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Magazin Mitbestimmung

: 'Das ist verlorenes Geld'

Ausgabe 03/2010

INTERVIEW Der Ökonom und Lenkungsratsvorsitzende des Deutschlandsfonds Martin Hellwig über die Folgen der Finanzkrise für die Steuerzahler, versäumte Reformen und falsche Anreizsysteme

Das Gespräch führten die Journalisten INGMAR HÖHMANN und KAY MEINERS/Foto: Karsten Schöne

Herr Professor Hellwig, der Deutschlandfonds, dessen Lenkungsrat Sie vorsitzen , stellt für deutsche Firmen Kredite und Bürgschaften in Höhe von 115 Milliarden Euro bereit. Nach knapp einem Jahr haben die Unternehmen aber erst zehn Milliarden Euro abgerufen. Braucht die Wirtschaft den Staat gar nicht als Kreditgeber?
Im Mittelstand ist die Kreditklemme weniger stark ausgefallen als zu befürchten war. Auch deswegen, weil die Sparkassen und Genossenschaftsbanken von der Krise kaum betroffen sind. Im Übrigen: Wenn der Staat als Kreditgeber einspringt, ist das nicht ganz unproblematisch. Ich habe immer vor der industriepolitischen Versuchung gewarnt. Im Fall Opel, der übrigens abseits des Deutschlandfonds lief, haben die Ministerpräsidenten Roland Koch und Jürgen Rüttgers mehr auf den Bestandsschutz in Hessen und Nordrhein-Westfalen geachtet als auf die Frage, ob das sinnvoll eingesetzte Steuermittel sind.

Wie konnte sich die Finanz- und Bankenkrise zur Wirtschaftskrise ausgeweiten?
Bis zum vierten Quartal 2008 hat sich die Krise nur im Finanzsektor abgespielt. Dann kam der Einbruch in der Realwirtschaft, getrieben vor allem durch einen dramatischen Rückgang des Welthandels. Dahinter stand teilweise ein Zusammenbruch des Zahlungssystems, vor allem der Zahlungen mit Akkreditiven, die für sehr teure Lieferungen benutzt werden. Das läuft so: Ein Importeur, etwa in Mexiko, hinterlegt den Kaufpreis bei seiner Bank. Diese informiert die Bank des deutschen Exporteurs, dass das Geld hinterlegt wurde und ausbezahlt wird, wenn die Lieferung stattgefunden hat. Für den deutschen Exporteur ersetzt die Kreditwürdigkeit der Bank die des Kunden. In der Krise ist dieser Mechanismus teilweise zusammengebrochen, weil das Vertrauen in die Banken verschwunden war.

Welche Rolle hat die Bankenregulierung gespielt?
Ein Problem war und ist die Prozyklizität der Eigenkapitalregulierung. Es wird verlangt, dass die Bank für ihre Geschäfte je nach Risiko einen Mindestbestand an Eigenkapital haben muss. Wenn die Bank in der Krise Verluste macht, mindern diese das Eigenkapital -
sie muss ihr Geschäftsvolumen reduzieren, Wertpapiere verkaufen oder Kredite kündigen. Jetzt ist zu befürchten, dass die Realwirtschaft die Schraube noch einmal weiter dreht: Wenn die Aussichten der Unternehmen sich verschlechtern, müssen die Banken nach Basel II die Bonität überprüfen. Bei schlechterer Bonität wird eine größere Eigenkapitalunterlegung gebraucht. Wenn das Eigenkapital fehlt, muss die Bank Kredite kündigen. Das wiederum verschlechtert die Lage der Unternehmen. Um diesen Prozess zu stoppen, habe ich gefordert, dass man Basel II aussetzen sollte.

Statt die Regeln zu verändern, hat die Politik versucht, die Folgen der Krise einzudämmen - und Milliarden in marode Banken gesteckt. War das richtig?
Es war notwendig, das Vertrauen zu den Banken wiederherzustellen. Der Zahlungsverkehr über Banken ist ein Teil unserer Infrastruktur, so wie die Stromnetze. Wenn so etwas zusammenbricht, dann wird es richtig schlimm, so wie 1931. Allerdings hat man es versäumt, die Solvenzprobleme zu bereinigen. Es weiß heute niemand, was noch alles an Leichen in den Kellern der Banken liegt.

Dem Staat ging es vor allem darum, dass die Kreditvergabe wieder ins Laufen kommt.
Die Frage ist, wie man das tut. Mit dem Bad-Bank-Gesetz, das das Parlament auf Vorschlag der Regierung verabschiedet hat, bekommen die Banken die Möglichkeit, ihre Bilanzen zu verbessern, indem sie zweifelhafte Papiere abgeben und gute Papiere bekommen. Das soll sie in die Lage versetzen, mehr Kredite zu vergeben. Aber wer zahlt die Zeche, wenn die zweifelhaften Papiere am Ende viel weniger wert sind als die guten Papiere, die vom Steuerzahler garantiert werden?

Die Regierung sagt, die Steuerzahler würden nicht belastet, weil die Banken selbst in 20 Jahren für die Differenz zwischen guten und schlechten Papiere aufkommen müssen.
Das stimmt, das Gesetz sieht dies vor. Wenn es in 20 Jahren eine Differenz gibt, muss die Bank dafür geradestehen - mit Zins und Zinseszins. Diese Konstruktion ist aber eigentlich nur ein Bilanzierungstrick, um die Eigenkapitalregulierung zu umgehen. Wenn es diese Zahlungsverpflichtung gibt, wird die Bank die zweifelhaften Titel nicht los. Sie muss sie nur nicht mehr in ihren Büchern führen.Das ist bilanzrechtlich möglich, weil die Verpflichtung der Bank nicht als nachrangige Verbindlichkeit - also als Schuld - definiert wird, sondern als eine Vorabbelastung von Gewinnausschüttungen. Das bedeutet: Ehe die Bank Gewinne an ihre Aktionäre ausschüttet, muss sie für die Bad Bank geradestehen. Von solchen bilanzrechtlichen Tricks halte ich gar nichts.

Warum?
Weil sachlich kein Unterschied zu einer nachrangigen Verbindlichkeit besteht. Die Aktionäre und die auf Shareholder-Value fokussierten Manager wissen, dass diese Belastung noch zu tragen ist. Je größer aber die ausstehenden Schulden sind, desto mehr Anreize hat der Eigentümer der Bank, riskant zu spielen - nach der Devise: Kopf - ich gewinne, Zahl - der Steuerzahler verliert.

Wenn der deutsche Staat heute den Banken die schlechten Papiere komplett abnimmt, zahlt der Steuerzahler aber auch. Außerdem kommen die Verantwortlichen ungeschoren davon.
Letzteres stimmt nicht. In der schwedischen Bankenkrise 1992 übernahm der Staat die Kreditinstitute; die Altaktionäre gingen leer aus, die Bankvorstände mussten gehen. Sie wurden durch Manager aus der zweiten oder dritten Reihe ersetzt. Die Aufteilung der Wertpapiere in gute und schlechte und die Abspaltung guter neuer Banken von den schlechten alten erfolgte unter der Kontrolle des Staates. Die Verluste bei den schlechten trug der Steuerzahler. Jedoch wurden diese Verluste weitgehend durch die Privatisierungserlöse bei den guten Banken kompensiert.

Warum verfährt die deutsche Regierung nicht ebenso?
Ein Grund ist, dass die Übernahme der Banken mit ihren Verlusten unmittelbar haushaltswirksam wäre. Bürgschaften belasten den Haushalt nicht - zumindest solange sie nicht in Anspruch genommen werden. Der schwedische Staatshaushalt war einige Jahre tief in den roten Zahlen - aber dafür hatte die Wirtschaft bald wieder ein funktionierendes Bankensystem. Heute sieht es so aus: Die Banken, die wir wieder auf das System loslassen, sind alles andere als solide.

Welche Banken sind davon besonders betroffen?
In Deutschland haben wir vor allem eine Krise der öffentlichen Banken, und hier der Landesbanken. Das Problem: Der Bund darf sich in die Angelegenheiten der Länder nicht einmischen. Und die Ministerpräsidenten wollen ihre eigenen Banken nicht aufgeben.

Wie würden Sie perönlich mit den Landesbanken verfahren?
Ich würde sie abwickeln und privatisieren. Es ist schon viel zu viel Geld geflossen. Allein die Rekapitalisierung der BayernLB hat den Freistaat Bayern zehn Milliarden Euro gekostet, davon ist fast die Hälfte schon wieder durch den Verlust bei Hypo Alpe Adria aufgefressen worden. Schleswig-Holstein und Hamburg mussten die HSH Nordbank mit drei Milliarden Euro stützen. Das ist verlorenes Geld. Die gesamten öffentlichen Investitionen der Bundesrepublik liegen zwischen 30 und 35 Milliarden Euro pro Jahr. Die zehn Milliarden des Freistaats Bayern für die BayernLB sind fast ein Drittel dessen, was in Deutschland insgesamt investiert wird.
 
Welche Rolle spielt der Systemschutz? Wenn eine Bank zahlungsunfähig wird, können auch andere Institute Probleme bekommen.
Systemschutz ist wichtig. Jedoch muss man fragen, wie weit das geht. Muss der Steuerzahler wirklich alle Gläubiger schützen, die bei Hypo Real Estate nicht aufgepasst haben? Wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, dass wir jede Bank retten, dann werden wir noch viele Bankenrettungen sehen. Grundsätzlich sehe ich keinen Grund, warum ein Aktionär einer insolventen Bank noch irgendetwas behalten sollte. Die Geldgeber müssen die Verluste tragen, nicht der Staat. Insolvenz bedeutet: Da ist nichts mehr zu holen. Ein Kabarettist hat kürzlich gesagt, es sei falsch, dass die Banker aus der Krise nichts gelernt hätten. Sie hätten sehr wohl etwas gelernt - nämlich, dass der Staat ihnen immer aus der Patsche hilft. Das ist leider die Wahrheit.

Welche Rolle spielen die Aufsichtsräte - hätten sie die Bankenkrise verhindern können?
Sie tragen eine Mitschuld. Einige Juristen glauben, dass die heutigen Gesetze durchaus ausreichen, um Aufsichtsräte in größerem Umfang haftbar zu machen, als es bisher geschieht. Jedoch wird das bisher nur selten strikt gehandhabt.

Wie kann man Manager in Finanzunternehmen zu nachhaltigem Handeln zwingen?
Wir müssen über die Bonussysteme nachdenken. Ein Teil der öffentlichen Debatte konzentriert sich auf den übermäßigen Reichtum, der damit verbunden ist - doch darum geht es nicht.Viel wichtiger ist, dass die heutigen Bonussysteme verzerrte Anreize setzen. Wenn der Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, von 25 Prozent Eigenkapitalrendite als Norm redet, muss jedem klar sein, dass dies nur denkbar ist, weil die Banken ein großes Rad drehen mit Bilanzsummen in Höhe des 40- oder 50-Fachen des Eigenkapitals und weil die Risiken entsprechend hoch sind.

Wie ist es überhaupt zu diesem System gekommen?
Als der Begriff Shareholder-Value Mitte der 1980er Jahre in den USA erstmals in die Diskussion kam, war er politisch nicht korrekt, selbst in den Vorstandsetagen. Doch dann haben sich die Entlohnungssysteme völlig verändert. Vor 1990 waren in den USA durchschnittlich nur drei Prozent der Vorstandsbezüge ergebnisabhängig. 1995 sah das schon ganz anders aus. Seither machen die Boni einen großen Teil der Entlohnung aus, nicht nur bei den Vorständen, sondern auch in den Etagen darunter. Da ist es dann auch politisch korrekt, sich den Shareholder-Value als Maßstab zu nehmen.

Aber spornen Boni nicht auch zu besseren Leistungen an? Es gibt Vorschläge, die Systeme mit nachhaltigen, sozialen Kennzahlen einfach umzubauen.
Als orthodoxer Ökonom müsste ich die Anreizwirkungen von Bonussystemen in der Tat loben. In den heutigen Systemen aber gibt es vieles, was mit Leistungsanreizen gar nichts zu tun hat. Wenn aufgrund einer Leitzinssenkung der Zentralbank die Aktienkurse an den Börsen steigen, ist das keine Leistung eines einzelnen Managers. Trotzdem bekommt er einen höheren Bonus, weil der Unternehmenswert gestiegen ist. Das hat mehr mit Bereicherung zu tun als mit Anreizen. Im Finanzsektor hat dieses System dazu beigetragen, dass die Manager eine niedrige Eigenkapitalausstattung und die Renditen, die damit möglich wurden, als normal betrachtet haben - und über die Risiken großzügig hinwegsahen.

Hat die Finanzkrise in der Branche zu einem Umdenken geführt?
Nein, das ist eine meiner größten Sorgen. An den Strukturen, Regeln und Anreizen hat sich nichts geändert.

ZUR PERSON

MARTIN HELLWIG, geboren 1949 in Düsseldorf, ist Direktor am Max-Planck-Institut für die Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Zugleich ist er Sprecher des Lenkungsrats Unternehmensfinanzierung
im Wirtschaftsfonds Deutschland - eines beratenden Gremiums. Das Handelsblatt kürte Hellwig zum "forschungsstärksten Ökonomen in Deutschland" und nannte ihn den "ordnungspolitischen Wachhund" des Wirtschaftsministers. Letzteres ist für Hellwig eine "journalistische Übertreibung". In den Jahren 2000 bis 2004 war Hellwig Vorsitzender
der Monopolkommission.


 

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