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Magazin Mitbestimmung

: Die Angst vor dem Blackout

Ausgabe 09/2011

E.ON Der Vorstand von Deutschlands größtem Energiekonzern will massiv sparen und Tausende Stellen streichen. Die Arbeitnehmervertreter, bisher nicht in die Überlegungen eingebunden, gehen in die Offensive und entwerfen einen eigenen Sanierungsplan. Von Mathias Peer

Mathias Peer ist Wirtschaftsjournalist in Köln 

Hans Prüfer ist nicht wütend, er ist enttäuscht. Von dem geplanten massiven Stellenabbau in seinem Unternehmen hat der Vorsitzende des E.ON-Konzernbetriebsrates aus den Zeitungen erfahren. Erst anderthalb Wochen nachdem die ersten Meldungen über den drohenden Kahlschlag in Deutschlands größtem Energiekonzern publik wurden, meldete sich Vorstandschef Johannes Teyssen zu Wort und bestätigte die Schreckensszenarien: Bis 2015 will E.ON 1,5 Milliarden Euro jährlich einsparen, bis zu 11 000 Stellen sollen konzernweit wegfallen. Wie und an welchen Stellen das passieren soll, weiß Prüfer bis heute nicht. Der Vorstand gibt sich verschlossen. Details der Sparpläne will man erst im November vorlegen. Nur eines machte die Konzernführung jetzt schon klar: Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen. „Man will uns vor vollendete Tatsachen stellen“, sagt Prüfer. „Das ist eine neue Form der Gesprächskultur, die es so in unserem Unternehmen noch nie gab.“ 

Dem obersten Arbeitnehmervertreter bei E.ON steht ein konfliktreicher Herbst bevor. Die Medien schreiben bereits vom „Kampf seines Lebens“ und von „harten Geschützen“, die er nun auffahren müsse. Diese Kriegsrhetorik ist die Sprache der Journalisten, nicht die von Hans Prüfer. Der 52-jährige Betriebsrat ist ein Mann der unaufgeregten, ruhigen Töne. Den Arbeitskampf sieht er als das letzte Mittel, viel lieber will er den Konzernumbau konstruktiv mitgestalten. Gerade deshalb ärgern ihn Sätze wie der von Vorstandsmitglied Bernhard Reutersberg besonders: Die Mitbestimmung werde nur dann eingebunden, wenn es die Unternehmensführung als sinnvoll und nötig erachte, habe ihm der Manager persönlich mitgeteilt. „Wie versucht wird, den Stellenabbau mit aller Macht durchzusetzen, das macht mir Angst“, sagt Prüfer. 

Verunsicherung herrscht nicht nur in der Düsseldorfer E.ON-Zentrale. Unternehmensstandorte in München, Essen und Hannover könnten im Zuge des Sparprogramms komplett geschlossen werden. „Die Mitarbeiter sind zutiefst bedrückt, auf den Fluren sehe ich dieser Tage nur lange Gesichter“, sagt Roman Braun, Betriebsratsvorsitzender der Tochtergesellschaft E.ON Energie in München. „Das Schlimmste ist, dass wir überhaupt keine Klarheit darüber haben, was mit uns passieren wird.“ 

Die wirtschaftliche Lage bei E.ON ist ernster denn je – umso mehr lechzen die Beschäftigten nach Informationen. 382 Millionen Euro Verlust machte der Konzern im zweiten Quartal 2011 – das erste Minus in der Geschichte des erfolgsverwöhnten Unternehmens, das noch im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von 8,4 Milliarden Euro einfuhr. Die Gewinnprognose für das laufende Jahr musste um eine Milliarde Euro von 3,8 auf 2,8 Milliarden Euro gesenkt werden. 36 Milliarden Euro Schulden belasten den Konzern zusätzlich. E.ON-Chef Teyssen begründet die Schieflage des Konzerns mit den negativen Veränderungen des Marktes durch das „politische und regulatorische Umfeld“. Gemeint ist damit die von der schwarz-gelben Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossene Energiewende, die den Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft bis zum Jahr 2020 vorsieht. 

FEHLENTSCHEIDUNGEN_ Doch als Erklärung für die Misere bei E.ON reicht das bei Weitem nicht aus. Der Konzern, der im Jahr 2000 aus einer Fusion der Energieversorger Veba und Viag hervorging, leidet bis heute an unternehmerischen Fehlentscheidungen der Vergangenheit: So schloss E.ON langfristige Verträge mit dem russischen Staatskonzern Gazprom, die dem Tochterunternehmen Ruhrgas den Zugang zu den russischen Gasreserven sichern sollten. Die exklusive Vereinbarung bescherte dem Unternehmen jahrelang satte Gewinne. Mit der Liberalisierung des Erdgasmarktes in der EU brachen die Preise jedoch massiv ein. Ruhrgas muss aber nach wie vor die fest ausgehandelten und mittlerweile völlig überhöhten Preise nach Moskau überweisen. „Die Konzernführung von E.ON ging immer davon aus, dass die Liberalisierung des Erdgasmarktes niemals kommen werde. Aus heutiger Sicht war das eine katastrophale Fehleinschätzung“, sagt Uwe Leprich, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken. Die Folge: Allein im ersten Halbjahr 2011 entstand bei Ruhrgas ein Minus von einer Milliarde Euro. 

Auch bei seinen Südeuropa-Geschäften verkalkulierte sich der Konzern kräftig: „Es sind viele Zukäufe zu überhöhten Preisen getätigt worden, die letzten Endes zu wenig werthaltig waren“, sagt Erhard Ott, stellvertretender Vorsitzender des E.ON-Aufsichtsrats und Mitglied im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Weil sich die Nachfrage industrieller Stromabnehmer in Italien, Frankreich und Spanien nicht wie geplant entwickelte, musste Vorstandschef Teyssen mehrere Milliarden Euro auf die dort getätigten Investments abschreiben. 

Noch schwerwiegender als die Verfehlungen der Vergangenheit sind für Energieexperte Leprich die mangelnde Vorbereitung auf die Zukunft: „Dem Management ist es bisher nicht gelungen, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln, das auch nach dem Ende des Atomzeitalters in Deutschland noch Bestand haben wird.“ Zu spät, zu zögerlich habe man in das Geschäftsfeld der erneuerbaren Energien investiert. Beim Versuch, das renditeträchtige Geschäft mit der Atomenergie so lange wie möglich auszureizen, sei die langfristige Perspektive vernachlässigt worden. „Für das gesamte Unternehmen und seine Beschäftigten ist eine solche Haltung natürlich fatal“, sagt Energieökonom Leprich. 

Statt neue Märkte zu erobern, soll E.ON nach dem Willen des Vorstands nun kräftig schrumpfen – vor allem bei der Mitarbeiterzahl. Aufsichtsrat Ott hält das für den falschen Weg: „Es gibt Alternativen zum Stellenabbau, die wir aufzeigen werden“, sagt der Gewerkschafter. „Bei der dezentralen Energieversorgung über Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung, der Geothermie oder Biomasse sehen wir in Deutschland gute Beschäftigungsperspektiven.“ Das Gleiche gelte auch für Zukunftstechnologien wie die Brennstoffzelle und Speichertechnologien. „Für die Zukunft des Konzerns ist es elementar, diese Märkte und Geschäftsfelder zu erschließen. Das funktioniert aber nicht, wenn das Unternehmen kaputt gespart wird.“ 

Ott will nun den Beweis antreten, dass E.ON über genügend Reserven verfügt, um Zukunftsprojekte zu stemmen: „Viele Belastungen des Konzerns, die sich im letzten Halbjahresbericht niederschlagen, sind nur eine Momentaufnahme. Wir gehen davon aus, dass die Perspektiven für das Unternehmen bereits 2012 wieder deutlich besser aussehen.“ Um das zu belegen, arbeitet der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende zusammen mit der Essener Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Korthäuer & Partner an einem Alternativplan, der aufzeigen soll, wie E.ON auch ohne Schrumpfkur beim Personal profitabel sein kann. Korthäuer & Partner analysiert dafür im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung den Halbjahresbericht von E.ON. „Wir wollen herausfinden, inwieweit das Unternehmen über ausreichend liquide Mittel verfügt, um neue Projekte auch ohne Stellenabbau finanzieren zu können“, sagt Wirtschaftsprüfer Achim Sollanek. In einem weiteren Schritt sollen von Branchenkennern die Felder identifiziert werden, in denen Investitionen am vielversprechendsten erscheinen. Erste Ergebnisse wollen die Wirtschaftsprüfer zusammen mit ver.di Mitte September vorlegen. 

Konstruktive Mitgestaltung statt Blockadepolitik – das ist auch die Linie der bei E.ON zweitgrößten Gewerkschaft, der IG Bergbau, Chemie, Energie. „Wir sehen die strukturellen Schwierigkeiten und wissen, dass etwas getan werden muss“, sagt IG-BCE-Sprecher Rudolf Heim. „Das muss ohne betriebsbedingte Kündigungen über die Bühne gehen. E.ON muss jetzt ein Konzept entwickeln, das langfristig tragfähige Perspektiven öffnet und neue Geschäftsfelder erschließt.“ 

Betriebsratschef Hans Prüfer erhofft sich, dass durch die Vorschläge der Arbeitnehmervertreter die zuletzt verstummten Gespräche mit dem Vorstand wieder in Gang kommen. Darauf hat er auch ein Anrecht: Laut Betriebsverfassungsgesetz ist der Arbeitgeber verpflichtet, mit dem Betriebsrat über Empfehlungen zur Sicherung von Arbeitsplätzen zu beraten – und eine Ablehnung schriftlich zu begründen, sollte er die Vorschläge für ungeeignet halten. „Es wird Zeit, dass der Vorstand endlich bereit ist, gemeinsam mit den Beschäftigten an der Zukunft des Unternehmens zu arbeiten“, sagt Prüfer, der seit 36 Jahren bei E.ON und seinen Vorgängerunternehmen arbeitet. Als Jugendlicher hatte er die Wahl zwischen einer Lehre in der Energiewirtschaft und bei einer Bank. „Meine Mutter sagte damals: Strom braucht man immer, das ist krisensicher“, erzählt Prüfer. Krisensicher ist die Branche längst nicht mehr. „Es wäre falsch, zu glauben, dass es in den nächsten Jahren so wie in der Vergangenheit immer weiter aufwärts geht“, sagt Prüfer. „Das Unternehmen steht jetzt in der Verantwortung, diesen Wandel so zu gestalten, dass die Beschäftigten nicht unter die Räder kommen.“

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