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Arbeitsmarkt: Gut aufgefangen

Ausgabe 03/2021

Bei Insolvenzen, Fabrikschließungen und Sanierungen können Transfergesellschaften den Beschäftigten den Weg in einen neuen Job ebnen. Von Andreas Molitor

Auf der Erfolgsskala von eins bis zehn hat sich Klaus Kost für eine Neun entschieden. „Bei Praktiker haben wir ein weit mehr als ordentliches Ergebnis erzielt“, sagt der Gründer und langjährige geschäftsführende Gesellschafter der in Essen beheimateten PCG Project Consult GmbH. Die Rede ist von einem der größten Jobvermittlungsprojekte der deutschen Geschichte: Bei der Insolvenz des Praktiker-Baumarktkonzerns vor knapp acht Jahren hatten 15 000 Menschen ihren Job verloren. Der Betriebsrat und Verdi setzten durch, dass ein Großteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, gut 8000 Mitarbeiter, nach der Pleite in eine von sechs Transfergesellschaften wechselte, die von Kosts Beratungsfirma koordiniert wurden.

Kosts Einschätzung erscheint nachvollziehbar. Nur ein Jahr nach der Praktiker-Insolvenz hatten immerhin 67,6 Prozent der Transferteilnehmer eine neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden – trotz des vergleichsweise hohen Durchschnittsalters von 48 Jahren. Nur jeder Vierte bezog Arbeitslosengeld, drei Prozent waren in Rente gegangen. Die Frankfurter Rundschau nannte es „Katastrophe mit gutem Ausgang“.

Alles begann in Rheinhausen

Bei Insolvenzen, Fabrikschließungen und Sanierungen, wenn Hunderte oder Tausende Jobs wegfallen, ist ein Transferprojekt in vielen Fällen die einzige Alternative zum sofortigen Weg in die Arbeitslosigkeit. Die Beschäftigten wechseln dabei von ihrem bisherigen Arbeitgeber statt zur Arbeitsagentur für eine festgelegte Zeit (meist zwölf Monate, selten länger) in die Obhut einer Transfergesellschaft, die sie berät und gemeinsam mit ihnen einen neuen Job sucht.

Finanziell sind die Beschäftigten dabei vergleichsweise gut gestellt – jedenfalls deutlich besser als in der Arbeitslosigkeit. Beispiel Praktiker: Mit dem Transferkurzarbeitergeld, das von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt wurde, plus einem Zuschuss aus der Insolvenzmasse kamen die Mitarbeiter auf 75 bis 80 Prozent ihres vorherigen Nettogehalts.

Ihren Anfang nahm die Transfer-Idee in den 90er Jahren nach dem Kollaps der DDR-Industrie in Ostdeutschland, im Westen nach der Stilllegung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen und dem Zusammenbruch etlicher Werften an der Küste. Damals sprach man noch von „Beschäftigungsgesellschaft“. Meist ging es mehr um Abbrucharbeiten als um neue Jobs. Im Laufe der Jahre hat sich eine ganze Branche etabliert. Heute konkurrieren bundesweit rund 50 Anbieter, kleinere und größere Gesellschaften, allein und in Kooperation um die ausgeschriebenen Transferprojekte.

Wo stehst du wirklich? Was kannst du?

Die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle steht bei den Transferzielen klar auf Platz eins. Oft müssen völlig neue Berufsfelder erschlossen werden, wichtige Qualifikationen fehlen. Bei älteren Beschäftigten liegt die letzte Bewerbungsphase mitunter Jahrzehnte zurück. Wo stehst du tatsächlich? Wo ist dein relevanter Arbeitsmarkt? Welche Qualifizierung brauchst du jetzt dringend? Das sind die Fragen, die der Transferberater gemeinsam mit dem Beschäftigten klären muss.

Die Auftragsbücher der Transfergesellschaft sind derzeit gut gefüllt, viele sind auf Personalsuche. Seit Anfang Mai gilt der Corona-Insolvenzschutz nicht mehr, die Zahl der Firmenpleiten dürfte bald stark ansteigen. Und ob wichtige Branchen wie die Autoindustrie und der Maschinenbau den Transformations- und Digitalisierungsschub ohne größere Kündigungswellen bewältigen, ist noch längst nicht ausgemacht.

Opel kratzte an der Reputation

Dass es um den Ruf von Transferprojekten eine Zeit lang nicht zum Besten stand, hängt vor allem mit einem Fall zusammen: der Schließung des Opel-Werks in Bochum. Lediglich zehn Prozent der Beschäftigten, die in die Transfergesellschaft gewechselt waren, hatten ein Jahr nach der Stilllegung im Jahr 2014 eine neue Arbeit gefunden. Der Fall wurde weidlich ausgeschlachtet und wurde zum Sinnbild für die angebliche Ineffizienz von Transfergesellschaften.

Ein Blick in den damaligen Sozialplan erklärt vieles. Der Opel-Betriebsrat hatte derart gute Bedingungen ausgehandelt, dass ein möglichst langer Verbleib im Transfer – bis zu drei Jahre und fast zum früheren Lohn! – für die meisten Beschäftigten ganz einfach die beste Option war. Beim Gros der angebotenen Jobs lagen die Löhne dagegen eher auf dem Niveau des Arbeitslosengelds. Auch die großzügigen Abfindungen, in Einzelfällen bis zu 250.000 Euro, dürften die Eile bei der Jobsuche nicht befördert haben.

Klaus Kost, dessen PCG Project Consult sich der arbeitsorientierten Beratung verpflichtet fühlt, empfiehlt Betriebsräten und Gewerkschaften, die Prioritäten sorgsam zu setzen. „Wenn der Sozialplan so gut ausgestattet ist, dass es kaum einen Anreiz gibt, sich um einen neuen Arbeitsplatz zu kümmern, muss jedes Transferprojekt scheitern“, sagt der erfahrene Berater. Im Zweifelsfall, rät er, sollte der neue Arbeitsplatz im Fokus stehen und nicht der goldene Handschlag.

In vielen Fällen bringen Betriebsräte die Transfer-Option erst ins Spiel, wenn der Insolvenzfall bereits eingetreten oder die Stilllegung beschlossen ist. Zu spät, findet Peter Klöckner, Geschäftsführer der in Essen ansässigen BOB Transfer GmbH. „Sobald die ersten dunklen Wolken auftauchen, sollte der Betriebsrat gemeinsam mit dem Gewerkschaftssekretär die Optionen durchspielen und schon mal mehrere Transfergesellschaften einladen.“ Spätestens bei den ersten Sozialplanverhandlungen sollten die Transferprofis dann mit im Boot sein.

Auf die Zufriedenheit kommt es an

Vorbehalte gegen eine Transfergesellschaft gab es anfangs auch bei Praktiker. „Viele Marktleiter sagten: Geht nur ja nicht in diese Auffanggesellschaft!“, erinnert sich der ehemalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende Thomas Mörig. 600 Betriebsräte und die Verdi-Sekretäre mussten eine Menge Überzeugungsarbeit leisten.

Im Nachhinein geben die Zahlen ihnen recht, insbesondere eine detaillierte Auswertung durch das Bochumer Helex-Institut. Mehr als zwei Drittel der Transferteilnehmer hatten ein Jahr nach der Pleite eine neue Stelle – das ist eine ausgesprochen gute Quote. Nur der Transfer nach der Insolvenz von Air Berlin vor vier Jahren lief mit einer Quote von 75,8 Prozent noch besser als bei Praktiker.

Auch das Helex-Institut spricht in seiner Auswertung von einem „arbeitsmarktpolitischen Erfolg“ des Transfers. Allerdings halten die Wissenschaftler die blanke Vermittlungsquote für nicht allzu aussagekräftig. „Alle schauen bei Transferprojekten immer nur auf die Quote“, kritisiert Gernot Mühge, der seinerzeit die Evaluierung des Praktiker-Transfers leitete und heute eine Professur für Arbeit und Organisation an der Hochschule Darmstadt innehat. Dabei seien „viele Faktoren, die stark auf die Quote durchschlagen“, etwa die Altersstruktur und die Qualifikation der Beschäftigten, die allgemeine Wirtschaftslage oder die Aufnahmefähigkeit des regionalen Arbeitsmarkts, „vom Transfer überhaupt nicht zu beeinflussen“.

Gleich die ganze Belegschaft übernommen

Die Praktiker-Baumärkte etwa hatten im Schnitt 50, 60 Mitarbeiter. Da fiel die Vermittlung naturgemäß leichter als bei der Stilllegung einer Fabrik, die bislang größter Arbeitgeber weit und breit war. Vor allem aber wurde mehr als ein Drittel der 300 Baumärkte schon binnen weniger Monate von Wettbewerbern übernommen. In manchen Fällen übernahmen die neuen Nutzer fast die gesamte alte Praktiker-Belegschaft.

Gernot Mühge glaubt, dass er einen besseren Erfolgsindikator gefunden hat als die blanke Vermittlungsquote. Bei den Erhebungen für das Helex-Institut fragte er die ehemaligen Praktiker-Mitarbeiter nach ihrer Zufriedenheit mit dem Transfer. Fast 70 Prozent sagten, dass sie sich gut oder sehr gut beraten fühlten; bei Air Berlin waren es sogar 81 Prozent. Besonders auffällig: Die Arbeitslosen zeigten sich im Schnitt sogar noch einen Tick zufriedener als jene, denen mithilfe ihres Transferberaters schnell der Sprung in einen neuen Job gelang. Man müsse sich einmal in die Situation eines Mitarbeiters versetzen, erklärt Klaus Kost, „Anfang 60, wenig Hoffnung auf eine neue Stelle mit passablem Lohn“. In solchen Fällen gehe es in der Beratung weniger darum, „die Leute irgendwie noch mal in einen Job zu drängen“, sondern um das Wiederaufrichten nach dem Nackenschlag durch den Jobverlust, „um Schulden, um eventuelle Krankheiten oder einen sanften Übergang in die Rente“.

Erfahrungen von Transfer-Beschäftigten

„Die Transfergesellschaft war das Beste, was mir hätte passieren können. Vorher schon hatte ich öfters mit dem Gedanken an eine Umschulung gespielt, wusste aber nicht, wie ich das mit zwei kleinen Kindern zeitlich hätte managen sollen. Ich habe eine Weiterbildung zur Immobiliardarlehensvermittlerin gemacht und bekam direkt nach der IHK-Prüfung einen neuen Job. Ich verdiene nicht weniger als vorher, und meine Arbeit ist jetzt viel familienfreundlicher.“ Carina Zwara, 33*

„Die Insolvenz im letzten August war ein richtiger Tritt für mich. Ich war Maschinenanlagenführer, 14 Jahre im gleichen Unternehmen. ‚Wenn sich eine Tür schließt, öffnen sich zwei neue‘, hat der Profiler von der Transfergesellschaft gesagt. Und so kam es dann auch. Ich arbeite jetzt bei einem städtischen Entsorgungsunternehmen, die Stelle hab’ ich mir selbst besorgt. Den C-Führerschein, den mir die Transfergesellschaft finanziert hat, kann ich auch dort gut gebrauchen.“ Martin Kucharczyk, 36*

„Bis zur Schließung des Werkes im November 2020 war ich Schichtführer und stellvertretender Abteilungsleiter bei Dieckerhoff. Im Transfer hab’ ich drei Module gemacht: Projektmanagement, Qualitätsbeauftragter und Qualitätsmanagement. Ich hab’ riesiges Glück gehabt mit meinem Berater, der war spitzenmäßig. Hat mir die ganze Angst genommen vor der neuen Situation und erkundigt sich heute noch regelmäßig nach mir. Im Moment bin ich noch auf der Suche. Also falls jemand einen guten Typ braucht ...“ Volkan Demir, 45*

* Teilnehmer der BOB Transfer GmbH

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