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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Das ist ein vergifteter Anreiz“

Ausgabe 11/2013

Michael Vassiliadis über die verquere Subventionswirkung des EEG, ideologischen Strom, die Kohlebrücke und warum man besser den Unternehmenserfolg besteuern sollte als den Rohstoffeinsatz. Mit dem IG-BCE-Vorsitzenden sprach Cornelia Girndt in Hannover.

Michael Vassiliadis, Sie kritisieren die Energiewende als „teuer, ineffizient und ungerecht“. Das hört sich nach einem Totalverriss an. Sind Sie von einem Moderator, der Industrie und Arbeitnehmer auf dem Weg mitnehmen will, zu einem vehementen Kritiker geworden?

Ich kritisiere den Prozess, nicht das Ziel der Energiewende, das ich grundsätzlich befürworte. Schließlich habe ich in der Ethikkommission 2011 einiges zu einem gemeinsamen Ergebnis beitragen können. Meine Sorge ist, dass man sich in eine Sackgasse manövriert, aus der wir kurzfristig nicht mehr herauskommen, weil niemand die finanziell, technologisch und investiv notwendigen Entscheidungen trifft. Ziele wie die Abschalttermine für Kernkraftwerke und die Ausbauraten der Erneuerbaren werden weiterhin zelebriert, aber wie wir realistisch dahin kommen, das ist völlig unklar. Am Ende gefährdet das die ganze Energiewende.

Die Energiewende ist Strukturwandel pur: von der Großindustrie zu kleinteiligen Produzenten, von guter, mitbestimmter Arbeit zu tariflosen Arbeitsplätzen. Werden die Arbeitnehmer in den Konzernen und Kohlekraftwerken die Verlierer sein, und damit auch jene, die bei der IG BCE organisiert sind?

Richtig ist, dass dieser Wandel nicht einer sein darf von guter zu fragiler Arbeit. Das ist übrigens als Anspruch festgehalten im Bericht der Ethikkommission, und wurde auch von den Umweltverbänden unterschrieben. Die neue technologische Infrastruktur muss einhergehen mit Guter Arbeit. Es geht um die Qualität von Arbeitsplätzen und Produktionsverfahren.

Unterstreichen dies die Industriegewerkschaften mit ihrem Anspruch der „sozialen Nachhaltigkeit“?

Wir müssen uns verabschieden von den schlichten Vorstellungen – hier die gute grüne Zukunftstechnologie und dort die schlechte, alte Industrie, die womöglich auch noch schwarz ist. Die Energiewende bekommen wir nur mit der Industrie hin, nicht gegen sie. Ein Windrad wird aus Stahl und Kunststoffen gebaut, das ist nicht aus nachwachsenden Rohstoffen geschnitzt.

Man hört die Ironie heraus gegenüber den Wind- und Wutbürgern. Sind die sozial so unsensibel?

Jedenfalls erwarte ich auch von den so genannten Wutbürgern eine gewisse Empathie für die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nachhaltigkeit hat auch eine soziale und eine ökonomische Dimension. Wer das ausblendet und allein den ökologischen Aspekt zur Richtschnur politischen Handelns macht, landet sehr schnell in einer Sackgasse. Die Energiewende muss bezahlbar sein. Da können die Lebensverhältnisse von gesellschaftlichen Eliten nicht der Maßstab sein. Wir wollen keine Klassengesellschaft – auch keine in neuer Form.

Was muss die neue schwarz-rote Bundesregierung vordringlich anpacken?

Sie muss sich endlich den Widersprüchen stellen: Etwa dem zwischen Klimaschutz und Energieinfrastruktur. Der Anteil Deutschlands am globalen CO2-Ausstoß beträgt 2,8 Prozent. Wir werden also das Weltklima allein nicht retten können. Allerdings kann man vorangehen und deshalb bin ich sehr dafür, alle sinnvollen Anstrengungen zu unternehmen, um auf 2,5 Prozent zu kommen. Aber nicht mehr mit Kernenergie. Wir haben uns aus guten Gründen von der Kernenergie verabschiedet, daran wird auch nicht gerüttelt. Nun gehen 22 Prozent der klimaneutralen Energieversorgung vom Netz. Da sind die Konsequenzen zu bedenken – und Antworten darauf zu finden.

Die lautet, massiv die Erneuerbaren auszubauen.

Wir liegen heute bei 25 Prozent Erneuerbare, kein Klacks für ein Industrieland – wobei uns klimaneutral gegen klimaneutral viel Geld kostet. Wir brauchen Brücken ins regenerative Zeitalter. Die können nicht allein aus Gaskraftwerken gebaut werden. Wollten wir den 30 Prozent Kohleanteil mit Gas kompensieren, bräuchten wir sehr viele neue Gaskraftwerke. Wer das will, muss sagen, wer diese Investition unter den gegebenen, wenig lukrativen Bedingungen leisten soll. Der Staat? Die Unternehmen?

Zunehmend steht die Kohle als Klimakiller unter Beschuss. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, deren Land energetisch und mit vielen Arbeitsplätzen von der Kohle abhängig ist, wird vorgeworfen, sie rufe Artenschutz aus für „ihre“ Kohlekraftwerke.

Darum geht es doch nicht, das ist dummes Zeug. Klar, aus der Kernkraftgegnerschaft wird zunehmend eine Kohlegegnerschaft. Doch ohne die Kohle kommen wir nicht ins regenerative Zeitalter. Gleichzeitig müssen wir viel stärker als bisher investieren und auf Innovationen setzen. Zum Beispiel in die Gebäudesanierung und die Elektromobilität.

Warum werden neue, klimafreundliche Gaskraftwerke reihum stillgelegt, während die alten Kohlekraftwerke heutzutage die Geldbringer sind?

Das hat mit dem Einspeisevorrang der Erneuerbaren zu tun. Immer wenn es unattraktiv ist, muss man die Kraftwerke zuschalten. Die Konzerne verhalten sich dann ganz marktwirtschaftlich und suchen nach der billigsten Lösung, was ihnen keiner vorwerfen kann. Das führt im Ergebnis dazu, dass die ältesten, komplett abgeschriebenen Kohlekraftwerke am häufigsten hochgefahren werden. Das zeigt, dass das System in sich nicht stimmig ist.

Wird man ein zweites, teures Parallelsystem aus Kraftwerken subventionieren müssen?

Das würde extrem teurer. Die Lösung für diese Backbone-Geschichte sehe ich eher darin, dass wir die Energieversorgung europäisch integrieren. Europa hat energie- und klimapolitisch einiges vorzuweisen, dazu kommt eine enorme Innovationskraft.

Auch wenn dann Atomstrom aus Frankreich aus der Steckdose kommt?

Strom mit einem ökologischen Unbedenklichkeitszertifikat oder ideologisch reiner Strom wird noch ein Reihe von Jahren nicht ausreichen, um eine sichere und verlässliche Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen.

Vattenfall will sich von seinen Braunkohlekraftwerken verabschieden, RWE könnte aus dem Tagebau Garzweiler aussteigen wollen. Trifft das die IG BCE?

RWE hat mit der Braunkohle einen gesunden Unternehmenskern. Die Braunkohle stabilisiert nicht nur den Konzern, sondern wird – ich unterstreiche das – auch als stabile Brücke in die Ära einer neuen Energieversorgung noch lange gebraucht.

Wäre eine Mischung aus Atomkraft und Erneuerbaren die bessere Lösung – was die Schweden oder die Franzosen favorisieren?

Ich will kein Zurück zur Atomkraft. Wir müssen und wollen unseren eigenen Weg gehen. Und da liegen beim Verkehr und bei der Gebäudesanierung noch erhebliche Einsparpotentiale brach, die sollten wir nutzen – auch wenn das ungemütlich werden könnte.

In die Energieträger Kohle und Atomenergie sind viele Milliarden geflossen. Warum nicht auch in die Erneuerbaren als echte Zukunftstechnologie?

Es war sicher richtig, die Erneuerbaren zu Beginn mit Schub zu versehen. Da hat das EEG positive Wirkung entfaltet. Jetzt allerdings zeigt sich immer deutlicher, dass das Gesetz vor allem Renditeanreize setzt – aber keine zur ständigen Technologieentwicklung und -förderung. Zugespitzt: Das EEG ist ein vergifteter Anreiz. Die volkswirtschaftliche Steuerungswirkung ist schlicht fatal. Zu spüren bekommen das beispielsweise auch die Solarunternehmen. Die haben anders als ihre chinesischen Konkurrenten keine Unterstützung für die Technologieentwicklung bekommen. Stattdessen wurden die Solarpanele auf den Dächern subventioniert. Resultat: Die Produktion findet heute vor allem in China statt.

Was ist am EEG sozial ungerecht?

Das Ganze folgt durchaus einer Logik: teure Energiepreise zwingen zur Energieeffizienz. Das will ich nicht bestreiten. Aber wenn man in einem Hochhaus wohnt, das nicht wärmegedämmt ist und sich keine neuen energiesparenden Geräte leisten kann, wird das Ganze ungerecht. Es wird noch mal ungerecht, wenn es auch noch Profiteure gibt…

 

… wie den Bauern mit den Solarmodulen auf dem Kuhstall oder die Windrad-Genossenschaft.

… das geht direkt von dem einen zum anderen. Und die Belastung ist zu hoch. Deshalb bin ich dafür, einen Teil der Kosten über Steuern zu finanzieren. Das Steuersystem stellt sicher, dass diejenigen, die mehr profitieren, auch mehr zahlen. Ich streite nicht dafür, das EEG abzuschaffen, ich will es gerechter machen. Es ist schon frech, dass der Staat Milliarden mitverdient, indem er auf die EEG-Umlage noch eine Mehrwertsteuer erhebt.

Die energieintensive Industrie, darunter Stahl, Aluminium, Papier, muss keine EEG-Umlage zahlen. Nun hat das FDP-Wirtschaftsministerium den Kreis der Unternehmen erheblich ausgeweitet – darunter Golfplätze, Hühnerfarmen, was Industrie und Verbraucher erst recht gegeneinander aufbrachte.

Wir haben die Ausweitung nicht gefordert. Wir konnten mit der alten Regelung ganz gut leben. Über Sonderfälle muss man reden. Es ist überfällig, Ungerechtigkeiten an der Schwelle zur Ausgleichsregelung durch gleitende Übergänge zu begradigen. Ein Beispiel: Wenn die Ressourceneffizienz zu sinkendem Stromverbrauch führt, das Unternehmen aber genau deswegen in die volle EEG-Umlage rutscht, so ist das widersinnig. Insgesamt geht es darum, Energie- und Industriepolitik aus einem Guss zu machen.

Was braucht die Industrie?

Die energieintensive Industrie kann sich nicht noch an den Lasten der EEG-Umlage beteiligen. Ganz generell: Man sollte nicht die Energie, mithin den Rohstoffeinsatz, besteuern. Besteuern soll man den Unternehmenserfolg – dann wenn die Firmen Speicher entwickelt haben und Windräder verkaufen. Ein ‚New Deal’ aus meiner Sicht wäre: Die Welt der Erneuerbaren stärker steuerfinanziert zu fördern. Und in einem Pakt für Innovation die Industrie zu pushen – im Sinne einer Industriepolitik, die diesen Namen auch verdient. Und wenn dann die Unternehmen erfolgreich sind, vielleicht auch durch Steuergelder erfolgreich, dann müssen sie auch kräftig Steuern zahlen – und zwar in Deutschland.

Der Strompreis an der Börse ist gefallen, und trotzdem sprechen die Unternehmen von Verlagerung und drohender Schließung. Das versteht der Bürger auch nicht wirklich.

Global hat sich die Energiesituation fundamental geändert, das zählt für die Industrie. Während in Deutschland die Zielvorgabe, mit Energiepreisen Effizienz zu erzwingen, an seine Grenzen kommt, gehen die Amerikaner einen ganz anderen Weg. Sie senken drastisch die Energiepreise. Damit hat man so nicht gerechnet in all den Szenarien. Die Unternehmen unserer Branchen nehmen das sehr genau wahr und fragen sich bei ihren Investitionsentscheidungen: Wo wird Energie auf Dauer günstig sein? Und wie es in Deutschland weiter geht, weiß man nicht so richtig.

Fürchtet die IG BCE, dass sich mit steigenden Rohstoffkosten der Druck auf die Arbeitskosten erhöht?

Das passiert schon, wir haben in jeder Tarifrunde das Thema auf dem Tisch. Allerdings ist ganz klar: Mit den Mitteln der Tarifpolitik sind die Energiefragen nicht zu klären. Der Punkt ist: Wollen wir die Wertschöpfungskette, die in einem Windrad steckt, zu 80 Prozent im Land haben oder wollen wir nur noch die Windradmonteure hier haben. Man darf die Komplexität unserer Volkswirtschaft nicht unterschätzen, das ist ein fein ziseliertes Räderwerk, da kann man nicht einfach ein paar Zacken rausbrechen. Dazu kommt, dass wir uns jetzt in einer vergleichweise robusten konjunkturellen Phase befinden. Was aber passiert mit der Energiewende, wenn die nächste wirtschaftliche Delle kommt? Jedenfalls sollten wir uns schnellstens daran machen, die irrationalen Widersprüche abzuarbeiten und aufzulösen.

Zur Person

Michael Vassiliadis, 49, haben die 99,2 Prozent bei seiner Wiederwahl auf dem IG-BCE-Kongress Mitte Oktober überrascht. Wo er doch seiner IG BCE einige Veränderungen zugemutet habe. Sein Fazit: „Es geht, man muss es nur gut machen“. Der Sohn griechischer Einwanderer, Chemielaborant und Gitarrespieler, kann Leute mitnehmen und Hoffnungen auf sich ziehen; die seiner 665 000 Mitglieder darf der Chef der Industriegewerkschaft Chemie, Bergbau, Energie jetzt nicht enttäuschen. Zumal er gewisse Alleinstellungsmerkmale hat gegenüber den anderen Gewerkschaften, die in der Energiewirtschaft unterwegs sind: Nach Fukushima wurde Vassiliadis als einziger Gewerkschafter in die Ethikkommission berufen, die den Atomkraftausstieg für machbar erklärte. Er ist Mitglied im Rat für Nachhaltigkeit und hat zusammen mit namhaften Firmen das Innovationsforum Energiewende (If.E) gegründet. „Eines will ich nicht“, sagt Vassiliadis am Anfang des einstündigen Gesprächs: „Dass ein Bild von uns gezeichnet wird als die Bremser, die mit der sterbenden Kohle, und den anderen winkt die Zukunft.“ Das stimme so auch nicht: Der Solarbereich sei bei der IG BCE, dafür stehen Firmen wie Wacker und Schott Solar teilweise auch der Gasbereich mit der BASF-Tochter Wintershall und E.On Ruhrgas. Und wenn man schon von Alttechnologien sprechen wolle, in Kernkraftwerken habe die IG BCE kein einziges Mitglied – wohl aber in der Urananreicherung, Brennelementefertigung und Entsorgung – „und in Gorleben, weil das ist Bergbau“.

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