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Magazin Mitbestimmung

: 'Kriminalisierung aller sozialen Bewegungen'

Ausgabe 01+02/2006

Kein Land der Welt ist für Gewerkschafter so gefährlich wie Kolumbien. Die Eskalation der Gewalt hat nicht nur mit Drogenhandel und Entführungen zu tun. Es geht um Raub und Vertreibung - zum Nutzen der Großgrundbesitzer.


Von Frank Braßel
Der Autor ist seit September 2005 als Fachkraft des Evangelischen Entwicklungsdienstes (eed) in einem Projekt zu Agrarpolitik und Agrarforschung in Ecuador tätig. Zuvor hat er mit Manfred Brinkmann vom DGB eine Kolumbienbroschüre herausgegeben.


In Arauca, einer Grenzprovinz zwischen Kolumbien und Venezuela wurden am Morgen des 5. August 2004 drei regionale Gewerkschaftsführer aus dem Schlaf gerissen, vors Haus gezerrt und mit gezielten Schüssen ermordet. "Die drei waren Kriminelle, die ihr Leben im Gefecht verloren", verkündete Kolumbiens Verteidigungsminister und wollte damit die Gewerkschafter als Guerillamitglieder abstempeln. Gestellte Fotos und gezielte Falschinformationen der Armee sollten dies untermauern.

Doch Recherchen unabhängiger Menschenrechtsorganisationen widerlegten den staatlichen Betrugsversuch. Die Staatsanwaltschaft musste schließlich Anklage gegen drei Soldaten wegen einer "extralegalen Hinrichtung" erheben. Ein erster Schritt, doch die Hintermänner werden wie so oft straffrei bleiben. So steht es im aktuellen Jahresbericht der nationalen Gewerkschaftsschule "Escuela Nacional Sindical" (ENS), der mit Unterstützung der Europäischen Union entstand.

Die Mörder werden nicht bestraft

Kein Land auf der Welt ist für Gewerkschafter so gefährlich wie Kolumbien. Der autoritäre kolumbianische Präsident Alvaro Uribe bemüht sich zwar um ein Image des Saubermanns, die Zahlen über Menschenrechtsverletzungen weisen aber wieder nach oben. Das gilt auch für die gewerkschaftlichen Rechte. Mindestens 94 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden in dem Andenstaat 2004 ermordet. "Es handelt sich keineswegs um eine diffuse und unkontrollierte Gewalt, wie vielfach behauptet wird", analysiert die Gewerkschaftsschule ENS. "Sondern es handelt sich um eine Krise, die durch systematische, kontinuierliche und gezielte Verletzungen der Menschenrechte der kolumbianischen Arbeiter charakterisiert ist."

Nach der ENS-Statistik wurden seit 1992 mindestens 1981 gewerkschaftlich Organisierte ermordet; in nur 40 Fällen haben laut Regierungsangaben die Gerichte Verfahren angestrengt. Das bedeutet: 98 Prozent aller Morde an Gewerkschaftern in Kolumbien bleiben garantiert straffrei.

Hinter den Zahlen verbergen sich Menschen: Eberto Diaz Montes ist schmal und blass. Der Vorsitzende der Landarbeitergewerkschaft FENSUAGRO hat die vergangenen Jahre in permanenter Bedrohung und Lebensgefahr verbracht. In einem dramatischen Appell wandte sich FENSUAGRO im März 2005 an die internationale Öffentlichkeit, um auf die "politische Verfolgung und physische Eliminierung unserer Gewerkschaft" hinzuweisen.

"Seit Jahresende 2004 werden wir vom ‚Bloque Capital‘, der paramilitärischen Organisation in der Hauptstadt, offen bedroht", erläutert Eberto Diaz. "Die Regierung hat auf unsere entsprechende Strafanzeige nicht reagiert, sie steht ja in so genannten Friedensverhandlungen mit den Paramilitärs." Besorgt ist der Gewerkschafter, dass gleichzeitig das staatliche Schutzprogramm für gefährdete Personen geändert wurde. "Früher durften wir Leibwächter unseres Vertrauens beauftragen, nun schickt uns der Geheimdienst unbekannte Leute. Dies ist für uns zu risikant."

Die kolumbianische Landarbeitergewerkschaft FENSUAGRO ist - nach der Lehrergewerkschaft FECODE - am stärksten von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Besonders beunruhigt zeigt sich die ENS über die willkürlichen Verhaftungen von FENSUAGRO-Mitgliedern. Und darüber, wie diese zunehmen.

 "Wir beklagen eine Kriminalisierung aller sozialen Bewegungen. Aktivisten der Basisbewegungen werden der Subversion angeklagt, kommen für sechs oder zwölf Monate in Haft, werden dann freigesprochen, können aber nicht mehr in ihre Heimat zurück, da sie als Guerilla-Unterstützer gebrandmarkt sind. Wer die Guerilla unterstützt, das kommt in Regionen mit starker paramilitärischer Präsenz einem Todesurteil gleich", analysiert Luis Enrique Rojas von der Menschenrechtsorganisation CODHES. Während die meisten Morde von paramilitärischen Todesschwadronen verübt werden, trägt die Regierung Verantwortung für die aktuelle Welle willkürlicher Verhaftungen von Gewerkschaftern.

Die Großgrundbesitzer bereichern sich

Der seit 50 Jahren andauernde, gewaltsame Konflikt in Kolumbien wird meist nur im Licht von Drogenhandel und Entführungen dargestellt. Diese Sicht greift aber zu kurz. Eine dauerhafte Lösung des gesellschaftlichen Konflikts - des bewaffneten wie des zivilen - in Kolumbien ist ohne ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit undenkbar. Das gilt insbesondere für die Agrarfrage. Die kolonial geprägte Unrechtssituation hat sich in jüngster Zeit noch zugespitzt.

Heute kontrollieren nur 0,4 Prozent der Landbesitzer mehr als 60 Prozent der Böden, ihr Landbesitz hat sich seit 1984 verdoppelt. Umgekehrt sind 57 Prozent der Kleinbauern auf weniger als zwei Prozent der Landfläche zurückgedrängt. Dies hat dazu geführt, dass kaum mehr fünf Millionen Hektar für die Agrarproduktion genutzt werden, aber bis zu 30 Millionen Hektar für die extensive Viehzucht. Ökonomisch macht dies kaum Sinn.

Es dient allein dem auf Viehzucht spezialisierten Großgrundbesitzer. Er ist der Prototyp des lokal beherrschenden und national einflussreichen Elitevertreters. Er dominiert das traditionelle Parteiensystem, investiert inzwischen auch in Immobilien, Erdölfirmen oder Plantagen und kooperiert mit internationalen Unternehmen. Er bleibt aber seiner lokalen Machtbasis verbunden, so dass jeder, der sich ihm potenziell entgegenstellen könnte, als Feind eliminiert werden muss.

Daraus erklärt sich die brutale Verfolgung von Bauernorganisationen in Kolumbien. Einst starke Gruppen wie der Bauernverband ANUC-UR, FENSUAGRO und die Frauenorganisation AMUCIC sind in ihren Lokalstrukturen weitgehend zerschlagen.

Wo einerseits das soziale Unrecht fortbesteht, andererseits legale Protestmöglichkeiten versperrt sind, bietet die Guerilla eine reale Alternative für viele Menschen. So ist denn auch die FARC-Guerilla die einzige Bewegung, die im vergangenen Jahrzehnt einen Auftrieb zu verzeichnen hatte. Trotz US-Militärhilfe und obwohl sich Hunderte von US-Militärberatern in Kolumbien aufhalten, ist die FARC immer noch die älteste und größte Guerillagruppe Lateinamerikas - mit geschätzten 20000 Kämpfern und modernen Waffen.

Der FARC werden eine Vielzahl an Verletzungen des humanitären Völkerrechts vorgeworfen, auch gegenüber den Gewerkschaften. Doch die Kriegsstrategie von Präsident Uribe, die zahllose unschuldige Opfer unter der Zivilbevölkerung fordert, erleichtert es der FARC, nicht nur immer neue Kämpfer zu organisieren, sondern auch in ihrer militaristischen Strategie zu verharren, ohne politische Lösungsmöglichkeiten in die öffentliche Debatte zu bringen.

"Friedensverhandlungen" mit Paramilitärs

Während Präsident Uribe Gespräche mit der Guerilla ablehnt, führt seine Regierung bereits seit Juli 2003 "Friedensverhandlungen" mit den rechten paramilitärischen Verbänden. Diese waren von Großgrundbesitzern seit den 80er Jahre aufgebaut worden, um sich gegen legale Bauernbewegungen und Landarbeitergewerkschaften zu schützen. Sie kooperieren vielfach mit den staatlichen Streitkräften in der Aufstandsbekämpfung und kontrollieren einen Großteil des Drogenhandels. Auch Unternehmen bedienen sich dieser Todesschwadrone, um unliebsame Gewerkschafter ausschalten zu lassen.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat Mitte Mai 2005 bei ihrem Besuch in Kolumbien darauf hingewiesen, dass die Demobilisierung der bis zu 20000 Paramilitärs nur gelingen kann, wenn es eine Wiedergutmachung gibt und eine wahrhafte Aufarbeitung der Vergangenheit. "Wenn sie die Wahrheit wollen, werden in diesen Geschichten einen ganze Reihe an Persönlichkeiten mit nationaler Reputation auftauchen", drohte daraufhin Para-Führer Ernesto Báez. Das mag der Präsident nicht gern hören, der während seiner Zeit als Gouverneur paramilitärische Verbände unterstützt hatte.

Doppelt wichtig ist der Aspekt der Wiedergutmachung. "Die Paramilitärs und ihre zivilen Verbündeten haben im Laufe der Jahrzehnte durch Raub, Vertreibung, Enteignung, große Mengen Land und anderer materieller Ressourcen in Besitz genommen", erläutert der deutsche Kolumbienexperte Dr. Rainer Huhle. "Ein Friedensprozess, der diese illegalen Aneignungen nicht rückgängig macht oder ihnen gar noch eine festere legale Absicherung verschafft, verstößt nicht nur gegen fundamentale Opferrechte. Er legt auch den Grundstein für ein letztliches Scheitern des Prozesses und ein Wiederaufflammen des bewaffneten Konflikts."

Keine rosigen Zeiten für Blumen-Gewerkschafterinnen

Die Menschenrechtssituation in Kolumbien ist komplex und dramatisch. Doch haben sich in jüngster Zeit bezüglich der Gewerkschaftssituation einige positive Ansätze entwickelt. So hat die internationale Arbeitsorganisation ILO sich - nach langen Jahren bloß papierener Resolutionen - entschlossen, im Oktober 2005 eine Beobachtermission nach Kolumbien zu entsenden, um den zahllosen Klagen über Verletzungen des Rechts auf Vereinigungsfreiheit nachzugehen.

Und in Kolumbien entstehen neue gewerkschaftliche Basisinitiativen - vor allem in der Blumenindustrie, wo 500 Unternehmen Rosen, Nelken und andere Schnittblumen für den Weltmarkt produzieren. Die Exporterlöse betrugen im vergangenen Jahr mehr als 700 Millionen US-Dollar. Damit ist der Andenstaat der nach Holland zweitwichtigste Blumenexporteur.

In der Hochebene rund um die kolumbianische Hauptstadt Bogotá mehren sich in den riesigen Blumenplantagen die Arbeitskonflikte. Frauen besetzen zwei Drittel der 75000 Arbeitsplätze in den Blumenplantagen. "Viele sind allein erziehende Mütter und besonders von der miserablen Bezahlung und den unangekündigten Überstunden betroffen", erläutert Beatriz Fuentes, Vorsitzende einer Betriebsgewerkschaft. Sie und ihre Kolleginnen haben sich der kleinen Branchengewerkschaft Untraflores angeschlossen.

Deren Vorsitzende ist Aide Silva, und ihr Arbeitsplatz ist die Farm Benilda, der wichtigste kolumbianische Lieferant für den deutschen Markt. Seit Silva vor vier Jahren die erste unabhängige Gewerkschaft in dem Sektor aufbaute, sind auf der Farm 20 Arbeiterinnen wegen Gewerkschaftstätigkeit entlassen worden; die verbliebenen müssen empfindliche Lohnkürzungen hinnehmen.

"Es grenzt an ein Wunder, dass es unsere Gewerkschaft noch gibt und sich nun Frauen aus anderen Betrieben anschließen. Ohne die breite internationale Unterstützung wäre unsere Organisation vermutlich schon zerschlagen worden", sagt Aide Silva, die im Oktober 2003 auf Einladung des DGB und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Deutschland und Österreich war.

Um den 1. Mai herum wird sie mit drei Kolleginnen erneut nach Deutschland kommen, um auf die Arbeitbedingungen der Blumenarbeiterinnen aufmerksam zu machen. Die internationale Unterstützung läuft, Kolumbien ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Nord-Südnetzwerkes des DGB. Beim Besuch von DGB-Chef Michael Sommer im April 2005 in Kolumbien waren Kooperationsprojekte mit dem kolumbianischen Dachverband CUT, der Gewerkschaftsschule ENS und der Branchengewerkschaft Untraflores beschlossen worden.

Derzeit entsteht aus dem Gewerkschaftssektor heraus eine neue fortschrittliche politische Bewegung, die das elitäre Zweiparteiensystem aufbrechen könnte. Bei den letzten Kommunalwahlen wurde der ehemalige Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes CUT Luis Eduardo Garzón zum Bürgermeister von Bogotá gewählt.

 


Spenden helfen
Das Kolumbienprojekt des gemeinnützigen DGB Bildungswerkes e.V. finanziert sich vor allem aus Projektmitteln und Spenden: Wer die Gewerkschafter/-innen unterstützen will - hier die Kontonummern:
Nord-Süd-Netz Projekte,
SEB Bank Düsseldorf
BLZ 300 101 11,
Konto Nr. 101 600 93 00

 


Zum Weiterlesen
"Wo die Rosen blühen. Kolumbien zwischen Schmerz und Hoffnung", anschauliche Broschüre zur Gewerkschaftssituation, Juni 2003, 3 Euro.
Erhältlich beim DGB-Bildungswerk in Düsseldorf, Telefon 0211/4301-258.
E-Mail: nord-sued-netz@dgbbildungswerk.de


 

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