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Flugzeugteilebauer Premium Aerotec Magazin Mitbestimmung

Standortsicherung: "Demokratisch entschieden"

Ausgabe 06/2022

Beim Flugzeugteilebauer Premium Aerotec haben die Beschäftigten in zwei Werken darüber abgestimmt, ob die Betriebe im Airbus-Konzern bleiben oder verkauft werden. Marcus Baitis, Vorsitzender des Vertrauenskörpers in Varel, und sein Stellvertreter Lothar Bredemeyer über eine ungewöhnliche Chance. Das Gespräch führte Carmen Molitor

Dass Beschäftigte darüber entscheiden, ob ihr Unternehmen an einen Investor verkauft wird oder nicht, ist höchst ungewöhnlich. Wie ist es dazu gekommen?

BREDEMEYER: Der Konzern will sich neu aufstellen, Teile zusammenführen und andere abspalten. Aber wir haben uns nicht spalten lassen. Es gab einen monatelangen Verhandlungsmarathon mit emotionalen Warnstreiks aller Airbus-Standorte. Als unsere Verhandlungsführung ankündigte, dass wir in einen unbefristeten Streik gehen würden, war das für Airbus eine massive Bedrohung. So gab es diese eine Tarifnacht, bei der 16 Stunden durchverhandelt wurde. Die Möglichkeit zur Abstimmung in Varel und Augsburg war eines der Ergebnisse.

BAITIS: Dann gab es eben zwei Möglichkeiten: das Angebot eines Investors annehmen oder bei Airbus bleiben. Mubea, ein Automobilzulieferer aus Attendorn, der bereits eine kleine Flugzeugsparte hat, bot an, 150 Millionen Euro in den Standort Varel zu investieren inklusive eines Hallenneubaus, wo auch gefertigt werden sollte. Dazu kam eine Beschäftigungssicherung bis 2033 und eine Standortgarantie für Varel sowie die Sicherung und Wahrung aller Arbeits- und Sozialstandards. Und wir wären auch noch der Hauptsitz der Firma geworden.

Was hat denn Airbus geboten?

BAITIS: Für Varel war das Angebot 40 Millionen Investitionen bis 2025, ein Abbau von 250 Stellen auf insgesamt 1000 Beschäftigte. Indirekte Tätigkeiten werden zukünftig eingekauft, und Varel wird zu einem reinen Produktionsstandort. Eine Restrukturierung.

So, wie Sie es darstellen, war das Angebot von Mubea attraktiver. Das sahen aber ganz offenkundig nicht alle in der Belegschaft so.

BAITIS: Der Betriebsrat, dem ich angehöre, war der Meinung: Das Angebot ist so überragend, dass es sich lohnt, die Offerte anzunehmen und Airbus zu verlassen. Aber unsere Empfehlung hat die Belegschaft entrüstet. Wir haben eine Vertrauensleutesitzung mit vielen Vorwürfen aushalten müssen. Unser Betriebsratsvorsitzender und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende wurden persönlich beschimpft.

Warum wollten die Befürworter bei Airbus bleiben?

BAITIS: Wir sind mit dem Motto „Ein Flugzeug, ein Team“ in den Arbeitskampf gestartet. Sie wollten dieses gewohnte „Team“ nicht freiwillig verlassen. Airbus bot ja ebenfalls eine gute Zukunftssicherung an. Man will spätestens 2025 – wir glauben, eher 2027/28 – ein neues Flugzeug mit Wasserstoffantrieb präsentieren. In Varel sollen dafür Forschung und Entwicklung stattfinden.

Und dann haben Sie eine Abstimmung organisiert?

BAITIS: Ja. Für die Werke in Augsburg und Varel sollten die Mitglieder der IG Metall darüber abstimmen, ob die Standorte bei Airbus bleiben oder das Angebot eines Investors annehmen wollen. Für uns war es ein Riesenerfolg. Die Leute konnten es gar nicht glauben

Wie wurde das Votum organisiert?

BAITIS: Das war nicht einfach. Es gibt für so etwas keine Wahlordnung, es gibt kein Gesetz, es gibt gar nichts, wonach wir uns richten konnten. Aber wir haben versucht, die Wahl so transparent wie möglich zu machen, und haben sogar Briefwahl angeboten. Die Wahlbeteiligung lag dann auch bei 94 Prozent unter allen Mitgliedern.

Was waren Ihre Gefühle?

BAITIS: Es war emotional, ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Wir haben die Stimmen extra im Betrieb öffentlich ausgezählt  – in der Kantine, damit uns nichts nachgesagt wird. 120 Menschen saßen da und haben uns bei der Auszählung zugeguckt. Es wurde immer lauter, weil sie alle diskutierten.

Wofür hat sich die Belegschaft entschieden?

BAITIS: 75 Prozent wollten bei Airbus bleiben. Jetzt greift der Restrukturierungsplan.

Die Belegschaft hatte gegen eure Empfehlung als Betriebsrat entschieden. War das nicht ein schwerer Schlag?

BAITIS: So ist es. Aber ich war erleichtert, weil das Ergebnis eindeutig war.

BREDEMEYER: Wir haben die Wahl organsiert und Verantwortung als Vertrauensleute in dem Konflikt übernommen. Dass das Votum nicht zu der Empfehlung des Betriebsrats passte, war aber nicht wirklich relevant. Wichtiger war, dass wir es demokratisch entschieden haben. Trotzdem musste man erst mal zwei, drei Tage durchpusten und sagen: Was machen wir denn jetzt?

Bestand nicht die Gefahr, dass der ganze Betriebsrat zurücktritt?

BAITIS: Das hätte passieren können. Wir sind noch im Wunden-lecken-Modus und müssen ein bisschen Egopflege untereinander betreiben. Aber ich glaube, wir werden Belegschaft und Betriebsrat auch wieder zusammenführen.

Wie wichtig war die Vertrauensleutekultur dafür, dass diese Abstimmung möglich war?

BREDEMEYER: Sie wäre ohne diese Organisation und ohne den hohen Organisationsgrad schlecht möglich gewesen. Nach der Wahl ist das Vertrauen in den Betriebsrat noch da, obwohl gegen seine Empfehlung entschieden wurde.

BAITIS: Wie wichtig unsere Vertrauensleutearbeit ist, haben wir auch bei einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt gemerkt. Da haben wir uns mit unserer Rolle als Förderer von Beteiligung befasst. An der wissenschaftlichen Auswertung waren auch Vertrauensleute von Verdi und der IG BCE beteiligt. Für uns, die wir sonst in unserer IG-Metall-Blase stecken, war dieser Austausch mit anderen Gewerkschaften spannend.

Marcus Baitis ist Vorsitzender des Vertrauenskörpers von Premium Aerotec in Varel, Lothar Bredemeyer ist sein Stellvertreter und DGB-Vorsitzender im Kreisverband Friesland. Beide sind Mitglied im Betriebsrat.

Die Ergebnisse des Workshops zum Forschungsprojekt „Vertrauensleute und Beteiligung: Gewerkschaftliche Vertrauensleute als Förderer von Beteiligung und Demokratie“

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