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Magazin Mitbestimmung

: Abschied von den Bonuszahlungen

Ausgabe 01+02/2011

AUFSICHTSRATSVERGÜTUNG Mit Siemens und der Allianz schwenken zwei DAX-Konzerne auf eine reine Fixvergütung ihrer obersten Kontrollgremien um. Von Ingmar Höhmann

INGMAR HÖHMANN ist Wirtschaftsjournalist in Köln.

Gerhard Cromme hat keine Angst vor wegweisenden Entscheidungen: Der Aufsichtsratsvorsitzende des Weltkonzerns Siemens hat sich und seinen Gremiumskollegen kurzerhand selbst die Boni gestrichen. Hing vorher ein großer Teil der Bezahlung vom Unternehmensgewinn ab, so erhalten die Kontrolleure künftig eine feste Vergütung. Haftungsrisiken und Arbeitsaufwand hätten nichts mit der geschäftlichen Entwicklung zu tun, lautet die Begründung des Unternehmens. Ein Schluss, zu dem auch die Allianz gekommen ist: Kurz nach Siemens kündigte der Versicherungskonzern an, auch seinen Aktionären auf der Hauptversammlung Anfang Mai die Umstellung auf eine Festvergütung der Aufsichtsräte vorzuschlagen. Mit Siemens und der Allianz steigt die Zahl der DAX-Konzerne, die ihren obersten Kontrollgremien nur noch Pauschalen zahlen, auf fünf. Bisher waren es nach Untersuchungen der Beratungsgesellschaft Towers Watson Adidas, Fresenius Medical Care und Daimler. Findet in der deutschen Industrie ein Umdenken statt? "Mit Siemens und der Allianz sind jetzt zwei Unternehmen vorgeprescht, was Auswirkungen auf die Entscheidungen anderer Konzerne haben kann. Ob das ein Trend ist, wird sich im Laufe der nächsten zwei bis drei Monate zeigen", sagt Ralph Lange, Director Executive Compensation bei Towers Watson in Frankfurt.

Klar ist: Das Thema Nachhaltigkeit rückt bei der Entlohnung der Aufsichtsräte zunehmend in den Vordergrund. Sowohl das Fixum als auch die Vergütung auf Grundlage langfristiger Kennziffern nehmen an Bedeutung zu. Die Deutsche Telekom und die Deutsche Post etwa haben im vergangenen Jahr die kurzfristige Tantieme gestrichen und die langfristigen Bezüge erhöht. Die Deutsche Lufthansa und SAP legten bei der Festvergütung zu und machten gleichzeitig Abstriche bei den variablen Bestandteilen. DAX-Neuling HeidelbergCement begrenzte die neu eingeführte Tantieme - Bemessungsgrundlage: Ergebnis je Aktie - auf die Höhe des Fixums.

ABSURDES ANREIZSYSTEM_ Dietmar Hexel, Mitglied im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie in der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, würde die variable Vergütung am liebsten ganz abschaffen - und damit auch die langfristigen Komponenten. Denn auch die orientieren sich am Unternehmenserfolg: Bei Siemens und der Allianz etwa richtete sich dieser Vergütungsbestandteil bisher am Drei-Jahres-Durchschnitt des Konzernergebnisses je Aktie. Hexel hat dafür kein Verständnis: "Ein Aufsichtsrat hat in guten wie in schlechten Zeiten die gleichen, gesetzlich geregelten Aufgaben", sagt er. "Es ist absurd, ihn durch Anreizsysteme zu einem besseren Arbeiten anhalten zu wollen. Es geht um Verantwortung, nicht ums Geldverdienen."

Hexels Antrag jedoch, den Deutschen Corporate Governance Kodex nach seinen Vorstellungen zu ändern, fand bisher in der Kommission keine Mehrheit. Das könnte sich ändern, denn mit der Allianz und Siemens stehen nun zwei der größten deutschen Konzerne auf seiner Seite. Hexel hält die Umstellungen bei den beiden Firmen daher auch für "absolut richtig".

Beifall von den Gewerkschaften - das zeugt von einem Gespür für den richtigen Zeitpunkt: Niemand kann Siemens-Aufsichtsratschef Cromme vorwerfen, seinen finanziellen Vorteil zu suchen. Immerhin hat sein Unternehmen das Geschäftsjahr 2010 mit einem Rekordergebnis abgeschlossen - manchem Mitglied des Aufsichtsrats wäre daher wohl ein höherer Anteil der erfolgsabhängigen Bezüge lieber gewesen als deren Streichung. Allerdings: Im Gegenzug erhöht Siemens die Fixvergütung - und das nicht zu knapp: Inklusive der Entlohnung für seine Arbeit in den Ausschüssen wird Chefkontrolleur Cromme künftig mehr als eine halbe Million Euro pro Jahr verdienen. Damit gehört er zu den bestbezahlten Aufsichtsräten Deutschlands.

Doch was ist eine angemessene Bezahlung? DGB-Vorstandsmitglied Hexel hält die neuen Pauschalen bei Siemens jedenfalls für "sehr hoch". Zwar sei die Aufsichtsratsarbeit anspruchsvoller geworden und koste mehr Zeit, insbesondere wenn Arbeit in den Ausschüssen hinzukomme. Doch Professionalität entstehe nicht dadurch, dass jemand viel Geld verdiene, sagt Hexel.

Tatsächlich lassen sich die Kontrolleure der DAX-Konzerne ihre Arbeit gut bezahlen. Laut der Studie von Towers Watson ist die durchschnittliche Vergütung für die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden im vergangenen Jahr um rund 21 Prozent gestiegen - auf mehr als 262.000 Euro. Die Summe der variablen Komponenten, die meist an das Ergebnis je Aktie gekoppelt sind, überstieg dabei im Schnitt die der festen Vergütungsbestandteile. Zwar wirft den Kontrolleuren niemand vor, nur schnelle Gewinne im Sinn zu haben, um ihre eigene Entlohnung zu erhöhen. Dennoch: "Eine variable Komponente ist wie eine eingebaute stille Verführung", sagt Hexel. "Ihr zu folgen ist menschlich, aber nicht förderlich."

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