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Buch Cover Humanisierung der Arbeit Magazin Mitbestimmung

Rezension: Moderne Zeiten

Ausgabe 02/2020

Ein neues Buch zur Offensive „Humanisierung der Arbeitswelt“ zeigt den Spagat zwischen Rationalisierung und dem Ringen um bessere Standards im technischen Wandel. Von Walther Müller-Jentsch

Das Ziel war eine menschlichere Gesellschaft. Unter dem Titel „Humanisierung des Arbeitslebens“ (HdA) verabschiedete die Bundesregierung 1974 eines der ambitioniertesten Forschungs- und Aktionsprogramme der Bundesrepublik. Zwischen 1974 und 1989 wurden rund 1600 Projekte gefördert. 30 Jahre später ziehen Nina Kleinöder, Stefan Müller und Karsten Uhl Bilanz. Ihr Buch enthält eine Darstellung, Analyse und Evaluation des Programms. 

Müller verortet die HdA in der internationalen Debatte über die „Qualität des Lebens“, in der nach Antworten auf die Probleme industrieller Arbeit für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer gesucht wurde. Interessierte Aufnahme fanden die in Großbritannien und Skandinavien erprobten Modelle mit Arbeitsplatzrotation und teilautonomer Gruppenarbeit. In der Bundesrepublik war das Programm Teil der sozialdemokratischen Reformära. Federführend war das Ministerium für Forschung und Technologie, das in den entscheidenden Jahren von Hans Matthöfer geleitet wurde. 

Allerdings stand das Programm von vornherein im Spannungsfeld von Humanisierung und Rationalisierung. Für die Gewerkschaften war es ein zweischneidiges Schwert. Am Beispiel der IG Metall wird geschildert, dass die Gewerkschaft das HdA-Programm einerseits als Konkurrenz fürchtete, andererseits als Begleitmaßnahme zu eigenen Aktivitäten ansah, hatte sie doch bereits 1973 mit dem Lohnrahmen-II-Tarifvertrag in Baden-Württemberg einen Pilotabschluss zur Humanisierung der Arbeitsbedingungen mit der legendären Steinkühler-Pause durchgesetzt. Konkret rekonstruieren die Autoren in drei Kapiteln den Prozessverlauf von Humanisierungsprojekten. Während davon zwei (Steinkohlenbergbau, BMW-Werk Regensburg) einen positiven Verlauf nahmen, fielen die Ergebnisse der Projekte zur Qualifizierung und Gruppenarbeit in den VW-Werken Salzgitter und Wolfsburg zwiespältig aus. So beklagten die Verantwortlichen der IG Metall ihre dünne Personaldecke, während die Unternehmer für die Betreuung der Projekte ein Mehrfaches an Personal aufbrachten. Die gewerkschaftliche Kritik verschärfte sich in den 80er Jahren, als sich unter der schwarz-gelben Koalition das Schwergewicht auf Innovationsprojekte verlagerte. Es setzte sich die Auffassung durch, dass es sich bei HdA nur um die soziale Abfederung der Modernisierung handele. In den Fokus der Kritik gerieten arbeitsorganisatorische Maßnahmen außerhalb der traditionellen Mitbestimmungsstrukturen; insbesondere der Gruppensprecher wurde zum Streitobjekt. 

Schützenhilfe erhielten die Gewerkschaften aus der Wissenschaft. Der Industriesoziologe Horst Kern veröffentlichte 1977 im „Gewerkschafter“ einen Artikel mit dem Titel „Vom Unfug mit der autonomen Arbeitsgruppe“. Seine Fundamentalkritik rief indessen den Widerspruch von Mitarbeitern aus der Bildungsabteilung der IG Metall (namentlich von Fritz Vilmar) hervor. Erst auf dem Gewerkschaftstag 1986 revidierte die IG Metall mit dem Aktionsprogramm „Arbeit und Technik“ ihre Opposition gegen die Gruppenarbeit. Es hätte den Autoren gut angestanden, wenn sie in einem Ausblick auf das Leitbild der IG Metall und den DGB-Index „Gute Arbeit“ verwiesen hätten, womit die Gewerkschaften im digitalen Zeitalter an die Tradition des HdA-Programms anknüpfen. 

Fazit
Gelungene Bilanz eines ambitionierten Aktionsprogramms 

Nina Kleinöder/Stefan Müller/Karsten Uhl (Hrsg.): Humanisierung der Arbeit. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts. Bielefeld, Transcript Verlag 2019. 336 Seiten, 34,99 Euro

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