autonom, sondern mit Menschen zusammen. Die müssen die KI akzeptieren. All dies wird erleichtert, wenn die Beschäftigten über Betriebsräte oder Vertrauensleute Bedenken oder Verbesserungsvorschläge einbringen können.

Gibt es erste Erkenntnisse aus den von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekten zum Einsatz von KI?

Lücking: Es scheint sich zu bestätigen, dass die Trainingsdaten wichtiger sind als der Algorithmus. Transparenz heißt nicht, den Quelltext der Algorithmen zu kennen, sondern zu verstehen, auf welchen Modellen der Wirklichkeit die Algorithmen basieren, wie die Daten beschaffen sind und mit welchen Verfahren die Zuverlässigkeit der Ergebnisse überprüft werden kann.

Kann man das an einem Beispiel erklären?

Lücking: Mehrere Projekte haben die Diskriminierung durch KI untersucht, beispielsweise im Personalmanagement. Wenn die Trainingsdaten, an denen die Algorithmen lernen, diskriminierend sind, liegt der Verdacht nahe, dass der Algorithmus, der daraus Empfehlungen ableitet, auch diskriminiert.

Und die Alternative?

Lücking: Algorithmen sind sehr gut in der Lage, Diskriminierung in Daten zu identifizieren. Also könnte es doch sinnvoll sein, per KI bestehende Diskriminierung in der Personalpolitik von Unternehmen aufzudecken, beispielsweise eine ungleiche Verteilung von Tätigkeiten zwischen Männern und Frauen. Diese Erkenntnisse ließen sich dann fürs Diversity Management nutzen.

In letzter Zeit kursiert der Begriff „algorithmische Gegenmacht“. Was ist das?

Albrecht: In Großbritannien etwa haben Uber-Fahrer sich zu einer Initiative namens Worker Info Exchange zusammengeschlossen und vom Unternehmen die Herausgabe der über sie gesammelten Daten verlangt. Sie haben dann mit einem Datenanalysten per KI diese Daten ausgewertet, um Klarheit darüber zu bekommen, wie die Bewertungen der Fahrer genau zustande kommen und ob die Zeiten korrekt abgerechnet werden. Das Beispiel zeigt, dass man die Daten nicht nur nutzen kann, um die Produktivität zu erhöhen, sondern auch um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Organisationsmacht aufzubauen – weil man endlich versteht, was auf einer Plattform wie Uber genau vor sich geht.

Thorben Albrecht zählt in der SPD zu den Vordenkern beim Thema Zukunft der Arbeit. Von 2014 bis 2018 war er beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Stefan Lücking leitet das Referat Mitbestimmung im Wandel in der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

Gemeinsam moderieren Thorben Albrecht und Stefan Lücking den Ideenpitch „Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt“ bei der diesjährigen LABOR.A.

Das Gespräch führte Andreas Molitor.

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