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Auf Kosten der Schwächsten Magazin Mitbestimmung

Energiekrise: Auf Kosten der Schwächsten

Ausgabe 06/2022

Deutschland geht weltweit auf Einkaufstour nach Gas und Kohle – als Ersatz für die Lieferungen aus Russland. Das bleibt nicht folgenlos. Eine Spurensuche in Bangladesch, Südafrika und Kolumbien. Von Kay Meiners und Andreas Molitor

So unterschiedlich können Energiesparmaßnahmen sein: In Deutschland sind die Haushalte jetzt aufgerufen, die Heizung nicht den ganzen Tag über laufen zu lassen und die Raumtemperatur in den Büros öffentlicher Gebäude auf 19 Grad zu beschränken. Dagegen helfen dicke Socken und ein warmer Pulli. In Bangladesch wiederum mussten Anfang Oktober 130 Millionen Menschen einen halben Tag lang ohne Elektrizität auskommen. Mit Ausnahme einiger Teile im Nordwesten lag das gesamte Land im Blackout, nachdem als „Sparmaßnahme“ die meisten Kraftwerke des Landes abgeschaltet worden waren.

Es war nicht der erste Blackout oder Brownout in diesem Jahr. Bereits mehrfach standen Fabriken still, das Internet fiel aus, Einkaufszentren und Märkte mussten auf Anordnung der Behörden schließen, und die Moscheen wurden angewiesen, die Klima­anlagen nur während der fünf täglichen Gebete laufen zu lassen.

Auf der Suche nach den Ursachen landet man ziemlich schnell bei den großen Flüssiggastankern, die Bangladeschs Kraftwerke mit Brennstoff versorgen. Das Land bestreitet fast drei Viertel seiner Stromerzeugung mit gasbefeuerten Kraftwerken. Doch seit dem Ausbruch des Ukraine-kriegs können die Energieversorger sich das Gas nicht mehr leisten. Die Europäer, allen voran Deutschland, decken sich in den USA, in Katar und Australien mit Flüssiggas ein, um die Ausfälle bei den Erdgaslieferungen aus Russland halbwegs zu kompensieren – zu nahezu jedem Preis.

Die meisten Länder des Südens können da nicht mehr mithalten. Jene Flüssiggastanker, die bislang Pakistan, Bangladesch, Myanmar oder Indien ansteuerten, begeben sich nun auf den Weg nach Europa. Selbst Schiffe, die bereits unterwegs Richtung Südasien waren, machten kurzerhand kehrt und nahmen Kurs auf Europa. Und die Schwellenländer stehen im Dunkeln. „Die Mengen nehmen wir natürlich auf dem Weltmarkt jemand anderem weg“, sagte Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, kürzlich in der Talkshow von Markus Lanz. „Es ist in mehrfacher Hinsicht ein furchtbares Dilemma.“

Afrikanische Kohle für Deutschland

Südafrika könnte ein blühendes Land mit einer stabilen Energieversorgung sein. Doch die Realität sieht anders aus. Politische Versäumnisse, Armut und jetzt die Energiekrise bilden eine schwierige Melange. Noch werden rund 85 Prozent des Stroms mit heimischer Kohle erzeugt. „Doch die südafrikanische Kohleinfrastruktur ist veraltet und steht kurz vor dem Zusammenbruch“, sagt Lebogang Mulaisi, eine junge Ökonomin, die die Politikabteilung des Gewerkschaftsbunds Cosatu leitet. Es gehört zum Alltag, dass die Versorger die Stromversorgung stundenlang kappen.

 Erst im letzten Jahr ging das Kraftwerk Medupi, einer der weltgrößten Kohlenmeiler, neu ans Netz, geschätzte Lebensdauer 50 Jahre. Doch das Land will weg von der schmutzigen Kohle. „Es gibt einen Konsens für den Aufbau einer neuen Infrastruktur zugunsten erneuerbarer Energiequellen“, sagt Mulaisi. Experten bescheinigen dem Land ein großes Potenzial für erneuerbare Energien: Solarenergie, Wind, dazu jede Menge Rohstoffe. Doch bislang hängt Südafrika bei der Entwicklung der regenerativen Ener­gien noch zurück. Ihr Anteil an der Gesamtenergieerzeugung liegt bei nur rund 11 Prozent. Auf der Weltklimakonferenz wurden Südafrika deshalb Milliarden für die Energiewende versprochen.

Auch Deutschland hilft mit Hunderten Millionen aus Steuergeldern. Doch zugleich kaufen deutsche Kraftwerksbetreiber an südafrikanischer Steinkohle, was zu kriegen ist. „Den Widerspruch, einen kohlenstoffarmen Übergang zu predigen, aber in Krisen ebenfalls auf Kohle zu setzen, nehmen wir zur Kenntnis“, sagt die Cosatu-Ökonomin Mulaisi. Und fügt trotzig hinzu. „Aber das hält den Übergang in Südafrika nicht auf.“

Tatächlich tut sich das Land schwer mit Veränderungen. Die ANC-Regierung hat es heruntergewirtschaftet, Corona letzte Reserven aufgezehrt. Und jetzt kommt die Inflation hinzu. Uta Dirksen, die Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Johannesburg, berichtet von „wachsenden Spannungen“ und „gewaltsamen lokalen Protesten“ im Land.

Im September kletterte die Inflation auf 7,5 Prozent, den höchsten Wert seit zehn Jahren. Das klingt nicht bedrohlich, kann aber wirken wie Dynamit. Denn je nach Warenkorb kann sich die offizielle Inflation beim Einkauf vervielfachen. „Am stärksten ist der Preisanstieg bei Lebensmitteln, und hier vor allem bei Speiseöl und Weizenprodukten“, sagt Lebogang Mulaisi. Mit enormen Folgen für arme Familien, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Südafrika muss einen erheblichen Teil seiner Grundnahrungsmittel importieren; beim Weizen ist es die Hälfte. Die zwei wichtigsten Importländer waren im Jahr 2020 Polen und Russland – gefolgt von Deutschland. Weizen gegen Steinkohle, so sieht ein Teil unserer Handelsbilanz mit dem Kap aus.

Cosatu bildet mit dem regierenden ANC und der kommunistischen Partei SACP eine fragile politische Allianz. Dennoch hat sich Cosatu jetzt an die Spitze der landesweiten Proteste gegen die Inflation und die Regierung gesetzt. Die Forderungen reichen von Hilfen für das staatliche Stromunternehmen ­ESKOM mit rund 40 000 Beschäftigten sowie für die Eisenbahnunternehmen Transnet und Metro­rail, die teilweise ebenfalls in Staatsbesitz sind, Unterstützung für lokal produzierte Waren, Investitionen in die Infrastruktur bis zu einem tragfähigen Benzinpreissystem. Die Proteste, sagt die Cosatu-Ökonomin, hätten zu etwas niedrigeren Benzinpreisen und Verbesserungen im Nahverkehr geführt.

Den russischen Angriffskrieg würde kaum jemand in Südafrika beachten, gäbe es nicht die Inflation. Gerade so, wie sich auch die Europäer um Kriege auf dem afrikanischen Kontinent kaum gekümmert haben. Die ANC-Regierung ist in dieser Frage kein einfacher Partner für den Westen. Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Mai nach Südafrika reiste, traten die Differenzen zwischen ihm und Regierungschef Cyril Ramaphosa, der selbst aus der Gewerkschaftsbewegung stammt, offen zutage: Während Scholz den Überfall auf die Ukraine scharf verurteilte und die Sanktionen rechtfertigte, kritisierte Ramaphosa die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen.

Das kolumbianische Monster

Es ist erst ein paar Monate her, da sah Igor Diaz einen Lichtstreif am Horizont. Der Präsident der kolumbianischen Bergarbeitergewerkschaft Sintracarbón hatte erfahren, dass der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, Herr über den im Norden des Landes gelegenen Steinkohletagebau El Cerrejón, das Bergwerk erheblich erweitern wolle. Die größte Kohlegrube Lateinamerikas ist mit über 10 000 Beschäftigten der mit Abstand wichtigste Arbeitgeber der Region. Auf einmal war Kohle aus Kolumbien im westlichen Ausland, besonders in Europa, sehr begehrt. Sie sollte aus dem Versorgungsengpass helfen, der nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs durch das Kohleembargo gegen Russland entstanden war. „Die letzten Jahre war es nur bergab gegangen“, sagt Igor Diaz. „El Cerrejón hat immer mehr Bergleute entlassen, weil die Nachfrage für die Kohle zurückgegangen war.“

Eine Nachricht aus Deutschland hatte die Hoffnung des Gewerkschaftsführers zusätzlich genährt: Anfang April rief Bundeskanzler Olaf Scholz beim – inzwischen abgewählten – kolumbianischen Staatschef Iván Duque an und vereinbarte mit ihm eine Erhöhung der Kohlenimporte. Schon im ersten Halbjahr 2022 war mit 2,1 Millionen Tonnen fast so viel Kohle aus Kolumbien nach Deutschland verschifft worden wie im gesamten Vorjahr. Im zweiten Halbjahr dürfte noch deutlich mehr kolumbianische Kohle in deutschen Kraftwerken verheizt worden sein. Schließlich sind etliche eingemottete Steinkohle-Kraftwerksblöcke wieder ans Netz gegangen.

Die Kritik an dem Kohledeal folgte prompt. Sie entzündet sich vor allem an den sozialen und ökologischen Folgen des Kohleabbaus. Insbesondere der Tagebau El Cerrejón, aus dem ein Großteil der für Deutschland bestimmten Kohle stammt, steht wegen der Luftverschmutzung durch Kohlenstaub und der Zerstörung von Landschaft und Flüssen in denkbar schlechtem Ruf.

Leidtragende des Tagebaus, von den lokalen Einwohnern „das Monster“ genannt, ist vor allem die indigene Bevölkerung. Immer wieder werden Flussläufe für das Bergwerk verlegt, die Gewässer trocknen aus oder das Wasser ist nicht mehr trinkbar. Ganze indigene Gemeinden mussten wegen des Kohleabbaus ihre Heimat verlassen oder wurden schlichtweg vertrieben. Die internationale Gemeinschaft, sagt Laura Brito, die Anführerin der in der Kohleregion beheimateten Wayuu-Indigenen, „sollte darüber nachdenken, woher die Kohle kommt, mit der ihre Häuser beleuchtet und geheizt werden“.

Die im August gewählte, von dem Sozialisten Gustavo Petro geführte neue Regierung will eigentlich weg von der Kohle und steckt, ähnlich wie die Bundesregierung, in einem moralischen Dilemma. Darf man zur Sicherung der Energieversorgung auf „blutige Kohle“ setzen, weil Wladimir Putin in der Ukraine einen blutigen Krieg führt? Das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium erklärt schmallippig, beim Import von Rohstoffen würden „weiterhin humanitäre Erwägungen und ökologische Auswirkungen beachtet“. Igor Diaz’ Hoffnungen auf neue Jobs für die Bergarbeiter haben sich bislang nicht erfüllt. „Trotz der gestiegenen Nachfrage nach kolumbianischer Kohle wurden weiterhin Arbeitnehmer entlassen“, berichtet der Gewerkschaftspräsident von Sintracarbón ernüchtert. „Viele Gemeinden, die vom Bergbau abhängen, stehen vor dem Nichts.“

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