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Magazin Mitbestimmung

: Behutsame Modernisierung

Ausgabe 01+02/2007

Die Biedenkopf-Kommission "sieht keinen Grund, der Bundesregierung eine grundsätzliche Revision der deutschen Unternehmensmitbestimmung vorzuschlagen". Eine erste Einschätzung der Vorschläge aus wissenschaftlicher Sicht.



Von Martin Höpner
Dr. Höpner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.
mh@mpifg.de


Seit der Jahrtausendwende strahlt die politische Debatte über den Modernisierungsbedarf der Unternehmenskontrolle auch auf die Mitbestimmung aus. Alte und neue Fragen werden gestellt, darunter auch solche, die nicht auf die Modernisierung, sondern die Beseitigung von Mitbestimmungsrechten zielen. Ist das 1976er Gesetz noch zeitgemäß, insbesondere vor dem Hintergrund grenzüberschreitender Fusionen und der EuGH-Urteile zur Niederlassungsfreiheit in Europa? Ist, angesichts des Trends zu aktionärsorientierter Unternehmensführung, die Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat überhaupt noch gesellschaftlich legitimiert, politisch geboten und ökonomisch effizient?

Seit 30 Jahren ist das Mitbestimmungsgesetz in Kraft. (siehe Grafik Seite 52) Im Deutschen Bundestag wurde es 1976 mit großer Mehrheit, bei nur 22 Gegenstimmen, verabschiedet. Der runde Geburtstag im letzten Jahr erinnerte daran, dass dem Gesetz ein fragiler parlamentarischer Kompromiss zugrunde lag, der die überwältigende Zustimmung erst möglich gemacht hatte.

Charakteristikum ist die gleiche Anzahl von Mandaten auf der Anteilseigner- und der Arbeitnehmerbank - bei strukturellem Übergewicht der Kapitalseite durch das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden. Im Jahr 1979 wies das Bundesverfassungsgericht (BVG) die Arbeitgeberklage gegen das Mitbestimmungsgesetz ab und beendete damit die aufgeregten Debatten für die kommenden 20 Jahre. Was nicht heißt, dass die Gegner der Unternehmensmitbestimmung ihren Frieden mit dem Status quo geschlossen hatten.

Seit Ende der 90er Jahre werden erneut Reformvorschläge präsentiert: 1998 der Bericht der gemeinsamen Kommission von Bertelsmann- und Hans-Böckler-Stiftung; 2004 die radikalen Reformvorstellungen der Wirtschaftsverbände BDA und BDI sowie jene der im "Berliner Netzwerk" zusammengeschlossenen Professoren, die auf den Abbau von Mitbestimmungsrechten zielten; 2005 die Reformvorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbunds; das auf dem Deutschen Juristentag im September 2006 diskutierte, von dem Wirtschaftsrechtler Thomas Raiser vorgelegte Reformgutachten.

Und nun das am 20. Dezember 2006 der Bundeskanzlerin überreichte Gutachten der "Regierungskommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung" unter Vorsitz von Kurt Biedenkopf. Wegen der ablehnenden Haltung der Repräsentanten der Arbeitgeberseite wurde es allein von den drei wissenschaftlichen Mitgliedern der Kommission - den Professoren Biedenkopf, Wißmann und Streeck - unterzeichnet.

Von Anfang an war vereinbart: Im Fall eines unüberbrückbaren Dissenses unter den Verbandsvertretern würden die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission ein eigenständiges Votum abgeben können. Aus gutem Grund: Die Vorstellungen der Verbände lagen weit auseinander. Seit Ende 2004 lag das Papier von BDA und BDI auf dem Tisch, in dem sie fordern, das Mitbestimmungsgesetz für ein Verhandlungsmodell zu öffnen. Im Fall scheiternder Verhandlungen sollte nur noch ein Drittel der Aufsichtsratssitze durch Vertreter der Beschäftigten besetzt werden dürfen. Die Gewerkschaften forderten im Gegenzug eine Sicherung, in manchen Bereichen sogar eine Ausweitung der quasi-paritätischen Arbeitnehmerbeteiligung.

Betrachten wir zunächst, was die Biedenkopf-Kommission der Bundesregierung nicht empfiehlt. Die wissenschaftlichen Mitglieder votieren gegen eine wie auch immer geartete Rückführung der Mitbestimmung auf ein niedrigeres Niveau (etwa der Drittelbeteiligung). Die Intensität der Mitbestimmung - also die Frage, wie die Aufsichtsratssitze zahlenmäßig zwischen Kapital und Arbeit verteilt sind - soll an der Unternehmensspitze nicht zum Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Partnern in den Unternehmen werden, anders als es das auf dem Juristentag diskutierte Raiser-Modell vorsieht. Das Biedenkopf-Gutachten enthält auch kein Plädoyer für die von den Arbeitgebern geforderte Abschaffung der konsequent paritätischen Mitbestimmung im Montanbereich.

Gleichzeitig folgte die Kommission einer Anzahl von Gewerkschaftsforderungen nicht, so etwa dem Ruf nach einem gesetzlich verankerten Mindestkatalog zustimmungspflichtiger Geschäfte oder der Forderung, die Beschäftigten-Schwellenwerte zu ändern, ab denen die Mitbestimmungsgesetze greifen. Die Kommission konnte sich auch nicht dem Vorschlag anschließen, die Doppelstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden in den Fragen abzuschaffen, die ausschließlich die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats betreffen. Und auch eine Empfehlung, nach der der Arbeitsdirektor nicht gegen den Willen der Arbeitnehmerbank bestellt werden kann (so wie es im Montanbereich praktiziert wird), findet sich im Kommissionsbericht nicht.

Mehr Verhandlungsspielraum für die Unternehmen

Die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission empfehlen dem Gesetzgeber, die Unternehmensmitbestimmung behutsam für dezentral ausgehandelte Lösungen zu öffnen. In drei Bereichen soll das zwingende Mitbestimmungsrecht durch sogenanntes dispositives Recht ergänzt werden, das heißt, die Sozialpartner können Abweichendes vereinbaren:

- in der Gestaltung der Mitbestimmung in von der Konzernmutter beherrschten Unternehmen,

- bei der Größe der Aufsichtsräte und

- bei der Integration der Vertreter ausländischer Belegschaftsteile in die Arbeitnehmerbänke der Kontrollgremien.

Die verhandelbaren Regelungsfelder werden von der Kommission - im Vergleich zu anderen Reformmodellen - relativ eng gefasst. Wer soll verhandeln? Auf der einen Seite das Leitungsorgan des Unternehmens, auf der anderen eine aus Betriebsrat und Gewerkschaften bestehende Gruppe, die in ihrer Größe und in ihrer anteilsmäßigen Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat entsprechen soll.

Über die Neukonfiguration der Unternehmensmitbestimmung in Konzernstrukturen, über die Veränderungen der Aufsichtsratsgröße und die Einbeziehung ausländischer Belegschaftsteile soll mit Dreiviertelmehrheit entschieden werden. Einstimmigkeit ist dann vonnöten, wenn eine Verkleinerung des Aufsichtsrats zu einer Veränderung des anteilsmäßigen Verhältnisses zwischen internen Arbeitnehmervertretern, Gewerkschaftsvertretern und dem Vertreter der leitenden Angestellten führen sollte.

Dies gilt allerdings nicht, wenn sich die Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank im Zuge einer etwaigen Reservierung von Sitzen für Vertreter ausländischer Belegschaftsteile verändert: In diesem Fall soll die Dreiviertelmehrheit im Verhandlungsgremium auch dann genügen, wenn sich die Verteilung der Sitze auf die Gruppen der Arbeitnehmerbank stark verändert oder die Beteiligung einer Gruppe sogar gänzlich entfällt.

Das Wahlverfahren soll einfacher werden

Darüber hinaus empfehlen die wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder, einige gesetzlich zwingende Vorgaben abzuändern. Dabei sticht die Vereinfachung des Wahlverfahrens besonders hervor. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sollen künftig in einer Versammlung der Betriebs- und Sprecherausschussmitglieder gewählt werden, unter Beibehaltung der bisher bestehenden Vorschlagsrechte.

Damit soll das Wahlverfahren beschleunigt, kostengünstiger gestaltet und für alle Seiten vereinfacht werden. Zudem sprechen sich die wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder dafür aus, Unklarheiten bei der Besetzung von Ausschüssen zu beseitigen. Ausschüsse, so soll im Gesetz klargestellt werden, sind grundsätzlich paritätisch zu besetzen, wobei dem Ausschussvorsitzenden ein Zweitstimmrecht zugestanden werden kann.

Weitere Empfehlungen beziehen sich auf den Anwendungsbereich der Mitbestimmungsgesetze. So sollen Aktiengesellschaften nur dann unter das Drittelbeteiligungsgesetz fallen, wenn sie mehr als 500 Arbeitnehmer haben. Die Arbeitnehmer faktisch beherrschter Konzernteile sollen bei den Schwellenwerten des Drittelbeteiligungsgesetzes künftig mitgezählt werden. Und die Geschäftsführungen von GmbHs sollen künftig genauso zur Regelberichterstattung an den Aufsichtsrat verpflichtet werden wie Vorstände von Aktiengesellschaften.

Als Etappensieg der Gewerkschaften kommentierte erwartungsgemäß die wirtschaftsnahe Presse die Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission - so die FAZ vom 21.12.06 und das manager magazin online vom 22.12.06. Aber welcher Benchmark taugt wirklich, um die Kommissionsempfehlungen zu bewerten? Im Vergleich zu den Radikalforderungen von BDA/BDI und des Berliner Netzwerks lesen sich die Empfehlungen der Wissenschaftler zweifellos wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1979, wird hier doch in aller Klarheit formuliert, dass die Argumente der Mitbestimmungskritiker sachlich nicht überzeugen konnten.

Richtig ist: Die Absage an die Gegner der Mitbestimmung war sachlich geboten, in ihrer Deutlichkeit aber dennoch keine Selbstverständlichkeit. Ein anderer Verlauf der Diskussion auf dem Juristentag, eine andere Zusammensetzung der Kommission, eine andere Bundesregierung im Hintergrund hätten vielleicht andere Ergebnisse hervorgebracht.

Aber ein Votum, das den Forderungen etwa des Berliner Netzwerks folgen würde, war zu keinem Zeitpunkt und von keiner wie auch immer zusammengesetzten, dem wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschungsstand und den Erfahrungen der Praxis verpflichteten Kommission zu erwarten. Wozu also die Kommissionsempfehlungen an unrealistischen Extremforderungen messen, die ihre Mitbestimmungsgegnerschaft kaum verbergen?

Nur ein Benchmark eignet sich zur Bewertung der Empfehlungen: der Status quo. Dieser Vergleichsmaßstab führt zu einer differenzierten Betrachtung. Die Empfehlungen zum Wahlrecht und mehrere der Empfehlungen zur systematischen Bereinigung des geltenden Rechts entsprechen Forderungen der Arbeitnehmerseite. Aber: Der Ort von Verhandlungslösungen ist nicht, wie es im deutschen System der Arbeitsbeziehungen nahe gelegen hätte, der Tarifvertrag.

Auch zu einer Empfehlung, zustimmungspflichtige Geschäfte nach österreichischem und niederländischem Vorbild gesetzlich vorzuschreiben, konnte sich die Kommission nicht durchringen. Wie sie auch keine Empfehlung an den Gesetzgeber abgab, die Unternehmensmitbestimmung auf ausländische Rechtsformen auszudehnen - selbst dann, wenn die betreffenden Unternehmen überwiegend oder sogar ausschließlich in Deutschland aktiv sind.

Soll Internationalisierung zu Lasten der Gewerkschaftsvertreter gehen?

 Hier bleiben Fragen offen: Denn darf die Neuinterpretation der europäischen Niederlassungsfreiheit durch den EuGH dazu führen, dass Mitbestimmungsstandards durch Rechtsformenwechsel unterlaufen werden? Und hätte der gesunde Menschenverstand nicht geboten, diesem Problem jetzt, im Zweifel in Konflikt mit Brüssel, Einhalt zu gebieten - und nicht erst, wenn das Problem praktisch virulent wird?

Sehen wir uns die Empfehlungen zur Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke genauer an. Hier soll, anders als bei einer etwaigen Verkleinerung des Aufsichtsrates, eine Reduzierung oder gar ein Wegfall der Sitze des Leitenden oder der Gewerkschaftsvertreter prinzipiell durch Beschluss des Verhandlungsgremiums möglich sein - mit Dreiviertelmehrheit, also ohne Vetomacht der Betroffenen. Warum eigentlich? Ist das Grundproblem bei Verkleinerung und Internationalisierung nicht dasselbe? Nämlich, dass künftig weniger Sitze auf der Arbeitnehmerseite - auf betriebliche, leitende und externe - zu verteilen sind? 

Wäre die systematischere Lösung nicht gewesen, in beiden Situationen ein Einstimmigkeitserfordernis vorzusehen, zumindest im Fall großer Verschiebungen der anteilsmäßigen Zusammensetzungen der Arbeitnehmerbänke? Folgt der Gesetzgeber den Empfehlungen, ist künftig im Prinzip denkbar, dass Gewerkschaftsvertreter mit einer Dreiviertelmehrheit der Verhandlungspartner - unter Kopplung mit einem Beschluss zur Integration von Arbeitnehmervertretern ausländischer Unternehmensteile - aus dem Aufsichtsrat entfernt werden.

Dem würde eine Mehrheit der betrieblichen Arbeitnehmervertreter im Verhandlungsgremium nicht zustimmen, könnte man einwenden. Zugegeben, ein solches Szenario erscheint in naher Zukunft nicht realistisch. Aber die Reform der Unternehmensmitbestimmung soll ja länger als ein paar Jahre halten. Und wir wissen, dass Konfliktlinien oft quer durch beide Bänke gehen. Es stellen sich grundsätzliche Fragen. Verhandeln die Partner im Verhandlungsgremium wirklich unter Gleichen und auf Augenhöhe?

Beruht unser gesamtes Arbeitsrecht nicht auf der Grundannahme, dass Arbeit und Kapital gerade nicht mit gleichen Machtressourcen ausgestattet sind? Denken wir an Standortsicherungsvereinbarungen: Auch sie kommen nur zustande, wenn beide Seiten zustimmen. Und doch lehren sie, dass Konzessionen erpressbar und Marktbedingungen sowie ungleich verteilte Machtressourcen entscheidende Parameter in Verhandlungen sind.

Die Kommission war gut beraten, die Sitzverteilung zwischen Kapital und Arbeit nicht zum Verhandlungsgegenstand zwischen den Partnern zu erklären. Unser Arbeitsrecht schreibt Arbeitnehmerrechte zwingend vor, weil die Gesellschaft ein Anliegen daran hat, dass die abhängig Beschäftigten dem Wirtschaftsprozess nicht unmündig ausgeliefert sind. Gilt dasselbe nicht für das überbetriebliche Element der Mitbestimmung? Eine Konstellation, in der - wenn auch, zugegeben, nur in einer eng umrissenen, seltenen Situation - die Beteiligung der Externen der Verhandlungsmacht der betrieblichen Arbeitnehmervertreter anheim gestellt wird, muss mit Sorge betrachtet werden. Ganz sicher ist sie kein Sieg der Gewerkschaftsseite.

BDA/BDI: "Ein Anspruch auf Mitbestimmung besteht nicht"

Die Empfehlungen der Biedenkopf-Kommission bieten auch Anlass zu einer kurzen Rückschau auf die Mitbestimmungsdebatte insgesamt. Zwei Beobachtungen hierzu. Erstens: Auch wenn die Extremforderungen der Mitbestimmungsgegner die Diskussion nicht dominierten, erstaunt im Nachhinein doch, wie stark es den Befürwortern einer Rückführung der Mitbestimmung vor das Gesetz von 1976 gelang, die Beweislast umzukehren. Wer Änderungen mit potenziell hohen politischen Kosten herbeiführen will, muss nachweisen, was diese Änderungen bringen sollen - so sollte man meinen. Und doch drängten die Mitbestimmungsgegner die Befürworter einer Weiterentwicklung des Status quo in eine merkwürdige Defensive.

"Ein Anspruch auf Mitbestimmung existiert nicht", schrieben BDA und BDI in ihrer Stellungnahme zum Gutachten der Biedenkopf-Kommission; wer einen Eingriff in Privatrecht vornimmt, muss ihn fortlaufend rechtfertigen, so die Verbände. Dass dies so nicht stimmt - dass also für Maßnahmen im Sinne der Sozialintegration keine andere politische Logik gilt als für Maßnahmen im Sinne des Rechts auf Privateigentum - hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1979 unmissverständlich festgestellt:

"Das Grundgesetz ... enthält keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung. ... Es überlässt dessen Ordnung vielmehr dem Gesetzgeber, der hierüber innerhalb der ihm durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen frei zu entscheiden hat, ohne dazu einer weiteren als seiner allgemeinen demokratischen Legitimation zu bedürfen." Und doch waren die Mitbestimmungsgegner erfolgreich darin, einen Teil der Beweislast an jene weiterzureichen, die eine moderate Weiterentwicklung des 76er Gesetzes befürworteten.

Damit eng verknüpft ist eine zweite Beobachtung: Die Auseinandersetzung wurde von Fragen der ökonomischen Performanz dominiert. Sie hatte damit eine andere Schlagseite als die Mitbestimmungsdiskussion der 70er Jahre. Damals fungierte, wie der Wiener Arbeits- und Sozialrechtler Robert Rebhahn auf dem Stuttgarter Juristentag treffend anmerkte, die Soziologie noch als Leitwissenschaft einer Debatte, die sich um soziale Integration, um die Stellung der abhängig Beschäftigten in der modernen Ökonomie, um das Spannungsverhältnis von Unternehmen und Gesellschaft, um Corporate Citizenship, um die Sozialbeziehungen im Unternehmen als Gegenstand öffentlicher Interessen drehte.

Diese Fragen wurden nun von der ökonomischen Performanzbetrachtung überschattet: Wie wirkt die Unternehmensmitbestimmung auf die Gewinnsituation, wie auf den Börsenwert? Obwohl doch jeder weiß: Die Mitbestimmung legitimiert sich nicht über die Steigerung des Shareholder-Value. Im Grunde konnten sich die Befürworter der Mitbestimmung gefahrlos auf die ökonomische Debatte einlassen.

Denn jeder, der den Forschungsstand unvoreingenommen betrachtet, muss zu dem Ergebnis gelangen: Die verfügbaren Daten rechtfertigen die Behauptung einer systematischen Minderung von Gewinnen und Börsenkursen nicht. Aber was, wenn die Daten in Zukunft einmal, aus welchen Gründen auch immer, anders liegen? War es nicht bereits ein bemerkenswertes Zugeständnis an die Kritiker, dass die Debatte zu einem Großteil auf dem ökonomischen Feld geführt wurde?

Die Arbeitgeberseite - Ungewissheit über künftige Strategien

Im Nachhinein ist man immer schlauer: Vielleicht war die Hoffnung von Anfang an nicht realistisch, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften könnten und würden sich einvernehmlich auf eine im Großen und Ganzen verteilungsneutrale Reform der Unternehmensmitbestimmung einigen können. BDA und BDI hatten sich Ende 2004 auf eine Forderung festgelegt, die faktisch auf die Rückführung der Mitbestimmung auf eine Drittelbeteiligung hinauslief.

Aber wäre nicht denkbar gewesen, den unvereinbaren Standpunkt zur Mitbestimmungsintensität - die Frage, ob Arbeitnehmervertreter in gleicher Anzahl oder zu einem Drittel im Aufsichtsrat vertreten sind -deutlich zu machen und darüber hinaus aber auf einvernehmliche Reformschritte im Detail hinzuwirken? Muss nun erwartet werden, dass Bundesregierung und Gewerkschaften in der Mitbestimmungsfrage auf Seiten der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände keinen Ansprechpartner mehr haben, von dem etwas anderes zu erwarten wäre als das Beharren auf Maximalforderungen?

Für die nahe Zukunft mag das tatsächlich so sein. Aber auf lange Sicht erscheint der Sachverhalt ambivalent. Arbeitgeber- und Industrieverbänden fällt die Entwicklung mitbestimmungspolitischer Positionen prinzipiell schwer. Die Debatte der vergangenen Jahre offenbarte heterogene Auffassungen innerhalb der Verbände.

Rogowskis derbem Wort von der Mitbestimmung als "Irrtum der Geschichte" wurde von namhaften Vertretern der Wirtschaft (Wiedeking, Claaßen, Schrempp und anderen) teils heftig widersprochen, und auch eine frühere Version des BDA-/BDI-Papiers legte offen, dass die Positionen im Arbeitgeberlager weit auseinandergingen. Und so sind auch zukünftige Strategien in der Mitbestimmungsfrage ungewiss.

Die Befürworter des Mitbestimmungsgedankens sollten sich aber über die Schwierigkeiten der Arbeitgeberverbände, einheitlich getragene Positionen zu formulieren, nicht freudig die Hände reiben: Die Zukunft der deutschen Arbeitsbeziehungen entscheidet sich nicht zuletzt - in manchen Bereichen sogar vor allem - auf Arbeitgeberseite. Und die Verbände beider Seiten stehen gleichermaßen vor dem Problem, heterogene Mitgliederpositionen integrieren zu müssen.

Das gilt für die Tarifpolitik genauso wie für die Unternehmensmitbestimmung. Der Quasi-Auszug der Arbeitgeberseite aus der Biedenkopf-Kommission entlastete die Gewerkschaften von der Notwendigkeit, selbst für oder gegen den Kommissionsbericht abstimmen zu müssen. Wer genau hinhörte, konnte unter Gewerkschaftsexperten in den vergangenen Jahren gänzlich unterschiedliche Positionen beispielsweise zu der entscheidenden Frage vernehmen, ob die Mitbestimmungsintensität nach oben und unten mit dem Status quo als Rückfalllösung ein Gegenstand von Verhandlungslösungen sein könne.

Vielleicht darf man von BDA und BDI zunächst nichts anderes als mitbestimmungspolitische Obstruktionsstrategien erwarten. Allerdings zu einem hohen Preis. Denn das wird die Verbände weiter von ihren Mitgliedern entfernen. Die Praxis in den Unternehmen ist, wie auch die jüngst veröffentlichte Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) noch einmal eindrucksvoll bestätigte, eine ganz andere: In den Unternehmen weiß man, was man vor dem Hintergrund der kooperativen Modernisierung der Unternehmen und der kontrollierten Dezentralisierung des Tarifwesens an der Mitbestimmung hat.





Der Bericht der "Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung" mit Stellungnahmen der Verbände unter www.bundesregierung.de als PDF abrufbar (Startseite rechts oben Suchbegriff "Mitbestimmung" eingeben), ein Link findet sich auch auf der Startseite www.boeckler.de




Die Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung
Sie wurde im März 2005 von Bundeskanzler Schröder eingesetzt und von der Regierung Merkel/Müntefering im Koalitionsvertrag vom 11.11.2005 bestätigt. Dort heißt es: "Das Erfolgsmodell der deutschen Mitbestimmung muss mit globalen und europäischen Herausforderungen Schritt halten. Aufgabe der eingesetzten Regierungskommission unter dem Vorsitz von Professor Dr. Biedenkopf ist es, ausgehend vom geltenden Recht bis Ende 2006 Vorschläge für eine moderne und europataugliche Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu erarbeiten." Mitglieder der Kommission waren:

Die Wissenschaftler: Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident a.D., Vorsitzender der Kommission; Prof. Dr. Wolfgang Streeck, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung; Prof. Dr. Hellmut Wißmann, Präsident des Bundesarbeitsgerichts a.D.
Die Arbeitgebervertreter: Dr. Manfred Gentz, Ex-Vorstand von DaimlerChrysler, Präsident der ICC-Internationalen Handelskammer-Deutschland; Dr. Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA); Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)

Die Gewerkschaftsvertreter: Jürgen Peters, Erster Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall; Günter Reppien, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der RWE Power AG; Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Es gab sechs Sitzungen. Parallel dazu untersuchte der Expertenkreis unter Leitung von Prof. Dr. Streeck die ökonomische Wirkung der Mitbestimmung im Unternehmen vor dem Hintergrund sich verändernder Kapitalmärkte; der Expertenkreis unter Leitung von Prof. Dr. Wißmann befasste sich mit möglichen Konsequenzen der europarechtlichen Entwicklung für die deutsche Mitbestimmung. Die Kommission konnte bei ihren Beratungen auf drei Forschungsinstitute zurückgreifen: die Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf, das Institut der deutschen Wirtschaft und das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.




In der Märzausgabe 2007 führen wir die Debatte weiter, u.a. mit einem Interview mit Kurt Biedenkopf, Beiträgen von Gewerkschaftsvorsitzenden, einem Porträt von Günter Reppien, dazu Reaktionen aus der Wirtschaft
auf den Bericht der Biedenkopf-Kommission.


 

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