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Mehr Aufmerksamkeit für die Lieferkette Böckler Impuls

Menschenrechte und Umweltschutz: Mehr Aufmerksamkeit für die Lieferkette

Ausgabe 04/2024

Erste Erfahrungen in Deutschland zeigen: Ein Lieferkettengesetz bringt wichtige Verbesserungen. Der nächste Schritt wäre ein entsprechendes Gesetz auf europäischer Ebene. Dies scheitert jedoch bisher an der FDP.

Das europäische Lieferkettengesetz soll Arbeitsbedingungen und Umweltschutz verbessern. Doch Deutschland hat die Einführung zunächst blockiert. Denn die FDP verhindert, dass die Bundesregierung zustimmt. Dabei hätten gerade deutsche Unternehmen keine Nachteile zu befürchten. Zum einen haben sie bereits Erfahrungen mit dem vor einem Jahr in Deutschland eingeführten Lieferkettengesetz gesammelt. Gut zwei Drittel der großen Unternehmen erfüllen schon heute im Wesentlichen dessen Anforderungen. Zum anderen würden deutsche Unternehmen davon profitieren, dass gleiche Spielregeln in ganz Europa gelten. Auch für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bringt ein Lieferkettengesetz Vorteile, zeigt eine Analyse von Judith Beile und Katrin Vitols von der Unternehmensberatung wmp consult, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. „Seit Jahren kämpfen Gewerkschaften, NGOs und progressive Parteien für ein europäisches Lieferkettengesetz. Die Studie zeigt, dass ein solches Gesetz eine große Chance ist: für Menschenrechte und Umweltschutz über die gesamte Lieferkette, aber auch für die deutsche Wirtschaft“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung.

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Die Forscherinnen haben untersucht, inwiefern große börsennotierte Unternehmen in Deutschland ihrer Sorgfaltspflicht in der Lieferkette nachkommen und welche ersten Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz vorliegen. Darüber hinaus wurde analysiert, welchen Einfluss Arbeitnehmervertretungen bei der Überprüfung von Sorgfaltspflichten haben können. Grundlage waren Fallstudien multinationaler Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die Analyse der Unternehmensberichte von 90 Dax- und MDax-Unternehmen sowie Interviews mit Expertinnen und Experten.

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, gilt seit Januar 2023. Es war notwendig geworden, weil freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen über viele Jahre kaum spürbare Fortschritte gebracht hatten. Ziel des Gesetzes ist es, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz entlang der gesamten Lieferkette, also auch bei den Zulieferern, sicherzustellen. Das Gesetz erlegt allen in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten bestimmte Sorgfaltspflichten auf – unter anderem müssen sie Grundsatzerklärungen zur Einhaltung von Menschenrechten abgeben, Risikoanalysen durchführen, Präventionsmaßnahmen umsetzen und Beschwerdeverfahren einrichten.

Das Ringen um das europäische Lieferkettengesetz

Die Europäische Kommission hat im Februar 2022 einen Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz veröffentlicht. Die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) soll in der EU tätige Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechte und Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten zu achten. Darüber hinaus sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU geschaffen werden. Im Vergleich zu den Regelungen des deutschen Lieferkettengesetzes geht der europäische Entwurf in einigen Punkten weiter, anderseits beinhaltet er aber auch Entlastungen für Unternehmen. Im Dezember 2023 einigten sich das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten der EU auf eine Richtlinie. Die Zustimmung von Parlament und Rat galt als reine Formsache. Doch in der Bundesregierung stellte sich die FDP quer und drängte auf eine Enthaltung Deutschlands. Die für Februar 2024 im Rat geplante Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz wurde daraufhin kurzfristig verschoben.

Einige Fortschritte, aber auch Lücken

Viele der untersuchten Unternehmen berichten, dass sie im Rahmen der Umsetzung des Lieferkettengesetzes aktiv geworden sind oder planen, dies künftig zu tun. Zwar haben sich zumindest fast alle Dax-Unternehmen bereits in der Vergangenheit grob mit der Frage befasst, wie sich menschenrechtliche und ökologische Risiken auf das Geschäft auswirken könnten. Seit Einführung des Gesetzes gehen die Aussagen dazu jedoch weiter. Auch die befragten Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen betonen, dass das Gesetz beziehungsweise bereits seine Ankündigung zu Verbesserungen geführt haben. Laut der Studie erfüllen 66 Prozent der Unternehmen die wesentlichen Anforderungen des Lieferkettengesetzes, 34 Prozent sind noch nicht so weit.

Nachbessern müssen die Unternehmen unter anderem in diesen Bereichen:

  • Die Grundsatzerklärung, die rund zwei Drittel der Unternehmen veröffentlicht haben, bezieht sich nicht immer auf die im Gesetz genannten Menschen- und Umweltrechte und deren Referenzdokumente. Nur ein Drittel der Unternehmen beschreibt in der Grundsatzerklärung umfassend die notwendigen Prozesse. In den meisten Fällen fehlt eine adäquate Risikoanalyse, die als Grundlage dienen sollte.
  • Häufig werden externe Dienstleister mit der Durchführung der Risikobewertung beauftragt. Viele Unternehmen beschränken sich auf die Beschreibung ihres Vorgehens bei der Risikoanalyse, veröffentlichen aber nicht die Ergebnisse. Konkrete Risiken werden nur selten genannt.
  • Nur rund ein Drittel der untersuchten Unternehmen gibt an, Nachhaltigkeitskriterien bei der Beschaffung zu berücksichtigen. Welche Kriterien dabei genau berücksichtigt werden und inwieweit sie letztlich vergaberelevant sind, wird jedoch selten offengelegt.
  • Menschenrechtliche und ökologische Zielindikatoren sind nur in wenigen Fällen vorhanden. Einzelne Unternehmen nennen Ziele zur Überprüfung von Lieferanten, zur Nachhaltigkeit beim Einkauf oder zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Rohstoffbeschaffung. Bei den Umweltzielen steht die Einsparung von Treibhausgasemissionen an erster Stelle.
  • Viele der untersuchten Unternehmen verfügen über einen Verhaltenskodex für Lieferanten. Eine genaue Definition der Anforderungen an die Lieferanten in Bezug auf Menschen- und Umweltrechte fehlt darin jedoch häufig.

Chance für mehr Mitbestimmung

Für Arbeitnehmervertretungen bieten sich mit dem Lieferkettengesetz neue Möglichkeiten: Sie werden in die Erarbeitung von Grundsatzerklärungen, Verhaltenskodizes, Beschwerdemechanismen und Risikoanalysen einbezogen. Sie nehmen an Betriebsbesuchen bei Zulieferern teil, um die Arbeitsbedingungen vor Ort zu überprüfen, und treten in direkten Kontakt mit den Beschäftigten. Sie können sich über die Ergebnisse von Kontrollen und besondere Vorkommnisse informieren. Sie sind in Gremien auf verschiedenen Unternehmensebenen vertreten und können so direkt Einfluss auf Entscheidungen nehmen und sicherstellen, dass die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden. Darüber hinaus fungieren die Arbeitnehmervertretungen als Ansprechpartner für Beschäftigte sowie für internationale Gewerkschaften im Rahmen von Beschwerdeverfahren. Alle befragten Arbeitnehmervertreter und Arbeitnehmervertreterinnen halten das Lieferkettengesetz für einen wichtigen Schritt.
 

MEHR HÖREN

Wie funktioniert das Lieferkettengesetz? Darüber sprechen Expertinnen und Experten der Hans-Böckler-Stiftung im Podcast.

Beile und Vitols kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass das deutsche Lieferkettengesetz „einen Meilenstein“ darstellt. Auch wenn die Unternehmen noch an einigen Stellen nachbessern müssten, sei ein solches Gesetz wichtig, um Menschenrechte und Umwelt nachhaltig zu schützen. Die Politik müsse sich darauf konzentrieren, nachhaltiges Lieferkettenmanagement weiter zu stärken. Der EU-Richtlinienentwurf biete hierfür einen guten Ansatzpunkt.

Judith Beile, Katrin Vitols: Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz. Einfluss und Auswirkung von Mitbestimmung auf Due Diligence in der Lieferkette (pdf), Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 320, Februar 2024
 

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