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Magazin Mitbestimmung

: 'Ich will auf Augenhöhe verhandeln'

Ausgabe 01+02/2007

Viele Betriebsräte haben gelernt, die Interessen ihrer Kollegen auch in schwierigen Lagen gut zu vertreten. Doch manchmal fehlt es an Angeboten für eine systematische Weiterbildung. Neue berufsbegleitende Studiengänge sollen dies ändern.



Von Christoph Mulitze
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Düsseldorf.


Ralf Giesel ist sich der besonderen Situation bewusst. "Egal, wie das heute hier für uns ausgeht: Wir sind Erster, und das nimmt uns niemand mehr", beginnt er seinen Vortrag. Gelächter. Dann Schweigen. Für einen Moment hat sich die Spannung gelöst, die jeder Prüfung innewohnt, und allen 24 Teilnehmern scheint plötzlich klar zu sein: Dies ist ein bedeutender Tag an der Akademie der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Denn mit dem Beginn dieser dreitägigen Prüfungen im Dezember schließt der erste Jahrgang das weiterbildende Studium "Veränderungsmanagement" für Arbeitnehmervertreter ab.

Giesel und Hussin El Moussaoui sind freigestellte Betriebsräte der Industriepark Wolfgang GmbH in Hanau, einer Tochter der Degussa AG. In ihrer Prüfungspräsentation erläutern sie am Beispiel ihres Mutterkonzerns die Folgen des demografischen Wandels. Wie kann der Betriebsrat die Entwicklung mitgestalten, was hat er schon beigetragen, welche Betriebsvereinbarungen wurden getroffen und welche Schwierigkeiten hat es dabei gegeben?

Genau 15 Minuten haben die beiden für ihren Vortrag, anschließend müssen sie sich den Fragen der drei Prüfer stellen: Heinrich Wottawa, Professor an der Fakultät für Psychologie der RUB und wissenschaftlicher Leiter des Studiums, Corinna Kaesler von der Akademie der RUB und Betriebsratberater Thorsten Halm (m5-consulting, Bonn). Eine Diskussion mit den anderen Teilnehmern schließt diesen Prüfungsteil ab, sie fließt allerdings nicht in die Bewertung ein.

Denn Wottawa, Halm und Kaesler haben schon den Raum verlassen, diskutieren draußen die Präsentation des ersten Abschlussprojektes des ersten Kurses. Jeder der Prüfer gibt anschließend eine kurze Beurteilung ab. Fazit: Giesel und El Moussaoui haben mit großem Lob bestanden und dabei die Messlatte für die anderen Teilnehmer hoch gelegt.

"Ich wollte etwas über Verhaltensstrukturen in Verhandlungen kennen lernen und verstehen, warum Leute dort gerade so und nicht anders reagieren", sagt Ralf Giesel über sein Hauptmotiv, den Weiterbildungsstudiengang belegt zu haben. Hussin El Moussaoui: "Ich will mit dem Verhandlungspartner auf einer Augenhöhe sprechen, verstehen und verhandeln.

Da habe ich mir von dem Qualifizierungsangebot viel versprochen." Was auch gehalten wurde, wie er betont. Eine Horizonterweiterung habe das Studium gebracht. "Die zweitägigen Unternehmensplanspiele haben mir die Zwänge, in denen der Arbeitgeber steckt, näher gebracht. Es fällt mir jetzt leichter, mich in den Verhandlungspartner hineinzuversetzen, weil ich besser verstehe, wie er denkt", so Giesel. Beide erwähnen, dass auch ihr Selbstbild als Betriebsrat jetzt klarer konturiert ist.

Veränderungsmanagement

Das berufsbegleitende Weiterbildungsangebot an der Akademie der RUB qualifiziert Arbeitnehmervertreter für Führungsaufgaben in Veränderungsprozessen. "Die Anforderungen an Betriebsratsmitglieder haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Vielerorts sind sie Krisenmanager, müssen entsprechende Managementqualitäten mitbringen und mehr denn je ihre Gestaltungsmöglichkeiten optimal nutzen", erläutert Halm, der geistige Vater des Studienganges.

Das beginnt bei der betrieblichen Ausgestaltung der Spielräume, die Flächentarifverträge bieten, führt über rechtliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse bis hin zur Fähigkeit, Konflikte professionell zu bewältigen. Halm: "Die Teilnehmer entwickeln im Studium Qualitäten, die sie sich sonst im Betriebsratsalltag oft durch schmerzhafte Erfahrungen erarbeiten müssen." Der Betriebsrat sei in vielen großen Unternehmen die einzige Konstante im Wandel, so Halm weiter.

Geschäftsführer und Vorstände kommen und gehen, Betriebsräte bleiben - in der Regel mindestens für eine Legislaturperiode. Dadurch kennen die Arbeitnehmervertreter die internen Abläufe und die Organisation so gut wie kaum ein anderer, was eine gute Voraussetzung ist, um eine betriebliche Mitbestimmungsstrategie zu entwickeln und erfolgreich umzusetzen.

Dafür allerdings braucht der Betriebsrat Management-Know-how, das ihm das Weiterbildungsangebot vermittelt. In 18 Monaten durchlaufen die Teilnehmer fünf Lernmodule: Selbstmanagement, Kommunikations- und Konfliktmanagement, Projektmanagement, Unternehmensführung und Veränderungsmanagement. Dort erarbeiten sie Strategien und Lösungen für reale Probleme aus ihrem Betriebsratsalltag und lernen, wie sich diese umsetzen lassen.

Die Teilnehmer erhalten nach erfolgreichem Abschluss am Ende zwei Zertifikate: eins von der Akademie der RUB und eins von der Industrie- und Handelskammer ("Veränderungsmanagement IHK"). Und was bleibt nach der Zertifikatsverleihung? "Neben dem erworbenen Wissen erhoffe ich mir ein gut funktionierendes, bundesweites Netzwerk von Kompetenzträgern auf Betriebsratsebene", sagt Ralf Giesel.

Management und Partizipation

Auch die Universität Dortmund bietet ein von Gewerkschaftsseite angeregtes berufsbegleitendes Studium für Arbeitnehmervertreter an. Das Besondere: "Management und Partizipation" - so heißt das Programm - wendet sich sowohl an Betriebsräte, Personalräte und Führungskräfte, insbesondere der mittleren Ebene. "Bei uns lernen alle gemeinsam und voneinander", sagt Jörg Teichert, Geschäftsführender Leiter des Zentrums für Weiterbildung (ZfW) an der Universität Dortmund. Und das auf lockere Art: Denn natürlich duzen sich die Teilnehmer, und sie frotzeln gerne miteinander.

Teichert: "Taktierereien gibt es nicht. Interessant ist für alle, der Gegenseite mal ganz ungehemmt Fragen stellen zu können, die auch eigene Schwächen offenbaren, was im betrieblichen Alltag nicht möglich wäre. Da müsste jeder gleich Angst haben, dass die Schwäche bei nächster Gelegenheit ausgenutzt wird." Teichert sagt, dass sie am ZfW anfangs unschlüssig waren, ob das Konzept des gemeinsamen Lernens aufgeht. "Wir sind fast etwas erstaunt, wie kollegial die Teilnehmer untereinander sind. Oft ist in Diskussionen gar nicht zu erkennen, wer Betriebsrat und wer Führungskraft ist", so Teichert. Die Absolventen des zweiten Kurses seien nach den Prüfungen sogar alle in ein gemeinsames Abschluss-Wochenende gefahren.

Die Teilnehmer des Studiengangs sollen modernes Managementwissen erwerben, partizipationsorientierte Entscheidungsfindungen trainieren und lernen, betriebliche Prozesse zu gestalten. Dafür sind etwa 350 Unterrichtsstunden eingeplant, die sich auf anderthalb Jahre verteilen. Das Studium ist in 13 Module unterteilt - von Themen wie Personalmanagement, rechtliche Rahmenbedingungen von Management und Partizipation über Projektmanagement, Grundlagen der Unternehmensrechnung, Verhandlungs-, Konflikt- und Problemlösungstechniken sowie der Gestaltung von Arbeit und Technik bis zu den Grundlagen der Volkswirtschaftslehre. Wer verschiedene Leistungsnachweise erfolgreich erbringt, erhält ein Zertifikat der Universität Dortmund.

Maximal 30 Teilnehmer will die ZfW je Studium, davon mindestens ein Drittel Führungskräfte. "Wichtig ist uns, dass die Führungskräfte am Ende wissen: Führung heißt nicht, dass einer alleine bestimmt, wo es langgeht. Und dass andererseits die Arbeitnehmervertreter wissen, was gutes Management bedeutet", sagt Teichert. Denn ein guter Betriebsrat dürfe heutzutage nicht ideologisch eindimensional denken, sondern müsse sowohl die Mitarbeiterbelange berücksichtigen als auch den Unternehmenserfolg im Auge behalten.

Der Spagat zwischen den legitimen Interessen der Belegschaft und dem Machbaren aus der Sicht des Arbeitgebers erfordere höchste soziale und kommunikative Kompetenzen, um auf beide Seiten deeskalierend einwirken zu können. Teichert: "Der moderne Betriebsrat ist eine Art Co-Manager im ständigen Interessentenkonflikt."

Interessenvertretung als Berufung

Einen anderen Ansatz verfolgt die ver.di Bildung + Beratung Gemeinnützige GmbH (ver.di b+b). Das Qualifizierungsangebot "Interessenvertretung als Berufung" in Zusammenarbeit mit dem Institut für Weiterbildung e.V. der Universität Hamburg richtet sich speziell an Betriebsratsvorsitzende sowie freigestellte Betriebs- und Personalräte aus Finanzdienstleistungsunternehmen. "Betriebsräte aus der Branche, meistens langjährige Vorsitzende, haben uns immer wieder darauf hingewiesen, dass ihnen spezielle Angebote für ihre Funktion fehlen", sagt Anne Tenbruck, Leiterin des Berliner Büros bei ver.di b+b.

Die Betriebswirtin und langjährige Betriebsratsvorsitzende hat deshalb das Programm mitentwickelt - ein mehrjähriger Prozess. "Wir wollten systematischer an die Qualifizierungsangebote herangehen, längerfristig und fundiert", erläutert sie. Seit 2003 haben ver.di und ver.di b+b den Markt beobachtet und mit Zielgruppen gesprochen, die Reihe ausgearbeitet und mit der Uni Hamburg einen renommierten Kooperationspartner an Land gezogen, der den Abschluss zertifiziert. Im vergangenen Jahr schließlich starteten die ersten beiden Module.

Die Qualifizierungsreihe ist in fünf Kompetenzbereiche aufgebaut: "Veränderungsprozesse aktiv gestalten und begleiten", "Verhandeln und beraten", "Arbeitsorganisation und Arbeitstechniken", "Sich selbst und andere leiten", und "Rollenvielfalt und Rollenklarheit in der Funktion". In jedem Kompetenzbereich werden mehrere Module angeboten. Mindestens ein Modul muss belegt werden, wobei jedes Modul mindestens drei Tage dauert.
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Der Vorteil: Die Teilnehmer sind an keinen Zeitplan gebunden, sie können aus den Modulen pro Kompetenzbereich nach ihren individuellen Bedürfnissen auswählen. Um das Zertifikat zu erhalten, müssen die Teilnehmer zudem an einem Abschlussseminar teilnehmen und ein Praxisprojekt präsentieren.

Inhaltlich berücksichtigt auch das Qualifizierungsangebot von ver.di b+b die veränderte Rolle des Betriebsrates. "Interessenvertretung ist ein Beruf, der Handwerkszeug braucht. Und das mehr als je zuvor. Denn nie waren Betriebs- und Personalräte gestalterisch so gefragt wie heute. Darauf bereitet unser Angebot die Betriebs- und Personalräte vor", sagt Tenbruck. Die Zielgruppe hat das Angebot bereits dankend angenommen: Mehr als 40 Teilnehmer haben sich angemeldet. Über deren Motive hat sich Anne Tenbruck erkundigt. "Mein Eindruck ist, dass die meisten sich systematisch für die Führungsaufgabe als Betriebsrat qualifizieren wollen. Das Abschlusszertifikat steht nicht so sehr im Vordergrund."

Aufmerksame Headhunter

Die Finanzierung der drei Weiterbildungsstudiengänge wird in den allermeisten Fällen vom Arbeitgeber übernommen. Nur einige wenige zahlen die Qualifizierung aus eigener Tasche - meistens freiwillig. "Betriebsräte professionalisieren in erster Linie ihre Arbeit als Interessenvertreter. Darüber hinaus aber erhöhen sie auch ihre Chancen, später verantwortungsvolle Funktionen innerhalb und außerhalb des Unternehmens übernehmen zu können", sagt Thorsten Halm. Letzteres hat sich offenbar schnell herumgesprochen. Einige Absolventen des ersten Kurses der Akademie berichten, dass sie bereits von Headhuntern angesprochen wurden.

 

Infos und Anmeldungen
Im November 2007 startet der dritte Kursus im Studiengang "Veränderungsmanagement". Anmeldungen werden ab sofort angenommen. Kontakt: Akademie der Ruhruniversität gGmbH, Dipl. Psych. Corinna Kaesler, Tel. 0234/32-24605, wp@akademie.rub.de, www.akademie.rub.de

Der nächste Studiengang "Management und Partizipation" startet im April 2007. Bewerbungen sind bis März möglich. Kontakt: Zentrum für Weiterbildung (ZfW) an der Universität Dortmund, Dr. Jörg Teichert, Tel. 0231/755-6639, joerg.teichert@uni-dortmund.de, www.zfw.uni-dortmund.de

Das Weiterbildungsprogramm "Interessenvertretung als Berufung" sollte möglichst mit dem Einstiegsmodul "Rollenvielfalt und Rollenklarheit in der Funktion" beginnen, das am 7. März 2007 das nächste Mal angeboten wird. Kontakt: ver.di b+b, Susanne Wächtler, Tel. 030/2639989-19, waechtler@bb.verdi-bub.de, www.verdi-bub.de

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