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Magazin Mitbestimmung

: Berthold Huber: Europäisierung braucht Zeit

Ausgabe 07/2005

Die deutsche Mitbestimmung soll europatauglich werden - dieser Anspruch darf nicht als subtile Strategie für ein politisches Abbruchprogramm missbraucht werden. Reformperspektiven sieht die IG Metall vor allem in der Internationalisierung der Arbeitnehmerseite.

Von Berthold Huber
Der Autor ist Zweiter Vorsitzender der IG Metall; er leitet die Vorstandsbereiche Tarifpolitik, Organisation/Mitglieder sowie Betriebspolitik und Mitbestimmung.

Ein Teil der wirtschaftlichen und politischen Elite hat sich bereits entschieden - gegen die heutige Mitbestimmung. Die Positionen von BDI und BDA, aber auch die von CDU, CSU und FDP sprechen eine eindeutige Sprache - die Wirtschaftsverbände und die liberal-konservativen Parteien sehen die Zeit gekommen für einen deutlichen Abbau von Arbeitnehmerrechten. Das beschränkt sich nicht auf die Unternehmensmitbestimmung, sondern gilt gleichermaßen für die Betriebsverfassung und die Tarifautonomie.

Wortradikale Ausfälle, wie die des ehemaligen BDI-Präsidenten Michael Rogowski, der die Unternehmensmitbestimmung als "Irrtum der Geschichte" bezeichnete und das Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge am liebsten am Lagerfeuer verbrennen möchte, sind eher die Ausnahme. Die Verbandsvertreter auf Arbeitgeberseite wissen, dass sie damit nicht einmal in den eigenen Reihen durchdringen.

So schreibt die große Mehrheit (über 70 Prozent) jener Manager, die vom "Wissenschaftszentrum Berlin" für den deutschen Führungskräfteverband befragt wurden, der Mitbestimmung eine positive Wirkung zu - vor allem stärke sie das Engagement ihrer Belegschaften. Nahezu 90 Prozent der Befragten betonen, dass die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat dazu beiträgt "die Interessen von Anteilseignern und Arbeitnehmern in Einklang zu bringen".

Stärkung der Unternehmensinteressen gegenüber dem Kapitalmarkt

Gleichwohl dominiert in Wirtschaftsverbandskreisen eine andere Lesart: Dabei wird zunächst die historische Bedeutung der Mitbestimmung gepriesen, um gleich danach ihre Tauglichkeit für das 21. Jahrhundert zu bestreiten. Der entscheidende Einwand lautet: Das deutsche Mitbestimmungsmodell sei in einem vereinigten Europa nicht durchsetzbar. Sollte also angesichts der Ankündigung, die Bundestagswahlen vorzuziehen, überhaupt ein Auftrag an die angekündigte "Regierungskommission zu Fragen der Mitbestimmung" formuliert werden, dann muss überprüft werden, inwieweit dieser Vorwurf nicht implizit mitschwingt. Jedes denkbare Ergebnis würde damit unweigerlich zu einer Einschränkung bisher geltender Mitbestimmungsrechte führen.

Für die IG Metall ist klar: Die gegebene Mitbestimmung, so wie sie auf der Grundlage des 76er-Gesetzes existiert, werden wir nicht zur Disposition stellen. Ebenso wenig ist für uns vorstellbar, dass Fragen der Mitbestimmung durch Verhandlungen in den einzelnen Unternehmen geklärt werden können. Jenseits dieser beiden Grundsatzfragen wird sich die IG Metall notwendigen Reformen nicht verschließen.

Wir werden unseren Teil dazu beitragen, die Aufsichtsratsarbeit im Rahmen der Corporate Governance zu optimieren. Für die praktische Arbeit ebenso wichtig ist die ständig verbesserte Qualifizierung der Aufsichtsräte auf Arbeitnehmerseite. Eine entsprechende Verpflichtung zur Qualifizierung hat die IG Metall in ihren Richtlinien zur Aufsichtsratsarbeit festgeschrieben. Das gilt bei der IG Metall somit für rund 2500 Kolleginnen und Kollegen in Aufsichtsräten deutscher Unternehmen - nach dem Drittelbeteiligungsgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 sowie dem Montanmitbestimmungsgesetz.

Die Anforderungen durch den Gesetzgeber und auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit an diese Aufgaben der Unternehmensführung und -kontrolle steigen seit Jahren. Entsprechend haben wir unser umfangreiches Qualifizierungs- und Beratungsangebot der IG Metall für Aufsichtsrats-Mitglieder kontinuierlich ausgebaut. In den nächsten Monaten werden wir diese Aktivitäten unter dem Titel "Mitbestimmungsakademie" bündeln und unser Fortbildungsangebot weiter professionalisieren.

Weiterhin wird die IG Metall - gemeinsam mit DGB und den anderen Einzelgewerkschaften - die aus unserer Sicht wesentlichen gesellschaftlichen Themen für gute Aufsichtsratsarbeit der Öffentlichkeit vorstellen. Die eher abstrakt geführte "Kapitalismus-Debatte" kann so vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Unternehmensinteresse darf nicht per se mit Kapitalmarktinteresse gleichgesetzt werden. Unternehmensinteresse ist Zukunft für alle Stakeholder - in unserem Fokus wird die nachhaltige Beschäftigungssicherung eine besondere Rolle spielen.

Wir werden deshalb die Schwächen einer übermäßig ausgeprägten Kapitalmarktorientierung aufzeigen und einen Kurswechsel einfordern. Gesellschaftlich und gesetzlich legitimierte Teilhabe an wirtschaftlichen Prozessen verpflichtet uns zu einem noch stärkeren Engagement für Beschäftigung und Wohlstand in Deutschland und Europa. Hier fungieren Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten als Korrektiv einer reinen Kapitalmarktorientierung.

Reformperspektiven für die Unternehmensmitbestimmung

Bei der Weiterentwicklung der Unternehmensmitbestimmung stehen für die IG Metall folgende konkrete Reformen im Mittelpunkt:
- Wegfall der Doppelstimme bei Geschäftsordnung  Wenn sich unsere Vertreter in den Aufsichtsräten für eine verbesserte und transparentere Aufsichtsratsarbeit engagieren, dann werden sie nicht selten ausgebremst - und zwar durch das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden, das dieser "in Fragen der inneren Ordnung" ausspielt. So kann gegen den Willen der Arbeitnehmerbank vom Aufsichtsratsvorsitzenden eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrates verabschiedet werden, die die Grundlagen für die Zusammenarbeit des Aufsichtsrates definiert.

Dabei werden für die Unternehmenskontrolle so wesentliche Dinge geregelt wie die Berichtspflichten des Vorstandes, die Sitzungshäufigkeit sowie die zustimmungspflichtigen Geschäfte. Deshalb fordern wir hier - nicht zuletzt im Interesse einer verbesserten Corporate Governance - eine echte Mitbestimmung. Das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden in Fragen der inneren Ordnung muss daher abgeschafft werden.

- Mindestkatalog zustimmungspflichtiger Geschäfte 
Weiterhin wollen wir die Aufsichtsratsarbeit reformieren und verbessern durch die gesetzliche Festlegung eines verbindlichen Mindestkataloges zustimmungspflichtiger Geschäfte: Dieser kann die Jahresplanung beziehungsweise operative Planung eines Unternehmens umfassen, aber auch die Entscheidung über Verlagerungen und Firmenkäufe bzw. -verkäufe beinhalten. In vielen Aufsichtsräten vor allem großer Unternehmen ist dies heute schon gängige Praxis. Diese wollen wir verallgemeinern. Denn nicht selten wird die Verabschiedung eines vernünftig gestalteten Kataloges zustimmungspflichtiger Geschäfte von Seiten der Anteilseigner verhindert.

- Vereinfachte Aufsichtsratswahlen
Die IG Metall unterstützt eine Vereinfachung des Wahlverfahrens zur Aufsichtsratswahl. Wir können uns vorstellen, dass die Arbeitnehmervertreter zum Beispiel - wie in der Montanmitbestimmung üblich - durch die jährlich stattfindenden Betriebsräteversammlungen gewählt werden. In Konzernen würde dies bedeuten, dass alle Konzernunternehmen im Abstand von fünf Jahren gemeinsam zur Aufsichtsratswahl zusammentreten. Dies würde zu erheblichen Kosteneinsparungen und einer deutlichen Entbürokratisierung führen.

- Internationalisierung der Aufsichtsräte
Eine Ausweitung des Mitbestimmungsgedankens in Europa kann nur über die Internationalisierung der Aufsichtsräte zum Erfolg führen. Wir fordern nicht pauschal das uneingeschränkte aktive und passive Wahlrecht aller Beschäftigten für den Aufsichtsrat internationaler Konzerne. Dazu ist die Situation von Unternehmen zu Unternehmen zu unterschiedlich. Aber es muss eine gesetzliche Lösung gefunden werden, damit nicht nur - wie bislang - Gewerkschaftsvertreter, sondern auch im Ausland arbeitende Beschäftigte multinationaler Unternehmen in den Aufsichtsrat einer deutschen Kapitalgesellschaft gewählt werden können.

Mitbestimmung darf in Zeiten der zunehmenden weltweiten Vernetzung von Konzernen nicht an nationalen Grenzen enden. Von Seiten des Gesetzgebers erwarten wir hierzu die entsprechenden gesetzlichen Regelungen. Das aktive Wahlrecht kann dann durch Vereinbarungen innerhalb des jeweiligen Unternehmens situationsangemessen geregelt werden.

Mit diesem Vorschlag stoße ich auch in unseren eigenen Reihen nicht nur auf Begeisterung. Internationalisierung kann auch einen Verlust an direktem Einfluss bedeuten. Die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen europäischen Staaten ist aufwändig, weil wir es mit vollkommen unterschiedlichen Gewerkschafts- und Mitbestimmungskulturen zu tun haben. Die europäische Harmonisierung ist gerade unter Gewerkschaften ein langwieriger Diskussions- und Annäherungsprozess, weil wir selbstverständlich die Traditionen und Institutionen in anderen Ländern respektieren. Wir sind dabei zwangsläufig langsamer als die Kapitalseite.

Die deutsche Mitbestimmung ist nicht singulär in Europa

So schlecht, wie häufig von interessierter Seite dargestellt, ist die Ausgangssituation für die deutsche Mitbestimmung in Europa nicht. Der ständig wiederholte Vorwurf, das deutsche Modell sei in Europa isoliert, ist eine interessengeleitete Mär. Deutschland steht in Europa nicht allein. In 18 von 25 EU-Staaten gibt es Mitbestimmung in irgendeiner Form, sie gilt damit für die deutliche Mehrheit der Bevölkerung in den EU-Staaten. In einem Gutachten des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung sind die verschiedenen Formen der Mitbestimmung innerhalb der Europäischen Union ausgewertet worden. Die Studie kommt zu dem eindeutigen Schluss: "Mitbestimmte Aufsichts- und Leitungsgremien sind keine spezifisch deutsche Eigenart!"

Durch die Osterweiterung ist innerhalb der EU die Ausstrahlungskraft der deutschen Mitbestimmung auf Unternehmensebene sogar noch gestiegen. Länder wie die tschechische Republik, die slowakische Republik oder Ungarn orientieren sich am bundesdeutschen Modell. Bei den skandinavischen Ländern ist der mitbestimmte eingliedrige Verwaltungsrat prägend, in dem die Gewerkschaften ebenfalls direkte Mitwirkungsmöglichkeiten haben.

Unsere südeuropäischen Kolleginnen und Kollegen, aber auch die Gewerkschaften in Frankreich sind demgegenüber durch eine andere Gewerkschaftstradition geprägt, die sich aber ebenfalls im Wandel befindet.
Inzwischen sehen auch einige unserer französischen Kolleginnen und Kollegen, dass es kein Ausweis von Souveränität der Arbeitnehmerseite ist, wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer-Gremium, das mit unserem Gesamtbetriebsrat vergleichbar ist, vom Vorstandsvorsitzenden geleitet wird.

Die deutschen Gewerkschaften stehen in einer besonderen Verantwortung. Angesichts des Vormarsches des Shareholder-Value-Kapitalismus sind Fragen der innerbetrieblichen Demokratisierung und der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen in allen europäischen Staaten und für alle europäischen Gewerkschaften hoch aktuell.

Unsere institutionalisierte Mitbestimmung ist ein Korrektiv und eine wirksame Regulierungsinstanz gegen diese Ausuferungen des Shareholder-Value-Prinzips. Dieses Instrument muss angesichts veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen aber weiterentwickelt und gleichzeitig mit einem notwendigen Diskurs innerhalb der europäischen Gewerkschaften verknüpft werden. In vielen europäischen Staaten werden Möglichkeiten gesucht und diskutiert, um die Unternehmen stärker auf soziale und gesellschaftliche Interessen zu verpflichten.

Das umfasst auch die Frage nach innerbetrieblicher Demokratie und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen. In dieser Debatte könnte man beispielsweise den in Großbritannien stark entwickelten "Community"-Ansatz, bei dem regionale Interessen im Mittelpunkt stehen, aufgreifen oder die in Frankreich von Robert Castel und anderen geführte Debatte, wie der Ausschluss ganzer gesellschaftlicher Gruppen aus dem öffentlichen Leben verhindert werden kann.

Als ein Ergebnis dieser Diskussionen könnte der selbst in Deutschland außerhalb der Gewerkschaften gewissermaßen "verschüttete" Wert institutionalisierter Mitbestimmung als grundlegendes Element demokratischer Teilhabe wiederbelebt werden. Wir dürfen und können nicht zulassen, dass Demokratie und Sozialstaat durch den Abbau von Arbeitnehmerrechten nachhaltig beschädigt werden.

Gleichzeitig benötigen wir für die europäische Mitbestimmungsdiskussion einen langen Atem. Die klaren Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden sind ein Indikator dafür, wie behutsam europäische Einigungsprozesse angegangen werden müssen. Europäisierung braucht Zeit, wenn sie nachhaltig wirken soll.

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