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Magazin Mitbestimmung

: 'Effizienz ist eine deutsche Tugend'

Ausgabe 06/2009

INTERVIEW Warum er von ökologischer Askese wenig hält, umso mehr von effizientem Wirtschaften, erklärt Sigmar Gabriel im Gespräch mit der Mitbestimmung. Für ihn ist die grüne Transformation der Wirtschaft ein entscheidender Jobmotor.

Das Gespräch führten JONAS VIERING, Journalist in Berlin, und CORNELIA GIRNDT, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung. Foto: David Ausserhofer

Herr Minister, lange Zeit galten Umweltpolitiker als Weltuntergangspropheten, heute finden sich die Apokalyptiker eher unter den Vertretern der Finanzwirtschaft. Freut Sie das?
Schwarzmaler gibt es überall. Mich freut, dass immer weniger Leute an diesen angeblichen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie glauben. In der Krise zeigt sich, dass Umwelttechnologien Chancen für Wirtschaftswachstum bieten.

Chancen, gut und schön. Doch jetzt muss die Politik rasch handeln. Wie passt das zu einem so langfristigen Prozess wie dem Umsteuern der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit?
Bis zu zwei Drittel der Unternehmen in der Umweltbranche verzeichnen derzeit Wachstum - trotz Krise. Daneben müssen wir mit unseren Konjunkturpaketen kurzfristig dafür sorgen, dass wir die bestehenden Strukturen in der Industrie nicht lediglich konservieren, sondern sie so modernisieren, dass wir nach der Krise besser gewappnet sind als vorher. Ich glaube, dass die Bevölkerung die gigantische Staatsverschuldung zur Sicherung von Beschäftigung dann besser akzeptiert, wenn sie weiß, dass die Ergebnisse ihren Kindern und Enkeln zugute kommen.

Aber im Konjunkturpaket der rot-schwarzen Regierung sind gerade mal 13 Prozent der Mittel für Umweltmaßnahmen vorgesehen, in einem Industrieland wie Südkorea sind es 80 Prozent.
In vielen anderen Ländern wird der Aufbau erneuerbarer Energien über den Staatshaushalt finanziert, bei uns funktioniert das über die Einspeisevergütung, also über den Strommarkt. Würde man das einrechnen, so kämen auch wir bei den Maßnahmen gegen die Krise auf einen Anteil von weit über 15 Prozent Umweltinvestitionen. Aber, zugegeben, eigentlich bräuchten wie hier Werte von 20 oder 25 Prozent. An manchen Stellen platzt jetzt aber auch richtig der Knoten: Wir stecken jetzt 500 Millionen Euro in das Vorantreiben der Elektromobilität.

Aber das Zehnfache in eine Abwrackprämie. Sehen Sie als Umweltminister nicht die Gefahr, dass jetzt zu viel Bestandserhaltung für Traditionsbranchen betrieben werden muss - und dann fehlt das Geld für Green-Tech-Innovationen und Klimaschutz?
Auch hier haben die professionellen Schwarzmaler völlig falsch gelegen. Die Leute kaufen ja in der großen Mehrzahl keine PS-Monster, sondern meist kleinere Modelle mit besseren Abgas- und Verbrauchswerten. Also nützt das Ganze den Herstellern, den Käufern und der Umwelt auch. Übrigens muss ein deutscher Umweltminister auch Interesse haben an der Stabilisierung bestehender Industrien, denn irgendwo müssen die Steuerzahler ja erstmal das Geld verdienen, mit dem der Staat dann Investitionen in Klimaschutz finanziert.

Sie betonen gern die Chancen der Klima- und Energietechnologien. Woher nehmen Sie diese Gewissheit?
Wir sind heute 6,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Demnächst wird davon die Hälfte in Industriegesellschaften leben, so wie heute 1,4 Milliarden Menschen. Wenn wir in den nächsten 50 Jahren so weiter wirtschaften wollten, bräuchten wir eine zweite Erde - die gibt's aber nicht. Die Nachfrage nach Rohstoffen wird also gigantisch wachsen, bei begrenzten Ressourcen. Hier zeigt die Umwelttechnologie Wege, wie man sparsamer mit den vorhandenen Ressourcen umgeht und sie teilweise durch erneuerbare ersetzt. Und im Mittelpunkt steht eine sehr deutsche Tugend: Effizienz. Nicht weniger Wachstum ist die Lösung, sondern intelligenteres Wachstum.

Kann der schöne Begriff der "ökologischen Industriepolitik" auch als Schutzschirm für Arbeitsplätze dienen?
Aber klar. Wir haben 280 000 Jobs allein bei den erneuerbaren Energien in Deutschland, vor vier Jahren waren das erst 160 000. Wir haben 1,8 Millionen Beschäftigte im Umweltschutzbereich, das ist ein Zuwachs um 300 000. Bei diesen Technologien sind wir Weltmarktführer. Chancen bieten sich aber auch da, wo es gar nicht um Windräder oder Recycling geht.

Sie meinen das, was Sie "die grüne Transformation der gesamten Wirtschaft" nennen?
Ja, Chancen in ganz normalen Unternehmen. Wenn da einer Kosten kürzen will, dann werden ja bislang gern einfach mal Leute rausgeschmissen. Auch wenn die Lohnkosten in der deutschen Industrie bei unter 25 Prozent der Produktionskosten liegen, die Materialkosten aber bei 45 Prozent, auch Strom ist ein enormer Faktor. Da kann viel besser gespart werden. Es lohnt sich also, bei der Material- und der Energieeffizienz ganz genau hinzugucken. Statt immer nur Menschen arbeitslos zu machen, müssen wir endlich Megawattstunden arbeitslos machen.

Sie sehen überall nur Gewinner. Die Wissenschaftler vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung haben aber ausgerechnet, dass Klimaschutz uns durchaus etwas kosten wird.
Gerade die Wissenschaftler sagen uns, um später im Klimaschutz Gewinne machen zu können, muss man erst mal investieren. Das ist doch, bitteschön, nichts Negatives. Wer heute nicht investiert, vielleicht ein Prozent unserer Wirtschaftskraft, der zahlt später drauf, nämlich bis zu 20 Prozent.

Dieselben Forscher sagen auch, wir müssten viel stärker als bislang den Schadstoffausstoß vermindern, um eine kritische Erwärmung der Erde zu verhindern. Sind Sie als Minister zu nett zur Industrie?
Ach wo. Deutschland wird im Jahr 2020 die nötigen 40 Prozent weniger Treibhausgase emittieren als 1990. Wir halten die Klimaschutzziele ein - das Problem ist allerdings, was in anderen Ländern passiert. Die USA, auch unter dem neuen Präsidenten Barack Obama, wollen bis 2020 nur auf das Niveau von 1990 zurückkommen. Die eigentlich schwierige Aufgabe ist deshalb, international zu zeigen, dass unser Vorgehen ökonomisch erfolgreich ist.

Sind Sie zufrieden mit der deutschen Industrie?
Zufrieden kann man als Umweltminister natürlich nie sein. Aber im Ernst - es hat sich eine Menge bewegt, und übrigens mehr bei den Unternehmen als bei ihren Verbänden. Die Funktionäre des BDI vertreten noch Jurassic Park in der Atomfrage. Das sind die Dinosaurier der Energiepolitik.

Wo zum Beispiel sehen Sie Bewegung in den Unternehmen?
Der Energieversorger E.ON hat kürzlich veröffentlicht, dass er seine Investitionen zurückfährt, mit einer Ausnahme - bei den milliardenschweren Investitionen in erneuerbare Energie. Bosch ist vom Automotive-Zulieferer zum Umwelttechnikunternehmen geworden. BMW hat innerhalb weniger Jahre die Effizienz seiner Fahrzeuge deutlich erhöht. Wir bekommen jeden Tag neue Anträge etwa aus der Stahlindustrie auf den Tisch, wo es um neue Techniken zur CO2-Reduzierung geht. Wir sollten mehr darüber reden, wie weit wir schon vorangekommen sind.

Der Verband der Chemischen Industrie hat sich aber kürzlich wieder lautstark beschwert, der Emissionshandel belaste die Branche mit bis zu einer Milliarde Euro im Jahr. Überlastet die Bundesregierung hier die Wirtschaft?
Die am lautesten schreien, haben meist am wenigsten Grund dazu. Die chemische Industrie hat in den vergangenen Jahren erheblich von der kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechten profitiert, die sie dann gar nicht gebraucht haben. Jetzt befürchtet sie aber, gegenüber der Konkurrenz aus China oder Indien zurückzufallen, weil dort der Emissionshandel nicht greift. Das klingt nach einer berechtigten Sorge. Der Verband verschweigt aber, dass genau derjenige weiterhin kostenlose Zuteilungen bekommt, der in einer solchen schwierigen Wettbewerbslage ist. Das gilt für den größten Teil des produzierenden Gewerbes.

Genau diese Ausnahme für die energieintensive Industrie nehmen Ihnen die Umweltverbände übel.
Wer diese Ausnahme nicht will, zerstört den Emissionshandel und damit den Klimaschutz. Und zwar weil er die Unterstützung der Beschäftigten verliert. Es ist doch ein Irrglaube, man könnte ein Land wie Deutschland zum Motor der internationalen Umweltpolitik machen, aber gleichzeitig rücksichtslos Arbeitsplätze zur Disposition stellen. Für mich als Minister gibt es zwei Gruppen von Leuten, denen ich durchaus zuhöre, aber denen ich es niemals recht machen kann und darf. Das eine sind die BDI-Funktionäre. Und das andere die Umweltverbände.

Von daher sehen Sie sich vermutlich eher als knallharten Marktwirtschaftler denn als gemäßigten Ökosozialisten?
Weder noch. Was die Ökoradikalen predigen, läuft häufig auf Askese und Verzicht hinaus. Ich glaube nicht, dass diese Botschaft die Chinesen oder Afrikaner überzeugen wird. Wenn einer keine Schuhe an den Füßen hat, wird er Konsumkritik nicht sehr ernst nehmen. Wenn man ehrlich ist, dann ist die Botschaft von Verzicht und von den Grenzen des Wachstums auch in Deutschland gescheitert. Ich kenne jedenfalls mehr Leute, die ihr eigenes Stück vom Kuchen für zu klein halten, als solche, die es zu groß finden.

Und der Markt?
Ich glaube, dass der eine effiziente Form des Wirtschaftens ist. Der Markt alleine macht aber keine Preisbildung für den Verbrauch von Umweltgütern. Das muss der Staat regeln. Wir haben keine Abfallprobleme mehr, seit wir der Entsorgung einen hohen Preis gegeben haben. Da haben die Unternehmen sich überlegt, wie sie Abfälle vermeiden und Produkte herstellen können, die man gut recyceln kann.

Gibt es also auch hier eine Rückkehr des Staates?
Zum Glück ja. Die Ideologie "Privat vor Staat" hieß eigentlich doch nur Eigennutz vor Gemeinwohl. Das ist gescheitert, wie wir gerade jetzt in der Wirtschaftskrise sehen. Wir sind der Globalisierung des Kapitalismus nicht hinreichend gefolgt mit der Globalisierung von Regeln für den Kapitalismus. Und das versuchen wir jetzt, ökonomisch und sozial, aber eben auch ökologisch in den Griff zu bekommen.

Seit Sie Umweltminister sind, wurden die Klimaschutzausgaben von 875 Millionen Euro auf 3,4 Milliarden gesteigert. Das ist ziemlich viel Staat. Wofür diese Summen?
Das sind die Zahlen des Bundeshaushalts. Zu der Gesamtsumme gehört beispielsweise auch der große Posten des Gebäudesanierungsprogramms, weil wir immer noch vielfach mehr den Vorgarten heizen als das Wohnzimmer. Die Mittel verteilt das Bauministerium, auch wenn wir das als Umweltministerium verhandelt haben. Unser Umwelt-Etat hat sich immerhin verdoppelt, was es in der 20-jährigen Geschichte dieses Ministeriums noch nie gegeben hat.

Wie setzt man am besten wirtschaftliche Impulse?
Mein Ministerium hat ein kleines Konjunkturprogramm zur Förderung des Einsatzes von erneuerbarer Wärmetechnik aufgelegt, also Solarthermie oder Holzpellets. Wir bringen 400 Millionen ein, aber wer davon profitieren will, muss selbst Geld dazulegen. Das funktioniert prima: Durch den Einsatz privater Mittel verachtfacht sich das Investitionsvolumen.

Wir haben den Eindruck, Sie würden Ihr Ministerium am liebsten in Umweltwirtschaftsministerium umbenennen.
Es kommt nicht auf das Etikett an. Mir würde es schon reichen, wenn der aktuell amtierende Wirtschaftsminister über Klimaschutz nicht nur reden, sondern ihn auch praktizieren würde. Der verbreitet Wortwolken, blockiert aber zum Beispiel ein wirksames Energieeffizienzgesetz.

Zu Ihrem Leidwesen ist ja die Energiepolitik derzeit beim Wirtschaftsministerium angesiedelt. Wäre ein integriertes Klima- und Energieministerium die bessere Option?
Letztlich entscheidet sich das nicht am Zuschnitt von Ministerien. Die Frage ist, ob eine Regierung eine klare und einheitliche Klimapolitik hat. Das ist in der heute amtierenden Regierung nicht der Fall. Die Bundeskanzlerin, immerhin eine frühere Umweltministerin, kann sich da gegenüber ihren eigenen Leuten nicht durchsetzen.

Der private Konsum ist in höherem Maße für den Ausstoß von Treibhausgasen verantwortlich als die Industrie. Müssten Sie da nicht auch mal den Verbrauchern auf die Finger hauen?
Ich fände es beispielsweise sinnvoll, die steuerliche Absetzbarkeit der Benzinkosten bei Dienstwagen zu begrenzen. 75 Prozent der Geländewagen in Berlin sind als Dienstwagen gemeldet. So schlecht sind aber die Straßen in der Bundeshauptstadt gar nicht und so viele Landwirte und Förster gibt es in Berlin auch nicht. Ein Betriebsratsvorsitzender der Automobilindustrie hat diese Fahrzeuge mal Viagra in Chrom genannt. Ich habe nichts gegen Viagra, aber ich finde, das muss man nicht mit öffentlichen Mitteln subventionieren.

Kernkompetenz der Gewerkschaften sind Arbeit und Wirtschaft. Haben die Gewerkschaften in der Frage nachhaltigen Wirtschaftens etwas aufzuholen?
Keineswegs. Wir vom Umweltministerium haben gleich zu Beginn dieser Regierungsperiode die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gesucht. Und wir haben da richtig konkrete Verabredungen getroffen. Beim Emissionshandel und was die CO2-Werte der Automobilindustrie angeht, ist genau das herausgekommen, was das Umweltministerium mit den Betriebsräten und den Industriegewerkschaften vereinbart hat.

Die Sie ja auch zu den Treffen des Netzwerkes Ressourceneffizienz eingeladen haben.
Für uns sind die Betriebsräte strategisch ganz wichtige Partner, damit Ängste und Widerstände bei den Beschäftigten gar nicht erst aufkommen. Als grüne Partei kann man in seiner Nische vielleicht auch ohne die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung Politik machen. Als Sozialdemokrat kann man das nicht.

So viel Lob - weil Sie die Gewerkschaften im Wahljahr gern auf Ihrer Seite hätten?
Quatsch. Den Gewerkschaften war immer klar, dass im entfesselten Kapitalismus nicht nur die sozialen, sondern auch die natürlichen Lebensbedingungen zerstört werden. Umweltpolitik ist kein Backe, backe Kuchen. Hier geht's um Wirtschaft.


ZUR PERSON
Sigmar Gabriel, 50, war früher in der "Sozialistischen Jugend - Die Falken" und ist seit 1979 Gewerkschaftsmitglied, wie er gern betont. Vom Kreistagsabgeordneten in Goslar schaffte es der gelernte Gymnasiallehrer 1998 zum Ministerpräsidenten in Niedersachsen - als Nachfolger von Gerhard Schröder. Die Landtagswahl 2003 aber verlor er. Zwei Jahre später gewann Gabriel ein Bundestagsdirektmandat und wurde im Berlin der Großen Koalition Umweltminister. In diesen Job kniete er sich voll rein - zur Überraschung mancher Kritiker. Heute gilt der hemdsärmelige Gabriel als einer der Hoffnungsträger der SPD.

 

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