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Wenckenbach Magazin Mitbestimmung

Betriebsverfassung: Arbeitsrecht auf das Level der Digitalisierung heben

Ausgabe 04/2021

Ökologische Transformation und Digitalisierung werden die Arbeitswelt rasant verändern. Das Arbeitsrecht muss an diese Veränderungen angepasst werden. Von Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung

Schon die letzte Bundesregierung hatte sich die Stärkung der Tarifbindung auf die Fahnen geschrieben, doch die Zahl tarifgebundener Unternehmen sinkt weiter. Tarifautonomie ist kein Selbstzweck, sondern ein Grundrecht und die Säule der sozialen Marktwirtschaft, die gerade in Umbruchzeiten von enormer Bedeutung ist. Ein sozial gerechter Übergang kann nur mit einer demokratisch mitbestimmten Wirtschaft gelingen. Der rechtliche Rahmen für die Tarifvertragsparteien und Gewerkschaften muss dafür gestärkt werden. Die Interessen der Beschäftigten dürfen nicht unter den Tisch fallen, wenn sich die Rahmenbedingungen von Arbeitswelt und Wirtschaft im Zuge der digitalen und ökologischen Transformation rasant verändern.

Zur Stärkung der Mitbestimmung ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz ein erster, wenn auch kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber um die Mitbestimmung wirksam auf das Level von digitalisierten, global agierenden Unternehmen zu heben, braucht es eine Reihe weiterer Schritte. Die Transformation macht mehr Mitbestimmung in vielen Bereichen nötig – von der Personalplanung bis zur Einführung digitaler Technologien wie künstlicher Intelligenz.

Auf europäischer Ebene wird an einem rechtlichen Rahmen für den Einsatz algorithmischer Systeme und künstlicher Intelligenz gearbeitet. Dies wird die Arbeitswelt technisch und rechtlich verändern; der Entwurf der Verordnung denkt Tarifverträge, Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte bisher nicht ausreichend mit.

Es ist, anders als zum Teil suggeriert wird, kein Automatismus, dass die Digitalisierung und neue Arbeitsformen die Arbeit besser machen. Viele Entwicklungen bergen Gefahren für die Qualität und den Wert von Arbeit und das Risiko, Beschäftigte in unsichere Arbeitsverhältnisse zu drängen. Nicht alle Parteien haben den Willen dazu, dem zu begegnen.

Die Pandemie hat in verschiedenen Branchen offengelegt, wo das Arbeitsrecht hinterherhinkt. In den Blick genommen werden müssen nicht nur das Gesundheitswesen und die Pflege oder die Fleischindustrie, wo das Arbeitsschutzkon­trollgesetz aufgrund von Verfassungsbeschwerden gegen das Verbot von Leiharbeit noch nicht in trockenen Tüchern ist. Auch bei neuen Arbeitsformen muss die Bundesregierung nachbessern: Scheinselbstständigkeit muss eingegrenzt und Soloselbstständige müssen besser abgesichert werden. Hierzu gehört auch, Selbstständigen mit wenig wirtschaftlicher Freiheit Tarifverhandlungen rechtssicher zu ermöglichen. Das trifft besonders auf die Plattformökonomie zu.

Schutz darf nicht aufgeweicht werden

Auch in Sachen Geschlechtergleichstellung muss die zukünftige Bundesregierung einige Fragen anpacken, wenn es endlich echten Fortschritt geben soll. Neue Arbeitsformen wie mobile Arbeit beseitigen nicht automatisch diskriminierende Strukturen. Sie müssen entsprechend gestaltet werden. Dazu gehört gerade nicht, den Schutz des Arbeitszeitgesetzes aufzuweichen, wie zum Teil gefordert wird. Arbeitszeit muss vielmehr so gestaltet werden, dass sie den Beschäftigten mehr Autonomie ermöglicht, echte Vereinbarkeit. Und solange es wesentliche rechtliche Anreize für eine „Versorgerehe“ und zu wenige für eine gleichberechtigte Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit gibt, werden sich Lücken wie beim Entgelt und der Rente zulasten der Frauen nicht schließen.

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