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Magazin Mitbestimmung

: Aufsichtsräte als Geheimzirkel?

Ausgabe 04/2010

VERSCHWIEGENHEITSPFLICHT Aufsichtsräte erfahren sensible Unternehmensdetails. Doch sie müssen schweigen können. Die Balance - für eine Interessenvertretung unerlässlich - wird durch ein BAG-Urteil bedroht. Von Julia Cuntz und Sebastian Sick

Julia Cuntz is Juristin im Ressort Unternehmensmitbestimmung beim IG-Metall-Vorstand, Sebastian Sick ist Leiter eines Referats Wirtschaftsrecht in der Hans-Böckler-Stiftung.

Aufsichtsratsmitglieder haben ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand. Denn eine effektive Überwachung ist nur mit den erforderlichen Informationen möglich. Als Kehrseite dazu ist die Pflicht zur Verschwiegenheit im Gesetz verankert. Im Deutschen Corporate Governance Kodex heißt es dazu: "Gute Unternehmensführung setzt eine offene Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie im Vorstand und Aufsichtsrat voraus. Die umfassende Wahrung der Vertraulichkeit ist dafür von entscheidender Bedeutung." Dies richtet sich an Arbeitnehmer- wie Anteilseignervertreter gleichermaßen.

HOCH GEHÄNGTE PFLICHT ZUR VERSCHWIEGENHEIT_ Mit einem Beschluss vom 23. Oktober 2008 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun einige Aufregung entfacht, als es sich zur Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsräte gegenüber Betriebsräten äußerte. Der Fall: Ein Aufsichtsratsmitglied hatte im Betriebsrat, dem es ebenfalls angehörte, von der bevorstehenden Übernahme eines Unternehmens berichtet, die im Kontrollgremium bekannt geworden und dort ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden war.

Zwar lehnte das BAG die Kündigung des Aufsichtsratsmitglieds ab. Für die Aufsichtsratsarbeit entscheidender ist aber, dass das Gericht eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Betriebsrat annimmt, obwohl dieser seinerseits einer Geheimhaltungspflicht unterliegt: "Eine Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat besteht grundsätzlich auch gegenüber dem Betriebsrat, selbst wenn ein Arbeitnehmervertreter zugleich Mitglied des Betriebsrats ist." Der Betriebsrat darf demnach zwar dem Aufsichtsrat alles erzählen (§ 79 BetrVG), nicht aber umgekehrt. Ungeachtet der Verantwortung ihren Wählern gegenüber müssen die Aufsichtsratsmitglieder nunmehr umso vorsichtiger abwägen, wenn sie über ihre Aufsichtsratsarbeit informieren. Dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit den betrieblichen Gremien.

Bedeutet dies das Ende einer effektiven Kooperation der verschiedenen Ebenen der Mitbestimmung - und damit einer wirkungsvollen Arbeitnehmervertretung? Diese Deutung scheint überzogen. In seinem gleichfalls wegweisenden sogenannten Bayer-Urteil von 1975 differenziert der Bundesgerichtshof (BGH) sehr genau: "Ein grundsätzliches Verbot, Gegenstand, Verlauf und Ergebnis von Aufsichtsratsverhandlungen zu offenbaren, lässt sich … nicht mit einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens begründen und sprengt den gesetzlichen Rahmen." Hier wird deutlich: Was konkret unter die Geheimhaltungspflicht fällt, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden, Kommunikation aus dem Aufsichtsrat ist aber möglich. Der Tagesordnungspunkt "Bericht aus dem Aufsichtsrat" auf Betriebsversammlungen oder Betriebsratssitzungen muss nicht gestrichen werden. Jedoch ist Vorsicht geboten: Allgemeine Informationen über Gegenstand, Verlauf und Ergebnis einer Aufsichtsratssitzung im Konzernbetriebsrat oder in einer Mitarbeiterzeitung darf es geben, solange vertrauliche Details nicht offenbart werden. Was vertraulich ist, bestimmt sich hier nach dem Gesetz, nicht nach der Aufsichtsratsgeschäftsordnung oder nach der Meinung des Vorstands. Hinweise der Unternehmensleitung sind nicht rechtsverbindlich, sondern können allenfalls die Beurteilung erleichtern. Eine verschärfte Vertraulichkeit, wie sie sich in einigen Geschäftsordnungen wiederfindet, darf nicht gelten.

GRENZEN DER VERTRAULICHKEIT_ Doch wo liegen die Grenzen der Verschwiegenheitspflicht? Was fällt tatsächlich darunter? Das Gesetz nennt Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse. Dazu können beispielsweise Margen, technische Entwicklungen, Kundenlisten oder Akquisitionspläne gehören. Unterlagen aus dem Aufsichtsrat sind niemals weiterzugeben. Zudem sind im Gesetz speziell "vertrauliche Berichte" und "vertrauliche Beratungen" genannt. Daraus ergibt sich logisch, dass es auch Aufsichtsratsberatungen und Berichte geben muss, die nicht vertraulich sind. Details der Beratung oder Personalia müssen aber stets vertraulich behandelt werden. Insofern ist davon abzuraten, Abstimmungsverhalten und Stellungnahmen anderer Aufsichtsratsmitglieder oder sonstige persönliche Äußerungen, die nur für den Aufsichtsrat bestimmt sind, an den Betriebsrat oder die Belegschaft zu berichten. Über das eigene Verhalten in der Diskussion - auch in Absprache mit den anderen Arbeitnehmervertretern - hingegen könnte durchaus informiert werden.

Allgemein Bekanntes - wie zum Beispiel nach Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung - kann naturgemäß nicht mehr geheimhaltungsbedürftig sein, auch wenn es im Aufsichtsrat erörtert wurde. Dies gilt auch für Informationen, die dem Inter- oder Intranet oder der Wirtschaftspresse zu entnehmen sind. Unbestätigte Gerüchte sind demgegenüber schon dem Wort nach nicht allgemein bekannt.

Das Aufsichtsratsmitglied muss sich vor Weitergabe von Informationen immer fragen, ob für das Unternehmen ein (objektives) Geheimhaltungsinteresse besteht. Das ist insbesondere der Fall, wenn dem Unternehmen ein Schaden entstehen kann, etwa durch Rufschädigung. Bei Details zu Verkaufs- oder Übernahmeverhandlungen, in denen in der Regel zudem vorvertraglich Vertraulichkeit vereinbart wird, liegt dies auf der Hand. Besondere Sensibilität ist auch bei börsenrelevanten Insidertatsachen vor der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung gefragt, beispielsweise im Zusammenhang mit der Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern. Aufsichtsratsmitglieder sind jedoch nach wie vor nicht daran gehindert, externe Sachverständige - auch den gewerkschaftlichen Betreuer und Experten - unter Verpflichtung auf die Vertraulichkeit als Berater hinzuzuziehen, soweit dies für ihre Aufgabe erforderlich ist.

WECHSELWIRKUNG DES INFORMATIONSFLUSSES_ Für die praktische Aufsichtsratsarbeit bietet sich an, im Rahmen der Nachbesprechung der Aufsichtsratssitzung auch über Fragen der Vertraulichkeit zu diskutieren, wenn die Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen vorbereitet wird. Dies wird gerade in den Unternehmen wichtig sein, in denen mit Verweis auf die BAG-Rechtsprechung zur Verschwiegenheit die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unter Druck gesetzt werden.

Für die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und den betrieblichen Interessenvertretungsorganen sollte nach der Entscheidung des BAG verstärkt beachtet werden, dass jedenfalls zwischen einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern keine Verschwiegenheitsverpflichtungen bestehen. Das gilt auch für Mitglieder einzelner Ausschüsse. Zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Aufsichtsräte in einem Konzern wird das Konzerninteresse oftmals gegen eine Geheimhaltungspflicht sprechen.
Bei der Aufstellung von Kandidatenlisten für den Aufsichtsrat wird das Prinzip der Verschränkung noch wichtiger als bisher: So sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass dem Aufsichtsrat auch Mitglieder des Wirtschaftsausschusses angehören, die durch gezielte Nachfragen im Wirtschaftsausschuss noch nicht kommunizierte Informationen erhalten können.

Genau hier liegt auch eine Wechselwirkung des Informationsflusses, die das BAG nicht gewürdigt hat: Mit Ausnahme von Personalfragen, langfristigen strategischen Entscheidungen oder Vorverhandlungen für Zu- oder Verkäufe sind kaum Informationen denkbar, die der Aufsichtsrat, nicht aber der Wirtschaftsausschuss erörtern soll. Da der Wirtschaftsausschuss die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens ebenso wie anstehende Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer bewerten soll, ist seine rechtzeitige und umfassende Information erforderlich. In Zukunft wird es daher noch bedeutsamer sein, diese rechtzeitige Information durch den Arbeitgeber einzufordern, statt auf die mehr oder weniger geduldete Weitergabe der Informationen aus dem Aufsichtsrat zu bauen.

Die Informationen der Wirtschaftsausschüsse gehen unter Umständen über die Kenntnisse der Aufsichtsratsmitglieder hinaus. Sie können mit ihnen aber umfassend diskutiert werden, denn eine Verschwiegenheitsbarriere besteht in dieser Richtung nicht. Die vom BAG ausdrücklich offengelassene Frage, ob für die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber betrieblichen Gremien eine Ausnahme in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber seinerseits Informationspflichten nach der Betriebsverfassung gravierend verletzt, stellt sich dann erst gar nicht.


INSIDERRECHT

Besonderheiten für börsennotierte Gesellschaften

Geheimhaltungsbedürftige Tatsachen unterliegen in allen Unternehmen der Verschwiegenheitspflicht, aber bei börsennotierten Gesellschaften ist zusätzlich besondere Sensibilität bei der Behandlung von Informationen anzuraten. Zumal das Insiderrecht mit § 14 Abs.?1 Nr. 2 WpHG ausdrücklich und strafbewährt jede unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen verbietet. Daraus folgt die dringende Empfehlung an die Aufsichtsräte, sorgfältig zu prüfen, wem sie Insiderinformationen befugt mitteilen oder zugänglich machen dürfen. Die Finanzaufsicht BaFin erläutert dazu, dass die Weitergabe von Insiderinformationen an unternehmensexterne Berater wie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Ratingagenturen keine unbefugte Weitergabe darstellt, wenn die Information von diesen Personen tatsächlich für die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben benötigt wird.

Der EuGH urteilte 2006 in einer viel kritisierten Entscheidung in einem dänischen Fall (Grongaard und Bang) über die Weitergabe einer Information durch einen Arbeitnehmervertreter im Unternehmensorgan an den Gewerkschaftsvorsitzenden, der wiederum seine Mitarbeiter einbezog: Der Informationsaustausch sei zulässig, wenn er für die Arbeit, den Beruf oder die Aufgaben des Aufsichtsratsmitglieds unerlässlich sei. Der Oberste Gerichtshof Dänemarks legte dieses (zu) enge juristische Kriterium der Unerlässlichkeit 2009 pragmatisch aus: Der Arbeitnehmervertreter "hat grundsätzlich die Möglichkeit, Fragen zu einer Fusion, die für die Beschäftigten von wesentlicher Bedeutung sind, mit dem Vorsitzenden seiner gewerkschaftlichen Organisation zu besprechen". Dies sei Bestandteil der Funktion eines von den Mitarbeitern gewählten Mitglieds des Aufsichtsrats.

 

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