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Reinhard Müller, Betriebsratsvorsitzender bei Rheinmetall Magazin Mitbestimmung

Unternehmen: Der verdammte Krieg

Ausgabe 02/2022

Sechs Betriebsräte erzählen, was der Angriff auf die Ukraine für die Produktion bedeutet – und was er mit den Menschen macht. Von Kay Meiners und Andreas Molitor

Das Rüstungsunternehmen Rheinmetall steht vor einem Auftragsboom. Reinhard Müller freut sich trotzdem nicht. Er war immer ein Freund der Abschreckung, aber kein Freund des heißen Krieges.

„Es gab Zeiten, in denen traute man sich kaum, eine Kappe oder ein T-Shirt mit dem Rheinmetall-Logo unserer Firma zu tragen. Verteidigung war nicht gesellschaftsfähig. Auch nach der Annexion der Krim 2014 tat sich wenig.  Jetzt ändert sich etwas, aber ich weiß noch nicht recht, ob das von Dauer ist. Leute wie ich bekommen viele  Presseanfragen, aber man muss aufpassen, nicht in die falsche Ecke gestellt zu werden.

Glaubt wirklich einer, wir freuen uns über den Krieg? Mich macht es eher traurig, dass es einen heißen Krieg in Europa braucht, damit wir wieder über Verteidigung reden. Ich glaube an eine wehrhafte Demokratie, an Abschreckung. Früher stand ich hinter Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Nato-Doppelbeschluss, der sehr kontrovers diskutiert wurde. Damals war ich noch im Lokomotivbau beschäftigt.

Die neue Situation macht sich noch nicht in Aufträgen bemerkbar, aber das eine oder andere wird kommen. Am Ende wird das bei uns zu mehr Jobs führen. Aber da sind wir noch nicht. Wenn ein Auftrag für einen Panzer wie den Boxer kommt, brauchen wir mindestens ein Jahr Vorlauf. Wenn noch Entwicklungsarbeit dazukommt, auch viel mehr.

Einige Aufträge für die Bundeswehr werden jetzt beschleunigt – darunter Transport-Lkw mit gepanzerten Kabinen, die in Kooperation mit MAN im Werk in Wien gebaut werden. Wir liefern Teile für die österreichische Tochtergesellschaft, die das Fahrzeug produziert. Dafür arbeiten wir im Dreischichtsystem, für das wir eine Betriebsvereinbarung ausgehandelt haben. Wir setzen uns aber auch für Diversifikation und für die Stärkung der zivilen Sparte ein – wie zum Beispiel für neue Produkte rund um E-Mobilität, Brennstoffzellentechnologie oder Luftreinigungssysteme.“

  • Joline Macek, Betriebsratsvorsitzende bei Currenta/ Tectrion in Dormagen
    Joline Macek ist Betriebsratsvorsitzende bei Currenta/Tectrion in Dormagen. Das Unternehmen betreibt drei Chemieparks in NRW.

Der Chemieparkbetreiber Currenta bleibt in diesem Jahr auf den Kosten sitzen, die der Energiepreisschock verursacht. Joline Macek macht sich Sorgen, ob der Beschäftigtenstand gehalten werden kann.

„Der Krieg trifft unser Unternehmen in einer schwierigen Lage. Im Juli 2021 gab es im Chempark in Leverkusen, den wir für Kunden wie Bayer, Covestro und Evonik betreiben, eine schwere Explosion. Sieben Beschäftigte kamen ums Leben. In einer Situation, wo wir schon angezählt sind, trifft uns der Energiepreisschock. Zu den Kunden, die wir mit Energie versorgen, gehören extrem stromintensive Unternehmen. Die höheren Preise können wir momentan aber nicht an die Kunden weitergeben. Erst im kommenden Jahr stehen die nächsten Preisverhandlungen an. Erstmal bleiben wir auf den Kosten sitzen. Ich habe erhebliche Zweifel, ob wir den jetzigen Beschäftigungsstand halten können.“

  • Inna Mitternacht, Betriebsratsvorsitzende bei Oetiker
    Inna Mitternacht, 40, ist Betriebsratsvorsitzende bei der im badischen Endingen beheimateten Niederlassung des Schweizer Metallunternehmens Oetiker.

Inna Mitternacht geht der Krieg in ihrem Heimatland nicht aus dem Kopf. Was ist mit ihren Verwandten? Wo sind ihre Cousins, die jetzt als Soldaten ihren Dienst tun? Die Ukrainerin hat einen Traum: alles soll wieder sein wie früher.

„Ich bin in der Ukraine geboren. Bei mir zu Hause, wo ich sonst allein mit meiner Tochter wohne, ist es gerade sehr eng. Fünf Verwandte, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, wohnen bei mir. Ich werde den Moment nie vergessen, als meine Schwester an jenem Morgen kurz nach sechs aus Kiew anrief. „Es ist Krieg“, sagte sie. „Ich packe jetzt schnell einen Rucksack und renne in den Luftschutzbunker.“ Kurz vorher war ganz in der Nähe die erste Rakete eingeschlagen.

Bei Kriegsausbruch lebte meine ganze Familie in der Ukraine: Eltern, Großmutter, Schwester, Tanten, Cousins und Nichten. Acht von ihnen sind nach Deutschland geflohen, einige sind aber noch da. Drei meiner vier Cousins stehen als Soldaten im Kampf gegen die Russen. Ich habe keinen Kontakt zu ihnen, weiß nicht, wie es ihnen geht. Sie dürfen nicht anrufen; niemand darf wissen, wo ihre Einheiten sind.

Es ist fast unmöglich, den Krieg aus dem Kopf zu kriegen. Die Arbeit ist so etwas wie ein Zufluchtsort, an dem ich zumindest für ein paar Stunden auf andere Gedanken komme. Zu Hause holt mich dann alles wieder ein. Ich muss ja für meine Verwandten, die bei mir wohnen, alles organisieren. Keiner spricht ein Wort Deutsch. Und sie haben furchtbare Dinge erlebt.

Ich wünsche mir, dass es wieder so wird wie früher. Und ich wünsche mir auch, dass ich nicht diese Wut auf Russland hätte. Diese Menschen, die gerade unser Land zerstören, sind doch unsere Brüder. Ich spreche mit meiner Tochter fast nur Russisch. Wie kann das alles sein?“

  • Heinz Coltro, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Vinnolit GmbH & Co. KG,
    Heinz Coltro ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Vinnolit GmbH & Co. KG, die zur amerikanischen Westlake-Gruppe gehört.

Der PVC-Hersteller Vinnolit braucht jede Menge Strom, Öl und Gas – das wird eine dreistellige Millionensumme mehr kosten. Und wenn die Lieferungen aus Russland ausbleiben? Heinz Coltro weiß nicht, ob sein Werk dann noch produzieren kann.

„Der Krieg nimmt uns von zwei Seiten in die Zange. Russland, Belarus und die Ukraine sind für uns ein wichtiger Absatzmarkt. Diese Länder trugen bisher acht Prozent zum Gesamtumsatz bei. Das lässt sich noch kompensieren, zumal uns die Kunden derzeit jedes Gramm PVC förmlich aus den Händen reißen. Viel schlimmer sind die explodierenden Energie- und Rohstoffkosten. PVC lässt sich ohne Erdöl nicht produzieren. Außerdem sind wir ein Stromfresser. Allein die Chlorelektrolyse in unserem Werk in Hürth-Knapsack benötigt jeden Tag so viel Strom wie die Stadt Köln. Wir werden für Energie und Rohstoffe in diesem Jahr rund 250 Millionen Euro mehr ausgeben als voriges Jahr – vorausgesetzt, es gibt weiter Öl und Gas aus Russland. Niemand kann sagen, was passiert, wenn die Hähne zugedreht werden – ob wir dann überhaupt noch produzieren können und zu welchen Kosten.“

  • Ralf Kühnle, Betriebsratsvorsitzender der Firma Boysen in Altensteig
    Ralf Kühnle ist Betriebsratsvorsitzender der Firma Boysen in Altensteig, die Abgassysteme produziert.

Der Abgasspezialist Boysen, für den Ralf Kühnle arbeitet, muss für seltene Metalle immer höhere Preise zahlen. Die Nachrichten aus der Ukraine erschrecken ihn. Was soll er den Kindern erzählen? Wie wahrt man den Betriebsfrieden in einem Unternehmen, in dem manche Kollegen hinter Putin stehen?

„Die Nachrichten aus der Ukraine lassen mich schaudern. Meine Mutter hat als junges Mädchen den Krieg noch erlebt. Jetzt kommen bei den älteren Menschen die schrecklichen Bilder aus der Erinnerung zurück, und unsere Kinder fragen: Was passiert da eigentlich? Man fühlt sich so hilflos und ausgeliefert. Die Lage unseres Unternehmens hängt an der Autoindustrie und dem Verbrenner. Die Chipkrise ist noch nicht gelöst – und jetzt fehlen der Branche weitere Vorprodukte wie Kabelbäume aus der Ukraine. Was sollen die produzieren, wenn Bomben auf sie geworfen werden? Die Folgen für uns sind Kurzarbeit an mehreren Standorten und eine schwierige Ertragslage. Die Kosten können nur teilweise und erst mit Verzögerung an die Autobauer weitergegeben werden.

Unser Betrieb spürt den Krieg und die Sanktionen durch höhere Preise und Lieferengpässe. Die Preise für Chrom, Nickel oder Mangan gehen durch die Decke, ebenso für Palladium und Halbleiterprodukte. Die Edelstähle für unsere Abgasanlagen kommen nicht direkt aus Russland oder der Ukraine. Aber der Einkauf wird insgesamt nicht einfacher. Auf der Betriebsversammlung sprechen wir über den Krieg. Aber wir machen das behutsam, denn wir brauchen Fingerspitzengefühl. In unserem Unternehmen arbeiten viele Spätaussiedler. Einige stehen hinter Putins Politik, sei es wegen Desinformation, sei es aus Überzeugung. Wir setzen alles daran, den Betriebsfrieden durch gute Gespräche zu wahren. Unsere Botschaft: In jedem Krieg gibt es nur Verlierer.”

  • Josef Duchnik ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Schwenk Zement GmbH
    Josef Duchnik ist Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Schwenk Zement GmbH und Betriebsrat am Standort Karlstadt.

Bei Schwenk Zement wird die Produktion teurer, die Beschaffung von Ersatzteilen wird schwieriger. Hoffentlich geht nichts Wichtiges kaputt, denkt Josef Duchnik.

„Wenn uns heute ein wichtiges Ersatzteil wie eine größere Welle aus Stahl kaputtgeht, kann das für uns einen Ausfall der Produktion bedeuten, da die Stahlunternehmen zurzeit lange Lieferzeiten haben. Auch normalerweise banale Dinge wie die Beschaffung von Sprengstoff für unsere Kalksteinbrüche werden schwieriger, da ein bestimmter Zuschlagstoff aufgrund der aktuellen internationalen Lage so gut wie nicht verfügbar ist.

Dazu kommen die hohen Energiepreise. Die Strombörse bestimmt inzwischen, wann unsere Maschinen laufen. Unser Ofen muss immer laufen. Unsere Kollegen machen dann andere Sachen, wie Wartungsarbeiten. Trotzdem müssen wir die Mühlen laufen lassen, wenn die Silostände sinken. Wir haben Conti-Schichten und können auf die verschiedenen Gegebenheiten reagieren.

Alles wird teurer. Wenn das so anhält, ist die Zementbranche, wie andere Industrien auch, gezwungen, die Preise anzupassen. Wo immer möglich und durch die Aufsichtsbehörden erlaubt, nutzen wir Abfälle anderer Industrien, um Natur und Rohstoffe zu schonen – zum Beispiel Gips aus der Rauchgasentschwefelung von Kohlekraftwerken oder Gießereialtsand aus der Autoindustrie. Aber auch diese Ressourcen werden knapp, weil die Branchen von den weltweiten Lieferschwierigkeiten betroffen sind. Noch ist unser Unternehmen mit einem dunkelblauen Auge davongekommen. Aber wie lange noch?“

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