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HBS Böckler Impuls

Ausländische Pflegekräfte: Voneinander lernen braucht Zeit

Ausgabe 05/2019

Pflegekräfte werden vermehrt im Ausland angeworben. Sie haben meist eine andere Ausbildung und ein anderes Berufsverständnis als die etablierten Beschäftigten. Im Arbeitsalltag führt das zu Konflikten.

Krankenhäuser und Altenheime stellen zunehmend Pflegerinnen und Pfleger ein, die ihren Berufsabschluss im Ausland erworben haben. Die Zahl der Fachkräfte, die jährlich nach Deutschland kommen, hat sich innerhalb von fünf Jahren versechsfacht: Von knapp 1500 im Jahr 2012 auf gut 8800 im Jahr 2017. Größtenteils stammen die zugewanderten Pflegekräfte aus ost- und südeuropäischen Staaten außerhalb der EU oder von den Philippinen. Die meisten von ihnen kommen im Arbeitsalltag zurecht, trotzdem ist die „nachhaltige betriebliche Integration eine große Herausforderung“, der sich die Arbeitgeber stellen müssen. Das ist das Ergebnis einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie der Universität Frankfurt am Main.

Die Wissenschaftlerinnen haben anhand von fast 60 Interviews untersucht, wie die Zusammenarbeit in Kliniken und Pflegeeinrichtungen funktioniert. Dabei wurden neben Pflegerinnen und Pflegern, die nach 2008 in die Bundesrepublik gekommen sind, auch einheimische Pflegefachkräfte und Vorgesetzte nach ihren Erfahrungen befragt. Hinzu kommen Interviews mit Arbeitgebervertretern, Vermittlern und Migrationsexperten. In ausführlichen Gesprächen beschreiben Leitungskräfte und ein Betriebsrat aus Frankfurter Kliniken, wie in ihren Häusern Konflikte entstanden sind und entschärft werden konnten.

Der Studie zufolge kommt es zwischen neu zugewanderten und etablierten Fachkräften – von denen selbst viele einen Migrationshintergrund haben – immer wieder zu Konflikten. Missverständnisse, die häufig auf Unterschieden in der Ausbildung und einem anderen Verständnis von Arbeitsteilung zwischen medizinischem Personal, Pflege- und Hilfskräften beruhen, werden nicht selten stereotyp mit „kulturellen Unterschieden“ erklärt. Das kann Konflikte ebenso verschärfen wie die generell oft schwierigen Arbeitsbedingungen. Die Leitungen von Kliniken und Pflegeeinrichtungen stehen vor der Aufgabe, für mehr fachlichen Austausch und gegenseitiges Verständnis zu sorgen. Dabei können Betriebsräte eine wichtige Rolle als Moderatoren spielen.

Pflegefachkräfte im Ausland anzuwerben, gilt insbesondere in der Politik als wichtiger Beitrag gegen die großen Personallücken in Deutschland. Zwar ist die Bundesrepublik laut der Untersuchung im internationalen Vergleich „noch weit davon entfernt, als etabliertes Zielland der globalisierten Pflegefachkräftemigration zu gelten“. Im Jahr 2010 hatten knapp sechs Prozent der Pflegekräfte ihre Ausbildung im Ausland absolviert. In Großbritannien oder der Schweiz lag der Anteil zwei- bis dreimal so hoch. Die Vielfalt habe aber bereits in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, heißt es in der Studie. Die wichtigsten Herkunftsländer der neuen Pflegerinnen und Pfleger sind aktuell Bosnien-Herzegowina, Serbien, Rumänien und Albanien. Die ebenfalls hohe Anzahl von Pflegefachkräften aus den Philippinen resultiert aus dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und den Philippinen. Oft sind die Neueinstellungen Ergebnis gezielter Anwerbeaktionen. In den Herkunftsländern haben sich professionelle Agenturen auf die Vermittlung von Gesundheitspersonal spezialisiert, das mit Sprachkursen auf die Arbeit in Deutschland vorbereitet wird.

Die Befragung offenbart auf beiden Seiten erhebliche Differenzen bei Ausbildung, beruflichem Selbstverständnis und gewohnter Arbeitsorganisation: In vielen Herkunftsländern werden Pflegefachkräfte an Hochschulen ausgebildet. Eine schulisch-betriebliche Ausbildung wie in Deutschland ist dort unbekannt. Dafür übernehmen Pflegefachkräfte etwa in Südeuropa mehr Aufgaben, die in Deutschland Medizinern vorbehalten sind. Tätigkeiten der sogenannten „Grundpflege“ auszuüben, also etwa Patienten beim Essen oder der Körperpflege zu unterstützen, ist dort für Pflegefachkräfte ungewöhnlich. Dafür gibt es, mehr noch als in Deutschland, spezielle Servicekräfte, teilweise müssen Angehörige einspringen. 

Dass sich bei derart unterschiedlichen Ausgangssituationen Spannungen ergeben können, ist nach Analyse der Wissenschaftlerinnen nicht überraschend. Problematisch sei vielmehr, wie sehr solche Differenzen „kulturalisiert“ würden. Der Konflikt arte nicht selten zu einer Auseinandersetzung zwischen „Einheimischen“ und „Ausländern“ aus. Die Unzufriedenheit ist auf beiden Seiten groß: So haben viele der befragten zugewanderten Pflegekräfte das Gefühl, „unter Wert“ arbeiten zu müssen, sie fühlen sich häufiger von Informationen ausgeschlossen, von Vorgesetzten schlechter behandelt. Die Arbeitssprache Deutsch werde als „Hierarchisierungsmittel“ eingesetzt, wodurch sie in eine Außenseiterposition gedrängt würden.

Die in Deutschland ausgebildeten Pflegefachkräfte kritisieren wiederum, dass neu zugewanderte Kolleginnen und Kollegen schon wegen mangelnder Sprachkenntnisse im verantwortungsvollen und eng getakteten Arbeitsalltag nicht voll einsetzbar seien. Die akademische Ausbildung im Ausland wird oft nicht als Vorteil gesehen, sondern als „prax­isfern“ kritisiert. Dafür fehlten grundsätzliche Kompetenzen, etwa bei der Körperpflege von Patienten und im „Sozialverhalten“. Aus Sicht der einheimischen Beschäftigten können die Fachkräfte aus dem Ausland zumindest für einen längeren Einarbeitungszeitraum oft nur als „Schüler“ beschäftigt werden.

Die neu migrierten Pflegefachkräfte reagierten auf die Konflikte mit „systematischem Lernen“ oder einer „ambivalenten Anpassung“, schreiben die Studienautorinnen. Bleiben die Spannungen dauerhaft ungelöst, entschieden sich viele für einen Wechsel der Abteilung oder des Krankenhauses, einen Ausstieg aus dem Pflegeberuf oder die enttäuschte Rückkehr ins Herkunftsland – wohl die schlechteste Lösung nach dem hohen Aufwand auf beiden Seiten.

Die Forscherinnen appellieren an Kliniken und Altenpflegeeinrichtungen, ihre Beschäftigten – neu zugewanderte wie einheimische – mit den Herausforderungen nicht allein zu lassen. Sie empfehlen, den Pflegekräften genug Zeit für fachlichen Austausch und Konfliktlösung einzuräumen und geeignete Foren einzurichten. Kompetente, unabhängige Coaches sollten dabei helfen, Kommunikationsbarrieren zu überwinden. Eine besondere Rolle spielen dabei jene Pflegekräfte, die schon lange in Deutschland arbeiten, aber selbst einen Migrationshintergrund haben: Manche von ihnen sind laut der Studie sensibel gegenüber vermeintlichen „Bevorzugungen“ der neu migrierten Kolleginnen, weil sie sich ihren Status als etablierte Fachkraft auch selbst erarbeiten mussten. Andererseits können sie als „Mentorinnen“ bei Konflikten vermitteln – gerade, wenn sie die gleiche Muttersprache haben.

Entscheidend für eine erfolgreiche Integration ist aber auch, dass genug Ressourcen zur Verfügung stehen. Ein befragter Betriebsrat erklärt:  „Wenn man permanent unterbesetzt ist und die Patienten nicht vernünftig versorgen kann, dann ist die Bereitschaft für zusätzliche zeitaufwändige Aufgaben nicht so ausgeprägt. Dieses ist aber ein generelles Problem, das nicht nur Fachkräfte betrifft, die aus dem Ausland neu zu uns kommen.“

Im besten Fall, betonen die Wissenschaftlerinnen, könnten die Erfahrungen, die Pflegefachkräfte aus dem Ausland mitbringen, bei notwendigen Reformen der Arbeitsorganisation und der Aufgabenteilung helfen. Denn: „Hier bestehen nicht nur grundsätzlich andere Formen zwischen Deutschland und den meisten anderen Ländern, sondern es handelt sich auch um jene Bereiche, an welchen sich der Innovationsstau in der Pflege in Deutschland festmacht.“ In den vergangenen Jahrzehnten hätten Kliniken  und Pflegeeinrichtungen auf zunehmenden ökonomischen Druck mit Rationalisierung und Arbeitsverdichtung reagiert, aber nicht mit grundlegenden Reformen bei Zuständigkeiten, der Delegation von Tätigkeiten und Regeln der Zusammenarbeit. Dadurch seien „alle Pflegekräfte permanent mit Widersprüchen zwischen ihren fachlichen Ansprüchen und der Arbeitswirklichkeit konfrontiert“. Sowohl die Beschäftigten als auch Arbeitgeber und Patienten könnten davon profitieren, wenn neu zugewanderte und einheimische Fachkräfte gleichberechtigt „aufgrund ihrer unterschiedlichen Vorerfahrungen innovative Lösungen für Arbeitsorganisation und -teilung, soweit diese im Rahmen der Organisation gestaltbar sind, gemeinsam entwickeln“. 

  • Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Zahl der zugewanderten Pflegefachkräfte versechsfacht. Zur Grafik

Robert Pütz, Maria Kontos, Christa Larsen, Sigrid Rand und Minna-Kristiina Ruokonen-Engler: Betriebliche Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 416, Februar 2019

Sigrid Rand, Christa Larsen: Herausforderungen und Gestaltung betrieblicher Integration von Pflegefachkräften aus dem Ausland, Working Paper der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 114, Februar 2019

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