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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Das wird noch einigen Streit geben“

Ausgabe 05/2013

Arbeitsrechtler Olaf Deinert erklärt, wann Streiks in kirchlichen Einrichtungen künftig verboten sind – und warum die BAG-Grundsatzurteile trotzdem Chancen für Gewerkschaften bergen. Das Gespräch führte Joachim F. Tornau

Herr Professor, als das Bundesarbeitsgericht im vergangenen November seine Grundsatzentscheidungen zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen verkündete, herrschte in den Medien heillose Verwirrung. „BAG bestätigt Streikverbot bei Kirchen“, meldete die Welt, während Zeit-online verkündete „BAG lockert Streikverbot bei Kirchen“. Und die taz titelte: „Ein bisschen Streiken ist erlaubt“. Jetzt liegen die schriftlichen Urteile vor. Was haben die Erfurter Richter denn entschieden?
Die Kirche nimmt für sich eine arbeitsrechtliche Sonderstellung in Anspruch: Sie beruft sich auf die verfassungsrechtlich geschützte Kirchenautonomie und bestimmt die Art und Weise, wie die Arbeitsbedingungen für kirchliche oder diakonische Einrichtungen festgelegt werden, daher selbst. Statt Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften gibt es zumeist paritätisch besetzte Kommissionen aus Dienstgebern und Dienstnehmern, wie das die Kirchen nennen. Bei diesem sogenannten „dritten Weg“ sollen Arbeitskämpfe nach Ansicht der Kirchen grundsätzlich ausgeschlossen sein. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wollte sich an diesem System jedoch nicht beteiligen, sondern um einen Tarifvertrag kämpfen. Das BAG urteilte nun, dass Streiken beim dritten Weg nur dann verboten ist, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind. Das ist die eigentliche Neuerung.

Was für Bedingungen sind das?
Zum einen müssen die arbeitsrechtlichen Vereinbarungen, die in den Kommissionen getroffen werden, von vornherein verbindlich sein. Wer als kirchliche Einrichtung nicht bestreikt werden will, muss sich verpflichten, das Vereinbarte am Ende auch umzusetzen. Im konkreten Fall wollte eine diakonische Einrichtung auswählen: Diese Regelung gefällt uns nicht, da nehmen wir lieber eine andere, die anderswo ausgehandelt wurde. Das geht künftig nicht mehr. Die zweite Voraussetzung ist, dass die Gewerkschaften an dem dritten Weg beteiligt werden müssen.

Bislang haben sich die Gewerkschaften meist daraus zurückgezogen, weil sie der Ansicht sind, ohne Streikrecht nicht auf Augenhöhe verhandeln zu können. Wie stellen sich die Erfurter Richter eine kirchenrechtliche Regelung vor, die die Gewerkschaften zum Mitmachen bewegen könnte?
Sie verlangen einen gewissen Einfluss der Gewerkschaften in den Kommissionen, sagen uns aber leider nicht, wie das konkret aussehen soll. Da kann man bisher nur rätseln. Aber wenn das BAG bei der Abwägung zwischen Kirchenautonomie und dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit zu dem Ergebnis kommt, dass Gewerkschaften keinen Anspruch auf Tarifverhandlungen haben, sondern nur auf den dritten Weg, dann muss die Koalitionsfreiheit innerhalb des dritten Wegs eine umso größere Bedeutung haben. Sonst würde sie ja zurückgedrängt.

Wie könnte sich das konkret auswirken?
Es wird nicht mehr möglich sein, dass die Kirche die Arbeitnehmervertreter in den Kommissionen bestimmt. Aber kann die Kirche vorschreiben, dass auch künftig Nicht-Gewerkschafter beteiligt bleiben? Mir erscheint sehr fraglich, ob es den Vorstellungen des BAG entspricht, wenn die Gewerkschaft auf Arbeitnehmerseite nicht einmal eine Mehrheit hätte. Aber dazu steht, wie gesagt, nichts Genaues in dem Urteil. Das wird noch einigen Streit geben.

Könnten sich die Gewerkschaften Beteiligungsregeln erstreiken?
Das möchte ich meinen. Solange eine kirchenrechtliche Regelung den Anforderungen des BAG nicht genügt, so lange hat die Gewerkschaft das Recht, zu streiken. Ich denke, dass man deshalb auch einen Arbeitskampf um die Ausgestaltung des dritten Wegs führen darf – auch wenn das Gericht selbst dazu wieder einmal nichts gesagt hat. Die Mehrheitsmeinung im Arbeitsrecht geht allerdings davon aus, dass ein Streik nur um Tarifverträge geführt werden kann. Der Streik müsste in diesem Fall also darauf gerichtet sein, dass die Verfahrensfragen des dritten Wegs in einem Tarifvertrag geregelt werden.

Formal haben ver.di und der Marburger Bund die Verfahren vor dem BAG gewonnen, weil deren Streiks für zulässig erklärt wurden. Aber war es in der Sache nicht eher eine Niederlage?
Das kommt darauf an, was man jetzt daraus macht. Wenn eine arbeitsrechtliche Kommission mit Gewerkschaftsvertretern besetzt ist, kann man vielleicht auch im dritten Weg etwas erreichen, was gar nicht so viel anders ist als Tarifverträge. Es muss nur gewährleistet sein, dass auf gleicher Augenhöhe verhandelt wird. Und das kann auch ohne Streik gehen – es gibt ja auch sonst Bereiche, in denen nicht gestreikt wird. Das Problem hängt eher daran, ob man sich damit anfreunden kann, arbeitsrechtliche Regelungen in einer solchen Kommission zu machen und dieses System mit Leben zu füllen. Das ist auch eine Herausforderung, das muss ich zugeben.

Mit seinem Urteil will das BAG „kollektives Betteln“ der Arbeitnehmerseite ausdrücklich vermieden haben. Statt mit Streik könne ja mit dem Gang in die Schlichtung gedroht werden, bei der dann ein neutraler Vorsitzender das letzte Wort hat.
Das ist sicherlich nicht das Gleiche. Darüber braucht man nicht lange zu diskutieren. Es ist aber auch nicht dasselbe wie: Die andere Seite diktiert die Bedingungen. Denn das BAG hat als dritte Vor­aussetzung für ein Streikverbot beim dritten Weg die verbindliche, unabhängige Schlichtung verlangt. Das heißt: An deren Ergebnis muss sich die Dienstgeberseite halten, auch wenn es ihr nicht gefällt.

Nach einer von der Böckler-Stiftung geförderten Studie unterscheiden sich diakonische Einrichtungen kaum noch von anderen Sozialunternehmen. ver.di hat vor Gericht unter anderem darauf verwiesen, dass Outsourcing und Leiharbeit bei der Kirche genauso üblich seien wie in der Privatwirtschaft.
Nach Ansicht des BAG ändert das nichts am Schutz durch die kirchliche Selbstbestimmung. Aber: Einzelne Untergliederungen, die dauerhaft Leiharbeit nutzen, wären möglicherweise nicht als kirchlich einzustufen und würden den Schutz dann nicht mehr genießen. Denn nach der Rechtsprechung des Kirchengerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland widerspricht es dem Wesen der Dienstgemeinschaft, wenn reguläre Arbeitsplätze durch Leiharbeit ersetzt werden. Das BAG hat schon früher in anderem Zusammenhang entschieden, dass die Kirche sich an ihre eigenen Maßstäbe halten muss.

Wie aussichtsreich ist die Verfassungsbeschwerde, die die Gewerkschaft ver.di gegen das BAG-Urteil eingelegt hat?
Die Gewerkschaft sagt: Wenn das Gericht Bedingungen aufstellt, die wie ein Gesetz vollzogen werden können, dann müssen wir auch die Möglichkeit haben, uns dagegen zu wehren – auch wenn wir den Prozess formal gewonnen haben. Ob sich das Bundesverfassungsgericht darauf einlassen wird, wage ich nicht vorherzusagen. Das wäre Kaffeesatzleserei. Und noch einmal eine ganz andere Frage ist, was Karlsruhe dann inhaltlich entscheiden würde.

Mehr Informationen

Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts im Internet:  Az. 1 AZR 179/11 und 1 AZR 611/11 vom 20. November 2012

Heinz-Jürgen Dahme u.a.: Leiharbeit und Ausgliederung in Diakonischen Sozialunternehmen: Der "Dritte Weg" zwischen normativem Anspruch und sozialwirtschaftlicher Realität. Endbericht eines Projekts für die Hans-Böckler-Stiftung, August 2012.

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