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Magazin Mitbestimmung

: 'Besser als die Gelben Seiten'

Ausgabe 04/2006

Rund um Betriebsräte hat sich ein lukrativer Beratermarkt entwickelt. Die Nachfrage wächst. Zwar spechen die Gewerkschaften Empfehlungen aus, doch eine systematische Qualitätssicherung fehlt. Insider bauen auf informelle Netzwerke.


Von Christoph Mulitze
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Düsseldorf


Als der Betriebsrat der BASF AG vor zwei Jahren die Düsseldorfer Unternehmensberatung Droege & Comp. GmbH beauftragte, die Betriebsratsarbeit zu professionalisieren, da war das auch ein Politikum, denn die Firma ging zu diesem Zeitpunkt auch beim Vorstand ein und aus. Und nun auch beim Betriebsrat? Die 57-köpfige Arbeitnehmervertretung des Chemiegiganten wollte sich Rat von einem echten Profi holen - und da zählte Praxistauglichkeit eben mehr als Klassenbewusstsein.

"Hilfe vom Klassenfeind", spottete das Manager Magazin. Der Betriebsratsvorsitzende Robert Oswald sieht das gelassen: "Wir haben festgelegt, dass bei uns andere Leute tätig wurden als die, die vorher das Unternehmen beraten hatten. Die politische Strategie legen wir natürlich nach wie vor selbst fest."

Aus den Monopolisten von gestern sind Moderatoren geworden

Doch auch in den eigenen Reihen war das Vorgehen umstritten. Unternehmensberater, zumal solche, die auch für die Geschäftsleitung arbeiten, haben eben nicht den besten Ruf - für viele sind das ganz einfach Leute in schicken Anzügen und Kostümen, die sagen, dass die Rationalisierungsreserven noch nicht ausgeschöpft sind, dass man die gleiche Arbeit auch mit weniger Personal hinbekommen kann. "Wenn ein Betriebsrat eine Unternehmensberatung in Anspruch nimmt", sagt Robert Oswald, "dann gibt es immer Skeptiker. Aber die Welt ist komplexer geworden." Die Gewerkschaft IG BCE, sagt er, habe großes Interesse an seinem Experiment gezeigt: "Da gibt es eine Aufgeschlossenheit, die längst nicht überall in Gewerkschaftskreisen üblich ist."

Die Beratung von Betriebsräten ist tatsächlich ein heikles Thema - es geht um Geld, um die Machtbalance zwischen Zentrale und Provinz. Einst war die Beratung ein Monopol der Gewerkschaften - davon kann heute keine Rede mehr sein. Zwar ist der Beratungsbedarf in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen - doch die Gewerkschaften spielen dabei eine immer geringere Rolle. Gerade die kleinen Organisationen sind immer weniger in der Lage, Betriebsräte mit eigenen Leuten zu beraten. Die IG BAU arbeitet nach Angaben ihrer Sprecherin Sigrun Heil nur noch mit Externen zusammen - unter anderem mit dem gewerkschaftsnahen Unternehmen ISA Consult.

"Vielfach haben die Gewerkschaften nicht mehr die personellen und inhaltlichen Kapazitäten, um den komplizierten Beratungswünschen der Betriebsräte nachzukommen", erklärt der Unternehmensberater Christof Balkenhol von der Matrix Beratungs GmbH in München, "also müssen sie bei Anfragen oft auf externe Berater verweisen." Ein schwieriges Unterfangen, denn der freie Beratermarkt ist nicht nur lukrativ, sondern auch unübersichtlich, weil sich im Prinzip jeder selbstständig machen und seine Dienste anbieten kann.

Verlässliche Zahlen darüber, wie viel Geld im Jahr für Betriebsratsberatungen ausgegeben wird, existieren nicht. Gestützt auf eine Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, schätzt Balkenhol den Betrag auf mehr als 100 Millionen Euro jährlich. So viel Geld lockt auch zwielichtige Gestalten an, die den schnellen Euro wittern.

Wie aber kann man seriöse von unseriösen Beratern unterscheiden? Welcher Berater ist bei den oft sehr individuellen Problemstellungen kompetent? Wer hat schon mal einen ähnlichen Fall erfolgreich gelöst? Auf welcher politischen Seite stehen die Berater?

Die Gewerkschaften haben auf die zahlreichen Nachfragen von Betriebsräten reagiert, indem sie Kontaktadressen sammelten - die Daten kursieren nun teils als öffentlich zugängliche, teils als graue Listen, die nur unter Vertrauten weitergegeben werden. Das prominenteste ist vielleicht der Berater-Pool auf der Webseite des DGB - hier können Beratungsunternehmen sich auf Antrag eintragen lassen - mit der Anzahl der Mitarbeiter, den Branchen, den Beratungsschwerpunkten und den gewerkschaftlichen Referenzen.

Die Einzelgewerkschaften haben zwar keine öffentlichen Pools im Internet, geben aber auf Anfrage auch einzelne Adressen heraus. Der Haken: Eine systematische Qualitätskontrolle fehlt. "Das könnten wir gar nicht leisten", sagt Christel Degen, die zuständige DGB-Referatsleiterin. Die Folge: Die allermeisten der derzeit gelisteten 118 Beratungsfirmen geben sich denn auch als Universalexperten aus, um möglichst oft bei der Themensuche aufgerufen zu werden.

"Nach dem Schrotflintenprinzip tragen manche einen Bauchladen an Beratungsleistungen vor sich her. Das ist auch ein Indiz dafür, wie intransparent der Markt ist", kritisiert Christof Balkenhol. Matthias Müller, Referatsleiter Wirtschaft in der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, hält Listen wie den Berater-Pool wegen der fehlenden Qualitätssicherung ebenfalls für problematisch: "Niemand kann mir erzählen, dass eine Beratungsfirma mit beispielsweise zwei oder drei festen und freien Mitarbeitern gleichermaßen spezialisiert ist auf Personal, Recht, Unternehmensstrategie, Organisation, Innovation, Fertigung, EDV, Betriebswirtschaft und Sozialkompetenz."

Der DGB macht die Nutzer der Datenbank allerdings auf die fehlende Kontrolle aufmerksam und empfiehlt, "Kontakt mit anderen Betriebs- und Personalräten oder mit der Gewerkschaft aufzunehmen" sowie möglichst immer mehrere Berater zum Akquisitionsgespräch einzuladen. "Wir verstehen den Berater-Pool als Angebot zur Erstinformation", sagt Christel Degen, "das ist auf jeden Fall besser, als in die Gelben Seiten zu gucken." Intern prüfte der DGB im vergangenen Jahr, ob es sinnvoll wäre, die Seite weiterzuführen - und entschied sich dafür. Die Nutzer der Datenbank geben dem DGB mit der Entscheidung offenbar Recht: Der Berater-Pool steht bei den Abrufen der Angebote auf der DGB-Webseite immerhin an sechster Stelle.

"Wir haben unterm Strich gute Erfahrungen mit dem Berater-Pool gemacht. Uns ist nicht bekannt, dass mal jemand falsche Informationen ins Netz gestellt hat. So etwas würde auffallen, und dann würden wir ihn streichen", sagt Christel Degen.

Viele Praktiker haben sich eigene Netzwerke aufgebaut

Christof Balkenhol ist im Berater-Pool nicht aufgelistet. Trotzdem kommen Betriebsräte auf ihn zu, wenn sie sich in betriebswirtschaftlichen Fragen beraten wollen - etwa zur Standortsicherung, Kostensenkung oder in der Strategie. "Das läuft über den klassischen Weg der Netzwerke", sagt Balkenhol, der auch die Arbeitgeberseite berät - anders als die Düsseldorfer Konkurrenz allerdings nie in ein und demselben Unternehmen: "So kommt es zu keinen Interessenkonflikten. Meine Auftraggeber wissen, dass ich generell für beide Seiten arbeite."

Christoph Großmann, Referent des Konzernbetriebsrates der TUI AG, hat sich im Laufe seiner Amtszeit ein eigenes kleines Netzwerk aufgebaut. Oft sind es ehemalige Betriebsräte oder hauptamtliche Gewerkschafter, die sich mit ihren Kontakten selbstständig gemacht haben. "Trotzdem fände ich es hilfreich, wenn die Gewerkschaften einen Pool mit von ihnen zertifizierten Beratern den Betriebsräten zur Verfügung stellen würden.

Die Kriterien festzulegen wäre sicherlich schwierig, aber umsetzbar; schließlich klappt das bei anderen Zertifizierungen ja auch", fordert Großmann. Der Trend, dass Betriebsräte eher zu informellen Quellen greifen, kann den Gewerkschaften nicht gefallen. Wenn sich Betriebsräte eigene Netzwerke aufbauen, weil sie sich von ihrer Gewerkschaft nicht gut beraten fühlen, geht auf Dauer auch politischer Einfluss verloren - und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Anforderungen an Arbeitnehmervertretungen so hoch sind wie nie zuvor.

Viele Fragen, mit denen sich Betriebsräte heute befassen müssen, wie beispielsweise Beschäftigungssicherung, sind neu, sehr komplex - und zugleich existenziell für die Arbeitnehmer. "Betriebsräte sind gut beraten, wenn sie sich die notwendigen fachlichen Kompetenzen durch externe Sachverständige verschaffen, um Entscheidungen mit zum Teil weit reichenden Folgen treffen zu können", begründet Christine Zumbeck, Referatsleiterin Arbeitsrecht in der Abteilung Mitbestimmungsförderung bei der Hans-Böckler-Stiftung, den wachsenden Beratungsbedarf.

Michael Leucker, seit knapp 20 Jahren Betriebsratsvorsitzender der BenQ Deutschland GmbH (früher Siemens AG) in Kamp-Lintfort, kann das bestätigen und mit Zahlen belegen. Von 1987 bis 2000, sagt er, sei der Betriebsrat ganz ohne externe Beratung ausgekommen. "Seit dem Jahr 2000 aber mussten wir uns drei Mal im Jahr juristisch und betriebswirtschaftlich beraten lassen."

Aus seiner Sicht gibt es dafür zwei Gründe, die miteinander zusammenhängen: die Globalisierung und ein immer rücksichtsloseres Verhalten der Arbeitgeber. Letzteres zeigte sich vor rund drei Jahren: Da drohte Siemens dem Werk in Kamp-Lintfort, einem drastischen Kostensenkungsprogramm zuzustimmen, weil andernfalls die komplette Handyproduktion vom Niederrhein nach Ungarn verlagert worden wäre. Daraufhin planten die Kamp-Lintforter Arbeitnehmervertretung und der Gesamtbetriebsrat in Absprache mit der IG Metall in Nordrhein-Westfalen einen Beratungscoup: Sie beauftragten die Unternehmensberatung Ernst & Young mit einer Standortanalyse.

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