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Zeit ist das neue Geld Böckler Impuls

Tarifpolitik: Zeit ist das neue Geld

Ausgabe 02/2019

Arbeitszeitpolitik ist bei Beschäftigten wieder sehr gefragt. Im vergangenen Jahr konnten Gewerkschaften in mehreren Branchen individuelle Wahlmöglichkeiten durchsetzen.

Das Thema Arbeitszeit hat tarifpolitisch einige Zeit ein Schattendasein gefristet: Nach einer zehnjährigen Phase ab Mitte der 1980er-Jahre, an deren Ende die 35-Stunden-Woche in der westdeutschen Metallindustrie stand, habe sich die Dauer der tariflich vereinbarten Wochenarbeitszeit kaum verändert, schreibt WSI-Forscher Thorsten Schulten in seiner aktuellen Tarifbilanz. Doch das ändere sich gerade: „Mit der Tarifrunde 2018 haben die Gewerkschaften nicht nur kräftige Lohnzuwächse durchgesetzt, sondern auch eine Renaissance der tariflichen Arbeitszeitpolitik eingeleitet.“ Anders als in früheren Runden gehe es dabei nicht um kollektive Arbeitszeitverkürzungen, sondern in erster Linie um mehr Selbstbestimmung für die Beschäftigten.

Einer der Vorreiter bei diesem Thema ist Schulten zufolge die Metall- und Elektroindustrie. Der jüngste Tarifabschluss gewährt zum einen allen Beschäftigten das Recht, die Arbeitszeit befristet auf bis zu 28 Wochenstunden zu verkürzen und anschließend zur Vollzeit zurückzukehren. Zum anderen haben Schichtarbeiter sowie Beschäftigte mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen die Wahl zwischen einem Zusatzentgelt von 27,5 Prozent eines Monatslohns oder acht zusätzlichen freien Tagen.

  • Im vergangenen Jahr konnten Gewerkschaften in mehreren Branchen individuelle Wahlmöglichkeiten durchsetzen. Zur Grafik

Die EVG hatte bereits 2016 bei der Deutschen Bahn ein Wahlmodell durchgesetzt, das entweder eine Lohnerhöhung um 2,6 Prozent, eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit um eine Stunde oder sechs Tage mehr Urlaub vorsieht. Der Abschluss vom Dezember 2018 erlaubt den Beschäftigten, erneut zwischen 2,6 Prozent mehr Lohn, einer Stunde Arbeitszeitverkürzung oder sechs freien Tagen zu wählen.

Verdi hat im April 2018 mit der Deutschen Post vereinbart, dass sich die Beschäftigten ab 2019 entweder für eine dreiprozentige Lohnerhöhung oder für acht zusätzliche freie Tage entscheiden können. Ab 2020 gibt es eine weitere Wahloption zwischen 2,1 Prozent mehr Lohn oder sechs Urlaubstagen. Im Nahverkehr Bayern stehen 2,5 Prozent mehr Geld oder fünf freie Tage zur Auswahl.

Erste Ergebnisse zur Umsetzung der individuellen Wahlmöglichkeiten hätten ergeben, dass mehr Freizeit hoch im Kurs steht, erklärt Schulten. Bei der Deutschen Bahn haben sich demnach Mitte 2017 56 Prozent für zusätzlichen Urlaub, 42 Prozent für mehr Lohn und zwei Prozent für eine kürzere Wochenarbeitszeit entschieden. 

Thorsten Schulten und WSI-Tarifarchiv: Tarifpolitischer Jahresbericht 2018 – Kräftige Lohnzuwächse und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit (pdf), Informationen zur Tarifpolitik, Februar 2019

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