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Uniper-Betriebsrat Harald Seegatz vor dem LNG-Terminal in Wilhelmshaven Magazin Mitbestimmung

Energie: Das Gebot der Stunde heißt: Zweigleisig fahren

Ausgabe 02/2023

Bei fossiler Energie hängt Deutschland von Importen aus dem Ausland ab. Die Folgen spürte das Land mit Ausbruch des Ukrainekrieges schmerzlich. Nun geht es darum, die Versorgungslücke zu überbrücken und den Weg zu grünen Energien zu bauen. Von Fabienne Melzer

Manchmal liegen Glück und Unglück nicht nur nah beieinander, manchmal hängen sie auch zusammen: Einerseits trafen Uniper, Deutschlands größten Gasimporteur, die Russlandsanktionen so schwer, dass der Staat einspringen und dem Unternehmen mit mehreren Milliarden unter die Arme greifen musste. Andererseits verbindet sich auch die neue Deutschlandgeschwindigkeit mit dem Namen Uniper. In knapp zehn Monaten baute das Unternehmen das erste Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven. Mit LNG will die Bundesregierung bis zum Ausstieg aus fossiler Energie die Lücke füllen, die der Ausfall Russlands gerissen hat. Anfang Januar kam der erste Tanker aus den USA in Wilhelmshaven an. Die Anlage bringt flüssiges Gas wieder in seinen gasförmigen Zustand und speist es in die Gasleitungen.

Harald Seegatz, Konzernbetriebsratsvorsitzender von Uniper, entzaubert die neue Deutschlandgeschwindigkeit allerdings wieder. Denn die Pläne für das LNG-Terminal lagen in Wilhelmshaven schon einige Jahre in der  Schublade. „Seit das Ende des Kohlekraftwerks feststand, arbeiten wir an Alternativen für den Standort“, sagt Seegatz. So brachte Uniper 2019 den Plan eines LNG-Terminals auf den Tisch. Aber niemand interessierte sich dafür. „Damals wollten weder die Kunden noch die Politik Flüssiggas“, erinnert sich Seegatz. „Sie alle wollten  lieber billiges Gas aus Russlands Pipeline.“ Dann kam der Ukrainekrieg, Flüssiggas erschien in einem neuen Licht und Uniper konnte die fertigen Pläne für das erste LNG-Terminal aus der Schublade ziehen. Vor allem bei Energie ist Deutschland vom Ausland abhängig. Rund 18 Prozent aller Importe im Jahr 2021 waren Rohstoffe. Unter den Rohstoffen machte Energie mit gut 70 Prozent den Löwenanteil aus. Der Rest entfiel auf Metalle und Nichtmetalle. So war Deutschland 2021 bei Mineralöl zu 98 und bei Erdgas zu 95 Prozent auf Importe angewiesen.  Erdgasimporte stammten zu 35 bis 40 Prozent aus der Russischen Föderation und zu jeweils 30 bis 35 Prozent aus den Niederlanden und Norwegen.

Es gibt nur einen Kuchen

In Flüssiggas sehen manche allerdings eine schlechte Alternative. Umweltschützer kritisieren die lange Laufzeit – das Terminal in Wilhelmshaven hat eine Betriebsgenehmigung bis 2043 – und den Bau weiterer neun Terminals. Die Deutsche Umwelthilfe fordert, den Betrieb auf zehn Jahre zu beschränken. Einen Tiefschlag für Klima- und Naturschutz nannten die Umweltschützer die erste Lieferung amerikanischen Frackinggases Anfang Januar in Wilhelmshaven.

Betriebsrat Harald Seegatz vergleicht die Gasversorgung mit einem Kuchen. „Es gibt nur einen Kuchen zu verteilen. Wenn ein Viertel wegfällt, muss Ersatz erst einmal besorgt werden, dann können wir nicht einfach eine zweite Torte herbeizaubern.“ Wenn jetzt Lieferländer zusätzliche Mengen aufbauten, brauche das nicht nur Zeit, es koste auch Geld. „Für ein Jahr macht kein Lieferland einen neuen Kuchen auf“, sagt Seegatz. „Das geht nur mit langfristigen Verträgen.“

Auf diesem Weg will die Regierung Energiepreise wieder stabilisieren und für die Wirtschaft planbar machen. Denn mit dem Ukrainekrieg explodierten die Strompreise und liegen immer noch auf einem hohen Niveau. Das macht die Produktion teuer – für manche auch zu teuer.

  • Die Betriebsräte Klaus Garlichs (links) und Cebrail Demir (rechts) in Nordenham
    Die Betriebsräte Klaus Garlichs (links) und Cebrail Demir (rechts) in Nordenham: Während die Zinkproduktion aufgrund hoher Strompreise stillsteht, läuft die Bleiproduktion.

Die Zinkhütte in Nordenham schickte im November 2022 rund 400 Beschäftigte für ein Jahr in Kurzarbeit. Seit 1908 produziert die Hütte Zink, seit 1972 mittels Elektrolyse: Sie spaltet chemische Verbindungen durch Strom auf. Angesichts der Strompreise lohnte sich die Produktion in Nordenham aus Sicht des Unternehmens nicht mehr. Indirekt bekam die Zinkhütte auch die Schwierigkeiten anderer Unternehmen mit den hohen Energiepreisen zu spüren. Produzenten von Grünsalz, das für die Abwasserreinigung in der Zinkherstellung gebraucht wird, liefern nicht mehr. Die Abnehmer von Abfallprodukten wie Säure stellten ebenfalls ihre Produktion ein. Betriebsrat Klaus Garlichs sieht, wie die Lager sich gefüllt haben „Wir könnten auch deshalb im Moment nicht produzieren.“ 

Zwar nutzt die Nordenhamer Zinkhütte bereits seit drei Jahren auch Abwärme zur Energiegewinnung, doch sie deckt gerade einmal ein Prozent des Bedarfs. Warten auf günstigere Strompreise heißt derzeit die Devise. Die Hände in den Schoß legt man in Nordenham derweil aber nicht. „Das Unternehmen will in Offshore-Windparks einsteigen und 100 Millionen Euro in einen Solarpark investieren“, sagt Garlichs. „Aber die Solaranlage wird auch nur zwölf Prozent abdecken.“ Deshalb verhandelt das Unternehmen parallel mit RWE über eine langfristige Abnahme zu günstigen Preisen.

Besser läuft es im Nachbarbetrieb am Glencore-Standort Nordenham, zumindest was die Energieversorgung betrifft. Die Gaspreise verteuern auch hier die Produktion, allerdings stellte sich die Bleihütte schon vor Jahren bei der Energieversorgung breiter auf. Die Produktion fährt – wie die Hüttenleute sagen – mit recyceltem Öl, um die Gasreserven des Bundes zu schonen. Über die Hälfte des täglichen Energiebedarfs deckt die Metallhütte inzwischen damit ab. Dabei bleibe auch der Umweltschutz nicht auf der Strecke. Glencore betreibt eine entsprechende Filteranlage, investiere am Standort in diesem Jahr rund 25 Millionen Euro in den Umweltschutz und beteiligt sich an einer Wasserstoff-Initiative. Betriebsrat Cebrail Demir sieht ebenfalls im Rückgriff auf recyceltes Öl nur eine Übergangslösung, auch wenn er keinen negativen Einfluss auf die Emissionswerte habe. Auf Dauer, das unterstützt Demir genauso wie die Belegschaft und die Geschäftsführung, muss die Produktion CO2-frei werden. 

Die Lösung für die Industrie sehen zurzeit die meisten in grünem Wasserstoff. Die nationale Wasserstoffstrategie setzt dazu auf Import und Eigenproduktion. Deshalb betreibt Uniper in Wilhelmshaven nicht nur das LNG-Terminal, das Unternehmen arbeitet auch an der Zukunft. In Wilhelmshaven soll ein Importterminal für Ammoniak entstehen und eine Anlage, die Ammoniak in grünen Wasserstoff und Stickstoff spaltet. „Wenn große Industrien auf Wasserstoff umsteigen, kommen wir schneller vom Gas weg“, sagt Uniper-Betriebsrat Seegatz. Doch dafür müsse das Unternehmen eine Zeit lang zweigleisig fahren. Beim Gas sind für Seegatz langfristige Verträge das Gebot der Stunde, um den Rohstoff für die Verbraucher wieder bezahlbar zu machen. „Gleichzeitig müssen wir aber auch auf der ganzen Welt Wasserstoff einkaufen“, sagt Seegatz.

  • Frank Lehmann, Betriebsrat beim Netzbetreiber OGE in Essen
    Frank Lehmann, Betriebsrat beim Netzbetreiber OGE in Essen, sieht die Zukunft im Wasserstoff.

Lust auf Veränderung

Für das Gastransportnetz ist unter anderem die Open Grid Europe (OGE) in Essen zuständig. Sie hat auch das LNG-Terminal in Wilhelmshaven angeschlossen. Wie Harald Seegatz sieht auch OGE-Betriebsratsvorsitzender Frank Lehmann die Zukunft im Wasserstoff. Schließlich setzt auch die Politik bei der Energiewende auf diesen Rohstoff. „Egal ob das Ende für Gas 2030 oder 2045 kommt, es wird kommen“, sagt Lehmann, „deshalb muss der Wasserstoffhochlauf jetzt schnell starten.“

Lehmann ist überzeugt, dass der Hochlauf gelingen wird. Schließlich haben die Beschäftigten der OGE nicht nur bei dem Projekt in Wilhelmshaven gezeigt, was sie leisten können. Die OGE und andere Netzbetreiber hätten bereits zuvor mehrfach bewiesen, dass sie Veränderung beherrschen. „Unsere Leute besitzen nicht nur die Kompetenz und das Engagement, sondern haben auch die Lust, Teil der Energiewende zu sein“, sagt Lehmann.

Rund 1600 Beschäftigte arbeiten bei Deutschlands größtem Netzbetreiber in Essen und auf mehr als 40 Betriebsstellen in ganz Deutschland. Sie können es und sind bereit für die Umstellung auf Wasserstoff, um die Versorgung zu gewährleisten. Allerdings müsse die Politik ihnen dafür auch Perspektiven bieten. Christoph Schmitz vom Verdi-Bundesvorstand fordert Planungs- und Investitionssicherheit für die Betreiber, damit sie mit dem Um- und Ausbau der Netze beginnen können. Was die Beschäftigten aus Sicht des Gewerkschafters nicht brauchen, ist eine Diskussion um eine staatliche Wasserstoffagentur, die für den Betrieb der Infrastruktur zuständig sein soll. Bei der OGE und den anderen Betreibern blieben die Gasnetze. „Damit würde man uns zu einem Verwalter der alten Netze degradieren“, sagt OGE-Betriebsrat Lehmann. Er kann nur davor warnen, sich mit organisatorischen Fragen aufzuhalten: „Wir müssen jetzt mit der Energiewende loslegen.“ Denn auf dem Weg dorthin gibt es noch viel zu tun.

Für den Hochlauf von Wasserstoff, aber auch im Nachgang des LNG-Projekts werden alle Hände gebraucht – vor allem die von Ingenieuren und Handwerkern. Die Ausbildung bei OGE spiele hier eine wichtige Rolle. Doch auch der Nachwuchs braucht eine Perspektive.

Ohne Fachkräfte geht es nicht

Das Projekt „Green Wilhelmshaven“ soll die Stadt zu einem Drehkreuz für grüne Energie machen. Nicht nur Uniper, auch andere Unternehmen wollen hier in das Geschäft mit der Energie der Zukunft einsteigen. Bis 2028 soll eine Fabrik für Wasserstoff, ein 500-Megawatt-Elektrolyseur, entstehen. In Wilhelmshaven haben sich die Betriebsräte verschiedener Industriezweige zusammengeschlossen, berichtet Harald Seegatz von Uniper. Sie wollen vergleichbare Arbeitsplätze erhalten und verhindern, dass die ansässige Industrie Beschäftigte an neue Projekte verliert. Das könnte ihre Existenz gefährden. Gemeinsam wollen sie mit dem Projekt „Ausbildungszentrum Wilhelmshaven“ für alle Unternehmen in der Region ausbilden. Ein Teil der Fachkräfte würde dann in vier Jahren bereitstehen. Für die neue Energie müssen Leitungen gebaut und bestehende  umgerüstet werden. Ohne Fachkräfte wird das alles nicht gehen.

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