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Magazin Mitbestimmung

Interview: "An Macht bin ich nicht interessiert"

Ausgabe 01+02/2014

Anika Fiedler, 24, Chemielaborantin beim Medizinkonzern Johnson & Johnson in Norderstedt bei Hamburg und JAV-Vorsitzende, über ihre Ambitionen als Nachwuchskandidatin für die jetzt anlaufenden Betriebsratswahlen 2014. Die Fragen stellte Sigrid Thomsen

Anika, wie bist du zur Gewerkschaftsarbeit bei der IG BCE gekommen?

Das war lustig: Ich war zuerst in der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der JAV, weil mich eine der Jugendvertreterinnen vor den Betriebsratswahlen 2010 darauf angesprochen hatte. In die Gewerkschaft bin ich erst 2011 nach dem ersten JAV-Seminar der IG BCE eingetreten. Da wurde uns erklärt, was Gewerkschaften eigentlich machen. Und wozu sie gebraucht werden. Überzeugt hat mich das Zusammengehörigkeitsgefühl, das dort entstand. Inzwischen gehöre ich selbst zum Team bei solchen Seminaren.

Was ist deine Aufgabe als JAV-Vorsitzende, mit welchen Anliegen kommen die Auszubildenden?

Oft geht es darum, wie es nach der Ausbildung weitergeht. Viele werden zunächst für ein Jahr übernommen, aber darüber gibt es keine Regelung. Oder jemand hat nicht verstanden, wie das mit den Sozialversicherungsbeiträgen funktioniert, dann erklären wir das. Letztes Jahr wurde der Essensgeldzuschlag für Azubis gekündigt, das haben wir mit dem Betriebsrat zusammen rückgängig machen können. Um den Kontakt unter den knapp 70 Auszubildenden bei Johnson & Johnson zu verbessern, haben wir einmal ein Azubi-Frühstück organisiert. Insgesamt läuft es bei uns gut mit der Ausbildung; die meisten sind zufrieden. Ich selbst habe mir Aufklärung über die Gewerkschaftsarbeit zur Aufgabe gemacht. Wir bieten mit dem IG-BCE-Bezirk zusammen Werbetermine an und haben auch schon Mitglieder gewonnen.

Was bringt dich dazu, jetzt für den Betriebsrat zu kandidieren?

Ich wurde von mehreren Kollegen aus dem Betriebsrat darauf angesprochen, weil sie sich über die Zukunft des relativ „alten“ Gremiums Gedanken machen. Das neue wird 17 Mitglieder haben. Für mich selbst ist es ein logischer Schritt von der JAV zum Betriebsrat. Ich bin ja nicht mehr in der Ausbildung, sondern seit Ende 2012 fest angestellt. Ich fühle mich wohl bei der betrieblichen Mitbestimmung, mag die Rolle. An Sitzungen des Betriebsrats und auch des Vertrauensleutekörpers habe ich als JAV-Mitglied schon teilgenommen. Vertrauensleute müssten in unserem Betrieb noch eine größere Rolle spielen, aber bisher ist der Organisationgrad leider nicht hoch genug.

Wofür willst du dich im Einzelnen einsetzen?

Ich möchte genau das gern ändern: den Organisationsgrad verbessern. Dazu muss ich Kolleginnen und Kollegen erklären, dass alle Tarifabschlüsse immer nur so gut sein können wie unsere Stärke ist. Je weniger Leute hinter einer Forderung stehen, desto weniger muss ja die Arbeitgeberseite darauf eingehen. Das sehen die meisten auch ein! Ich habe sogar meine Mutter für die Gewerkschaft geworben, sie ist begeistert! Aber wer eintritt, soll wirklich überzeugt sein. Ansonsten warte ich ab, was nach der Wahl auf mich zukommt. Vielleicht wird die lebensphasenorientierte Arbeitszeit für mich selbst mal ein wichtiges Thema. Aber um eine Betriebsvereinbarung anzustreben, müsste das aus der Belegschaft kommen.

Hättest du gern mehr Macht oder Unterstützung für deine Sache?

An Macht für mich selbst bin ich eigentlich nicht interessiert. Mir geht es eher um Kompetenz. Wer mitreden will, muss auch selbst Ahnung haben. Ich bin gespannt auf die Erfahrung, wie man mit Verantwortung umgeht und sie auf mehrere Schultern verteilt. Das ist eine große Sache für mich. Wenn ich Unterstützung brauche, kann ich jederzeit bei der Gewerkschaft anrufen. Das habe ich auch schon in Anspruch genommen. 

Strebst du irgendwann eine Freistellung an?

Das liegt für mich im Augenblick noch in weiter Ferne. Erst mal will ich ein Ehrenamt übernehmen. Karriere mache ich eher im Beruf. Meine Arbeit gefällt mir sehr gut. Unser Unternehmen stellt chirurgisches Nahtmaterial und Implantate her; ich prüfe die Produkte im Labor auf Fehlerfreiheit und Qualität.

Wird sich durch die Betriebsratsarbeit dein Verhältnis zum Arbeitgeber verändern?

Das glaube ich nicht. Auf der „Gegenseite“ befinde ich mich ja jetzt schon. Wir sind Gegenspieler, darauf bin ich eingerichtet. Ich denke, ich habe ein ausreichend dickes Fell. Bisher habe ich noch kaum Verhandlungen mit dem Arbeitgeber geführt, aber mir ist bewusst, dass man nicht immer alles durchsetzen kann. Das muss man dann für die Kollegen nachvollziehbar machen.

Was bedeutet es dir selbst, dich für andere einzusetzen und viel Freizeit darauf zu verwenden?

Ich betrachte es eben als Freizeit, wenn ich an Wochenenden zu Jugendausschuss-Sitzungen, Arbeitskreisen oder Seminaren fahre, nicht als Arbeit. Ich habe dadurch viele nette Leute kennengelernt. Und ich hab mich auch selbst weiterentwickelt. Heute hinterfrage ich viel mehr, verstehe Zusammenhänge. Früher war mir nicht bewusst, dass man etwas zum Positiven verändern kann. Das nimmt heute einen großen Stellenwert in meinem Leben ein.

 

WERKZEUGKASTEN ZUM WISSENSTRANSFER

Wer den Generationswechsel im Betriebsratsgremium aktiv gestalten will, für den ist die systematische Vermittlung von Wissen unverzichtbar. Die Böckler-Stiftung hat dazu einen Werkzeugkasten entwickeln lassen.Wie kann das Wissen der aus- scheidenden Interessenvertreter sichtbar gemacht und für das Betriebsratsgremium erhalten werden? Die Broschüre „Werkzeugkasten für einen erfolgreichen Wissensaustausch in Betriebs- und Personalräten“ will betriebliche Interessenvertretungen ermuntern und unterstützen, ihren Umgang mit Wissen zielgerichtet zu organisieren.In der Werkzeugkasten-Broschüre werden anschaulich Handlungsschritte auf dem Weg zu einem besseren Wissensmanagement beschrieben.

Entlang von Stichwörtern wie etwa Nachbesprechung, Wissenskarte, Kompetenz-Check oder Mentoring werden Instrumente und Methoden vorgestellt. Mit deren Hilfe kann das Wissen der Mitglieder erfasst und gesichert, können neue Betriebs- und Personalratsmitglieder eingearbeitet und individuelle Erfahrungen für das gesamte Gremium nutzbar gemacht werden. Die systematische Wissensweitergabe an Betriebs- und Personalräte wird jetzt in gewerkschaftlichen Bildungsseminaren praktisch erprobt und weiterentwickelt – und in einem Mentoring-Pilotprojekt der IG BCE. Auch das IG-Metall-Bildungszentrum Lohr/Bad Orb bietet, unterstützt durch die Pädagogin Britta Bertermann von der TU Dortmund, vom 26. bis 28. Februar 2014 ein Seminar mit dem Titel „Den Wissensschatz des Betriebsratsgremiums nutzen“ an.

Britta Bertermann/Gerhard Naegele/Uwe Wilkesmann u.a: Werkzeugkasten für einen erfolgreichen Wissensaustausch in Betriebs- und Personalräten. 22 Seiten, Download unter: www.boeckler.de/pdf_fof/S-2011-432-2-1.pdf

Melanie Frerichs, Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Telefon: 02 11/77 78-587, melanie-frerichs@boeckler.de

Kontakt zu Britta Bertermann, Telefon: 02 31/72 84 88-16, britta.bertermann@tu-dortmund.de

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