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Mehr Aufmerksamkeit für Umwelt und Soziales Böckler Impuls

Vorstandsvergütung: Mehr Aufmerksamkeit für Umwelt und Soziales

Ausgabe 04/2023

Soziale und ökologische Kriterien haben bei der Vorstandsvergütung erheblich an Bedeutung gewonnen. Wie gehaltvoll die verwendeten Kennzahlen sind, muss der Aufsichtsrat überprüfen.

„Die Zahl der Unternehmen mit sozialen und ökologischen Kriterien in der Vorstandsvergütung ist regelrecht explodiert“, schreiben Judith Beile und Katrin Schmid, die mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung die Vergütungspraxis in großen deutschen Kapitalgesellschaften untersucht haben. Im Geschäftsjahr 2021 hatten alle Unternehmen im Dax und 41 von 50 MDax-Unternehmen „nichtfinanzielle beziehungsweise nachhaltige Kriterien in ihre Vergütungssysteme integriert oder die Einführung für das Geschäftsjahr 2022 angekündigt“. Eine frühere Untersuchung aus dem Jahr 2013 kam lediglich auf zehn Unternehmen im Dax und sechs im MDax. 

Die Vergütung der Vorstandsmitglieder orientierte sich bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich an „klassischen finanziellen Kennzahlen“ wie dem operativen Gewinn oder dem Aktienkurs, so die Expertinnen. Noch immer stehen solche Faktoren im Mittelpunkt, wenn es darum geht, die Leistung des Managements zu bewerten. Doch Beile und Schmid betonen, dass andere Faktoren heute „kein Nischendasein mehr fristen“. Soziale Themen wie die Zufriedenheit der Belegschaft, Personalentwicklung, Diversity oder Frauenförderung kommen bei den Vergütungskriterien ebenso vor wie CO2-Emissionen, der Einsatz erneuerbarer Energien und Umweltschutz. Zudem gibt es weitere Kriterien nichtfinanzieller Art, zum Beispiel Kundenzufriedenheit, Investitionen oder der Aufbau neuer Geschäftsfelder.

Beile und Schmid, Geschäftsführerin und Mitarbeiterin der Beratungsfirma WMP Consult, konzentrieren sich bei ihrer Auswertung auf soziale und ökologische Aspekte. Sie haben die Vergütungsberichte aller Dax- und MDax-Unternehmen im Geschäftsjahr 2021 ausgewertet und Aufsichtsratsmitglieder verschiedener Unternehmen befragt. Insgesamt haben sich 34 Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten in Aufsichtsräten beteiligt.

Die gewachsene Bedeutung von Nachhaltigkeitsindikatoren hat verschiedene Gründe. Einer deutete sich bereits in der Vorgängeruntersuchung von 2013 an: „In fast allen der damals befragten Unternehmen ging die Initiative zur Implementierung von der Arbeitnehmerseite aus.“ Die gesellschaftliche Debatte hat inzwischen jedoch auch zu Änderungen im Aktienrecht und Corporate-Governance-Kodex geführt. Auf EU-Ebene sind Richtlinien beschlossen worden, die Unternehmen verpflichten, über nichtfinanzielle Tatbestände Auskunft zu geben. ESG-Ratings – Environment, Social, Governance – spielen heute auch an der Börse eine Rolle. Kurz: Ausschließlich auf den Gewinn zu schauen, ist für große Unternehmen keine Option mehr. 

Die Frage ist allerdings, welche Bedeutung Nachhaltigkeitsziele wirklich haben. Sind sie tatsächlich relevant für das Handeln der Unternehmensspitze? Oder handelt es sich nur um das Erfüllen lästiger Nebenpflichten oder – im Falle der Ökologie – sogar um „Greenwashing“? Zumindest bestätigt die Untersuchung von Beile und Schmid, dass die Vorstandsvergütung ein zentraler Ansatzpunkt ist. Gespräche mit Aufsichtsratsmitgliedern bekräftigen den Expertinnen zufolge immer wieder die Faustregel: „Themen, nach denen vergütet wird, bekommen mehr Aufmerksamkeit“. 

Im nächsten Schritt analysieren die Forscherinnen, welchen quantitativen Einfluss die Erreichung sozialer und ökologischer Ziele auf die Gehälter des Top-Managements hat. Im Durchschnitt hängen der Auswertung zufolge im Dax etwa 22 Prozent der variablen Vorstandsvergütung von nachhaltigen Kriterien ab, im MDax sind es 20 Prozent. Wobei der variable Anteil im Schnitt gut die Hälfte der Vergütung von Vorstandsmitgliedern ausmacht. Am häufigsten ist ein fester Bestandteil der variablen Vorstandsbezüge von nichtfinanziellen Kennzahlen anhängig. Andere Unternehmen arbeiten mit Multiplikatoren. Dann wird die anhand betriebswirtschaftlicher Indikatoren ermittelte Vergütung mit einem Faktor multipliziert, der sich nach der sozialen und ökologischen Performance richtet. In wieder anderen Fällen stecken Nachhaltigkeitskriterien in individuellen Zielvereinbarungen mit Vorständen – ein vergleichsweise intransparentes Vorgehen, dessen Steuerungswirkung begrenzt sein dürfte. Bei zwei Unternehmen im Dax und vier im MDax sind die Aussagen zum Einfluss nachhaltiger Kriterien so vage, dass die Expertinnen keine Systematik angeben können. 

Indikatoren müssen nachvollziehbar sein

Was wird gemessen und in welchem Verhältnis stehen soziale und ökologische Fragen? Meistens werden sie in einem Atemzug genannt. Bei Unternehmen, die beides getrennt ausweisen, überwiegen die ökologischen Kennzahlen ein wenig; ganz vorn steht das Thema CO2-Ausstoß beziehungsweise Emissionsreduktion. Beschäftigtenvertreterinnen und -vertreter im Aufsichtsrat neigen dazu, größeres Gewicht auf die sozialen Themen zu legen. Wichtig ist ihnen zudem, dass Vergütungskriterien möglichst einfach, transparent und nachvollziehbar gestaltet sind. Das ist bei einigen Unternehmen der Fall, bei anderen weniger. Zuweilen werden sehr viele Zielsetzungen formuliert und in einem komplizierten Berechnungsverfahren zusammengeführt. So lassen sich zwar viele Aspekte berücksichtigen, aber am Ende ist „nicht mehr auf einen Blick erkennbar, wofür das Vorstandsmitglied eigentlich vergütet wurde“. Ein ähnliches Problem kann es laut Beile und Schmid bei der Verwendung von Multiplikatoren geben: Wenn einem sozialen oder ökologischen Ziel bei der Berechnung der Vergütung ein oder mehrere finanzielle Ziele „vorgeschaltet“ sind, wird es leicht von anderen Faktoren überlagert. 

Weiterhin sollten Zielwerte messbar sein und sich nicht widersprechen. Am besten sollten nach Auffassung der Expertinnen für alle Vorstandsmitglieder dieselben Ziele ausgegeben werden, es wäre wenig hilfreich, etwa für Finanzvorstand und Arbeitsdirektor gegensätzliche Anreize zu konstruieren. Außerdem sollten die gewählten Messgrößen nach Möglichkeit nicht anfällig für Manipulationen sein. Wenn beispielsweise Qualifizierung der Beschäftigten als soziales Ziel vereinbart wurde, darf das Management sein formales Soll nicht einfach durch das Angebot vieler Mini-Onlineschulungen erfüllen können. 

Ein Fall für die Mitbestimmung

Die Formulierung von Nachhaltigkeitskriterien für die Vorstandsvergütung ist also nicht einfach. Umso wichtiger ist es aus Sicht von Beile und Schmid, dass Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten sich dabei möglichst früh einschalten. In der Regel bekommen sie vom Aufsichtsratsvorsitzenden einen – oft von Vergütungsberatern ausgearbeiteten – Vorschlag zur Zustimmung präsentiert. Dann sollten sie gewappnet sein und eigene Vorstellungen einbringen. In vielen kleineren und nicht an der Börse notierten Kapitalgesellschaften steht die Einführung sozialer und ökologischer Kriterien noch bevor. Aber auch dort, wo bereits neue Vergütungsmodelle verankert sind, gibt es weiterhin genug zu tun. „Um echte Wirkung zu entfalten“, sollte das Gewicht nachhaltiger Faktoren in der Vergütung „kontinuierlich erhöht werden“, raten die Expertinnen.

Judith Beile, Katrin Schmid: Nachhaltigkeitskriterien in der Vorstandsvergütung, Mitbestimmungsreport Nr. 75, Februar 2023

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