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HBS Böckler Impuls

Arbeitswelt: Telearbeiter sind gestresster

Ausgabe 05/2017

Digitale Technologien machen es möglich, zu Hause oder unterwegs zu arbeiten. Beschäftigten bringt das mehr Flexibilität – aber oft auch mehr Stress.

Telearbeit via Smartphone, Laptop oder Computer in der eigenen Wohnung breitet sich aus. Wie stark und mit welchen Folgen, haben Experten der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) untersucht. Dafür haben sie etliche internationale Studien und Daten der 6. Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen ausgewertet.

Der Analyse zufolge betrug der Anteil der Telearbeiter 2015 in der EU insgesamt etwa 17 Prozent. Von den europäischen Beschäftigten arbeiten 3 Prozent regelmäßig im Homeoffice, 5 Prozent regelmäßig mobil. Ein Zehntel verdingt sich gelegentlich daheim oder unterwegs. Zu den Spitzenreitern im internationalen Vergleich gehören die skandinavischen Länder, die Niederlande, Japan und die USA. Deutschland schneidet unterdurchschnittlich ab, das Schlusslicht in Europa ist Italien.

Grenzübergreifend gilt, dass Telearbeit am weitesten unter den sogenannten Wissensarbeitern, also hochqualifizierten Beschäftigten, verbreitet ist. Auch Mitarbeiter im Vertrieb oder in der Verwaltung arbeiten überdurchschnittlich oft mobil oder zu Hause, während Hilfsarbeiter selten diese Möglichkeit haben. Männer stellen mit 54 Prozent die Mehrheit der europäischen Telearbeiter, allerdings sind Frauen speziell beim Home­office in der Überzahl.

Das dürfte nach Einschätzung der Autoren damit zusammenhängen, dass Frauen traditionell mehr Zeit als Männer in Kinder und Haushalt investieren und sich von der Heimarbeit eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erhoffen. Das Problem: Die Auswirkungen auf die Work-Life-Balance scheinen durchaus zweischneidig zu sein. Zwar nimmt die Arbeitszeitautonomie zu und das Pendeln fällt weg. Zugleich erhöht sich allerdings auch die Arbeitsdauer: Fast alle nationalen Studien zeigten, dass Telearbeiter sich länger abrackern, so die Wissenschaftler. Oft scheine die Arbeit außerhalb der Firma die dortige Arbeit nicht zu ersetzen, sondern zusätzlich geleistet zu werden.

Hinzu kommt: Die ständige Verfügbarkeit führt dazu, dass die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmt. Von entsprechenden Problemen sind laut einer deutschen Studie 55 Prozent der Beschäftigten im Home­office betroffen. Aus den EU-Daten geht hervor, dass Telearbeiter zwar eher in der Lage sind, ihren Job für die Familie zu unterbrechen. Zugleich geraten sie aber auch eher in Konflikt mit familiären Verpflichtungen.

Die Auswirkungen auf die individuelle Leistung der Beschäftigten sind empirischen Untersuchungen zufolge in der Regel positiv – dank längerer Arbeitszeiten und erhöhter Konzentration, weil es zu weniger Unterbrechungen kommt. Das klappt allerdings nur, wenn es einen ruhigen Platz zu Hause gibt. Außerdem kann der fehlende direkte Kontakt mit Kollegen die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Zusätzliche Telearbeit nach Feierabend scheint eher unnütz zu sein: Laut einer Fallstudie hat das Verbot von E-Mail-Verkehr in der Freizeit bei einem US-amerikanischen Unternehmen zu 11 Prozent weniger Arbeitsstunden geführt, ohne dass die Produktivität gesunken wäre. Im Rahmen einer anderen Fallstudie wurde sogar eine höhere Produktivität gemessen, nachdem der Zugang zu den Netzwerk-Servern zwischen 22 und 6 Uhr und am Wochenende gesperrt worden war. Der Grund: Die Angestellten waren besser ausgeruht und fühlten sich wohler.

Tatsächlich scheinen psychische Belastungen ein verbreitetes Problem zu sein. 41 Prozent der mobilen Telearbeiter in der EU klagen über eine hohe Stressbelastung im Job. Bei den normalen Beschäftigten sind es 25 Prozent, die Heimarbeiter liegen dazwischen. Der Stresspegel wirkt sich unter anderem auf die Schlafqualität aus: Von den normalen Arbeitnehmern wachen 29 Prozent nachts regelmäßig auf, von den Telearbeitern 42 Prozent.

Um solchen Nachteilen vorzubeugen, empfehlen die Forscher, informelle zusätzliche Telearbeit und exzessiv lange Arbeitszeiten zu begrenzen. Zudem sei Weiterbildung für Beschäftigte und Manager notwendig. Dabei können Arbeitnehmervertreter eine wichtige Rolle spielen: Dass es sinnvoll und möglich ist, die Erreichbarkeit einzuschränken, hätten diverse Betriebsvereinbarungen gezeigt.

  • Der Anteil der Telearbeiter betrug 2015 in der EU insgesamt etwa 17 Prozent. Zur Grafik

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