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Rechtsstaat: "Bleiben Sie gesund und demokratisch!"

Ausgabe 03/2020

Vom Wert der Grundrechte in Corona-Zeiten – und warum wir sie nicht den Extremisten überlassen dürfen. Von Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung und zuvor politischer Ressortchef und Mitglied der Chefredaktion

Wer in Corona-Zeiten für die Achtung und Beachtung der Grundrechte wirbt, ist kein Wutbürger, sondern ein Bürger. Wer eine Demonstration anmeldet oder bei einer Demonstration mitmacht, um dort die Achtung der Grundrechte anzumahnen, der ist kein Verschwörungstheoretiker, sondern ein Demokrat. Es kann passieren, dass bei dieser Demonstration auch merkwürdige Leute dabei sind, die ein sehr sonderbares Weltbild haben. Das macht aus einer guten rechtsstaatlichen Versammlung noch keine schlechte. Müsste man wegen ein paar schräger Vögel eine ehrenwerte Demonstration verlassen, gäbe es bald keine Demonstrationen mehr.

Wenn sich aber die AfD und andere Radikale und Extremisten zu Hütern der Grundrechte aufwerfen, ist das Heuchelei. Die AfD beispielsweise ist eine Partei, in der Grundrechte mit Füßen getreten werden. Auf Versammlungen dieser Partei wird vor Begeisterung gejohlt, wenn Naziverbrechen verharmlost, Juden verhöhnt, Muslime verachtet, Türken als „Kameltreiber“ beschimpft und Gemeinheiten über Flüchtlinge gesagt werden. Mit den Inszenierungen solcher Leute darf man sich nicht gemeinmachen. Man darf sich ein richtiges und wichtiges Anliegen von ihnen nicht diskreditieren lassen. 

Das wichtige Anliegen lautet: Grundrechte heißen Grundrechte, weil sie grundsätzlich auch in Krisenzeiten gelten müssen. Die Einschränkung von Grundrechten aus Gründen des Infektionsschutzes muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit achten. In der Corona-Krise haben mir Menschen gesagt: „Ich weiß gar nicht, was Sie immer mit der Demokratie haben, Prantl. Übertreiben Sie es doch nicht. Die Demokratie ist doch nicht gefährdet. Die nächste Bundestagswahl ist erst im Herbst 2021. Bis dahin ist die Corona-Krise, selbst wenn sie lange dauert, Vergangenheit.“ Demokratie ist aber sehr viel mehr als eine Wahl. Demokratie findet nicht nur am Wahltag, sondern an jedem Tag statt. 

Demokratie grenzt nicht aus. Demokratie stellt nicht soziale Distanz her, Demokratie will soziale Distanz überwinden. Eine Demokratie kann auch an Ausgangsbeschränkungen, Kontakt- und Versammlungsverboten sterben, so notwendig solche Verbote kurzfristig sein mögen. Der Satz „Not kennt kein Gebot“ ist ein Satz, der nicht zu Demokratie und Rechtsstaat passt. Eine Gewerkschaft kann und darf ihre Arbeit nicht einstellen, weil eine Pandemie herrscht. Gerade dann ist ihre Arbeit notwendig, weil für akzeptable Bedingungen der Kurzarbeit gekämpft werden muss, weil die Sorge um den Arbeitsschutz weitergeht. Arbeitgeber verzichten ja der Pandemie wegen nicht auf Betriebsverlagerungen oder Entlassungen. Eine Gewerkschaft muss ihre Kampfkraft dagegensetzen können. Also braucht es Demonstrationen, also braucht es Streiks. 

Man darf die Verfassung, die Grundrechte, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht mit Gauland und Co alleinelassen. Co, das sind alle, die versuchen, ihren Extremismus dadurch zu adeln, dass sie sich als Verteidiger der Grundrechte tarnen. Verteidiger der Grundrechte, das müssen die Gerichte sein, die Parlamente und die Zivilgesellschaft. 

Wir werden auch in Zukunft Pandemien erleben. Wie wird der Staat reagieren? Wie bei Corona? Wird es dann zackig heißen: Maske auf, Klappe halten! Wird dann wieder die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wieder die Versammlungsfreiheit entzogen? Werden künftig bei jeder Pandemie Grenzen, Kitas, Schulen geschlossen? Müssen die Menschen mit immer neuen Ausgangsverboten und Kontaktsperren leben – die von ängstlichen Parlamenten wenig kontrolliert werden und von einer womöglich künftig kritischeren Öffentlichkeit nicht hinterfragt werden können, weil praktisch jedes Grundrecht davon abhängt, dass man das Haus verlassen kann? Symbole für eine solche Infektionsdemokratie wären Ziehharmonika und Bandoneon: Da wird der Balg immer wieder zusammengequetscht und dann wieder auseinandergezogen. Bei den Musikinstrumenten kommen harmonische Töne zustande. In einer Demokratie eher nicht.

Sicherheit in einer Welt der Unsicherheit

Wir müssen die richtigen Lehren aus den Krisenmonaten ziehen. Vor einem Jahr, zum 70. Jubiläum des Grundgesetzes, haben wir gefeiert und die Grundrechte gepriesen. Als diese Grundrechte formuliert wurden, lag Deutschland in Trümmern. Der Katalog mit den Grundrechten entstand in einer Welt voller Unsicherheit, ansteckende Krankheiten grassierten. Die Grundrechte sollten Sicherheit geben in einer Welt der Unsicherheit. Soll nun, 71 Jahre später, die Aussetzung dieser Grundrechte Sicherheit geben? Da müssen wir aufpassen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft wird in und nach der Corona-Krise besonders wichtig sein. Dazu wird auch gehören, dass die Reichen ihren besonderen Beitrag zur Finanzierung der Corona-Krisen-Folgen leisten. 

„Bleiben Sie gesund!“ lautet derzeit die beliebteste Grußformel. Zur Gesundheit des Gemeinwesens gehört eine funktionierende Demokratie. Mein Gruß an Sie lautet daher: „Bleiben Sie gesund und demokratisch!“

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